| Disziplin-Check 2020

MITTELSTRECKE MÄNNER | Marc Reuther klopft ans Tor zur Weltklasse

Abgebrochene Trainingslager, phasenweise sportlicher Stillstand, die Olympia-Absage, eine zaghafte Rückkehr ins Training, erste Wettkämpfe und dann doch noch eine Late Season mit einigen bemerkenswerten Leistungen: Die Saison 2020 im Jahr der Corona-Pandemie war eine ganz besondere, die allen Beteiligten viel abverlangt hat. Wir blicken mit den Disziplinverantwortlichen im Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) zurück auf die vergangenen Monate, ziehen Bilanz und wagen einen Ausblick auf die Olympia-Saison 2021. Heute: die Mittelstrecke der Männer.
Martin Neumann

Fazit des Bundestrainers

Georg Schmidt, wie haben Sie persönlich das Corona-Jahr 2020 erlebt – als Bundestrainer und als Heimtrainer zahlreicher Topathleten?

Georg Schmidt:

Das Jahr war aufreibend, chaotisch und nicht wirklich planbar. Maximale Flexibilität und ein „dickes Fell“ waren in dieser schwierigen Situation zwingend erforderlich.

Was waren die größten Herausforderungen für Sie und die deutschen Mittelstreckler?

Georg Schmidt:

Der Zusammenbruch des gesamten Trainingslagersystems, u.a. der plötzliche Abbruch des Südafrika-Trainingslagers im März. Dazu stellte die Unsicherheit, ob und welche Wettkämpfe stattfinden könnten, die größte Herausforderung dar.

Welche Athleten haben sich 2020 trotz der veränderten Rahmenbedingungen am positivsten entwickelt?

Georg Schmidt:

Marc Reuther (800 m) und Marc Tortell (1.500 m) haben 2020 trotz schwierigster Rahmenbedingungen persönliche Bestleistungen erzielt. Das ist keine Selbstverständlichkeit im Kontext der Pandemie und den daraus entstehenden Konsequenzen wie Absage diverser Trainingslager, eingeschränktes Training an den Bundesstützpunkten und stark verändertem Wettkampfkalender.

Wie wollen und können Sie die Kader-Arbeit in Vorbereitung auf die Olympischen Spiele in den kommenden Monaten gestalten?

Georg Schmidt:

Maximale Flexibilität in allen Bereichen ist vonnöten. Die Frage, wie kann ich wann und wo trainieren, lässt sich für die kommenden Monate nur schwer vorhersehen. Deshalb wurden im Rahmen der Spitzensporttagung mehrere Fahrpläne entwickelt, die auf die jeweilige Situation individuell angepasst werden können. Diese beziehen sich auf mögliche Trainingslager, Lehrgänge und Training an den Stützpunkten.

Des Weiteren wird in enger Abstimmung mit den örtlichen Ausrichtern ein nationaler Wettkampfkalender entworfen, der den Athleten Startmöglichkeiten im Inland bietet. Schnelle Rennen in Deutschland sollen – an die örtlichen Bestimmungen angepasst – nahezu wöchentlich im Frühjahr/Sommer angeboten werden, um bei möglichen internationalen Reisebeschränkungen trotzdem eine Reihe hochkarätiger Wettkämpfe bieten zu können.

Welche Präsenz und Leistung erhoffen Sie sich in Tokio von den deutschen Mittelstrecklern?

Georg Schmidt:

Neben den Leistungsträgern der zurückliegenden Saison gehe ich fest davon aus, dass einige Mittelstreckler 2021 eine gute Rolle spielen werden, die in 2020 nicht in Erscheinung getreten sind. Dazu zählen unter anderem Amos Bartelsmeyer, Timo Benitz, Homiyu Tesfaye und Robert Farken. Des Weiteren werden hoffnungsvolle Athleten ihre Entwicklung fortsetzen. Voraussetzung ist, dass alle Athleten gesund durch die Saisonvorbereitung kommen. Wenn sie ihre Form in schnellen Rennen zeigen können, rechne ich mit vier bis sechs leistungsfähigen Mittelstrecklern in Tokio.

Mit welchen Hoffnungen und Erwartungen blicken Sie aufs Leichtathletik-Jahr 2021?

Georg Schmidt:

Ich hoffe, dass wir das unkontrollierbare Geschehen gemeinsam kontrolliert bekommen und mit den Athleten-Trainer-Gespannen Lösungen finden, die dem Leistungssport gerecht werden. Des Weiteren erwarte ich mir in einer für alle maximal angespannten Situation eine klare, offene und ehrliche Kommunikation seitens IOC und der Olympiaausrichter-Stadt Tokio. Jeder erkennt den Ernst der Lage und schraubt eigene Belange, Ansprüche und Hoffnungen zurück. Soweit möglich und vertretbar sorgen klare Ansagen und Transparenz für Sicherheit und Vertrauen in das System, was in dieser Zeit von größter Bedeutung ist.

Unser "Ass des Jahres"

Marc Reuther (LG Eintracht Frankfurt)

Deutscher Meister über 800 Meter im Freien
2020 weltweit zweitschnellster 800-Meter-Läufer in der Halle
Mit 1:44,93 Minuten erster Deutscher unter 1:45 Minuten seit acht Jahren

Unser "Talent des Jahres"

Sven Wagner (USC Mainz)

Deutscher U20-Meister über 1.500 Meter im Freien und in der Halle
Mit 3:42,47 Minuten schnellster deutscher U20-Läufer über 1.500 Meter seit Homiyu Tesfaye 2012

Die deutschen Top Ten 2020

800 Meter

Zeit Name Jahrgang Verein
1:44,93 min Marc Reuther 1996 LG Eintracht Frankfurt
1:47,28 min Christoph Kessler 1995 LG Region Karlsruhe
1:47,32 min Dennis Biederbick 1998 LG Eintracht Frankfurt
1:47,89 min Marc Tortell 1997 Athletics Team Karben
1:48,31 min Tim Assmann 2000 TV Villingen
1:48,40 min Lukas Abele 1997 SSC Hanau-Rodenbach
1:48,45 min Christian von Eitzen 1997 Athletics Team Karben
1:48,89 min Oskar Schwarzer 1999 TV Groß-Gerau
1:48,95 min Adrian Engstler 2002 TV Villingen
1:49,37 min Marius Probst 1995 TV Wattenscheid 01

1.500 Meter

Zeit Name Jahrgang Verein
3:38,04 min Marc Tortell 1997 Athletics Team Karben
3:38,29 min Marius Probst 1995 TV Wattenscheid 01
3:38,83 min Mohamed Mohumed 1999 LG Olympia Dortmund
3:39,66 min Maximilian Thorwirth 1995 SFD 75 Düsseldorf Süd
3:39,70 min Karl Bebendorf 1996 Dresdner SC 1898
3:40,77 min Lukas Abele 1997 SSC Hanau-Rodenbach
3:42,47 min Sven Wagner 2001 USC Mainz
3:42,53 min Maximilian Feist 1999 LG Olympia Dortmund
3:42,62 min Samuel Fitwi Sibhatu 1996 LG Vulkaneifel
3:42,88 min Felix Wammetsberger 1995 LG Region Karlsruhe

Statistik – Das sagen die Zahlen

Das deutsche Top-Niveau: 800 Meter

Jahr =/< 1:45,90* Schnitt
Top 3
Schnitt
Top 5
Schnitt
Top 10
2005 1 1:46,60 1:47,13 1:47,81
2006 1 1:46,53 1:46,90 1:47,44
2007 1 1:46,28 1:46,58 1:47,22
2008 2 1:45,82 1:46,23 1:47,13
2009 1 1:46,21 1:46,63 1:47,35
2010 1:46,72 1:47,38 1:48,10
2011 1 1:46,23 1:46,81 1:47,51
2012 1 1:46,02 1:46,45 1:47,04
2013 1 1:45,91 1:46,06 1:46,80
2014 1 1:46,12 1:46,35 1:46,85
2015 1 1:46,50 1:46,94 1:47,50
2016 1:46,40 1:46,51 1:46,77
2017 1 1:46,00 1:46,40 1:47,05
2018 1 1:45,95 1:46,35 1:47,03
2019 1 1:46,47 1:46,96 1:47,47
2020 1 1:46,51 1:47,15 1:47,98

Das deutsche Top-Niveau: 1.500 Meter

Jahr =/< 3:36,00* Schnitt
Top 3
Schnitt
Top 5
Schnitt
Top 10
2005 3:40,68 3:40,99 3:41,79
2006 3:38,86 3:39,33 3:40,78
2007 3:37,76 3:38,61 3:40,05
2008 1 3:37,02 3:38,27 3:40,02
2009 2 3:35,77 3:37,52 3:40,04
2010 1 3:36,25 3:37,82 3:39,86
2011 1 3:37,67 3:39,31 3:41,56
2012 2 3:35,59 3:37,42 3:40,05
2013 2 3:35,67 3:36,88 3:39,42
2014 3 3:33,82 3:35,92 3:39,28
2015 3:36,77 3:38,26 3:40,23
2016 1 3:36,21 3:37,02 3:39,14
2017 2 3:35,63 3:37,70 3:40,05
2018 3:36,97 3:38,17 3:39,73
2019 3:37,56 3:38,14 3:39,45
2020 3:38,39 3:38,90 3:40,58

Jahresbestleistungen im internationalen Vergleich: 800 Meter

Jahr Deutschland Europa Diff. Welt Diff.
2005 1:44,71 (Herms) 1:44,18 (Borzakovskiy/RUS) 0,53 1:43,70 (Bungei/KEN) 1,01
2006 1:45,26 (Herms) 1:43,42 (Borzakovskiy/RUS) 1,84 1:43,09 (Mulaudzi/RSA) 2,17
2007 1:45,89 (Herms) 1:44,37 (Milkevics/LET) 1,52 1:43,74 (Mulaudzi/RSA) 2,15
2008 1:45,66 (Schembera) 1:44,68 (Rimmer/GBR) 0,98 1:42,69 (Kaki/SUD) 2,97
2009 1:45,63 (Schembera) 1:43,59 (Som/NED) 2,04 1:42,01 (Rudisha/KEN) 3,92
2010 1:46,38 (Schembera) 1:44,68 (Rimmer/GBR) 2,49 1:41,01 (Rudisha/KEN) 5,37
2011 1:45,04 (Ludolph) 1:43,30 (Kszczot/POL) 1,74 1:41,33 (Rudisha/KEN) 3,71
2012 1:44,80 (Ludolph) 1:43,74 (López/ESP) 1,06 1:40,91 (Rudisha/KEN) 3,89
2013 1:45,69 (Lange) 1:43,76 (Bosse/FRA) 1,93 1:42,37 (Aman/ETH) 3,32
2014 1:45,79 (Krüger) 1:42,53 (Bosse/FRA) 3,26 1:42,45 (Amos/BOT) 3,34
2015 1:45,48 (Schembera) 1:42,51 (Tuka/BIH) 2,97 1:42,51 (Tuka/BIH) 2,97
2016 1:46,19 (Reuther) 1:43,41 (Bosse/FRA) 2,78 1:42,15 (Rudisha/KEN) 4,04
2017 1:45,22 (Reuther) 1:44,62 (Tuka/BIH) 0,60 1:43,10 (Korir/KEN) 2,12
2018 1:45,42 (Reuther) 1:43,65 (Ordonez/ESP) 1,77 1:42,05 (Korir/KEN) 3,37
2019 1:45,22 (Reuther) 1:43,47 (Tuka/BIH) 1,75 1:41,89 (Amos/BOT) 3,33
2020 1:44,93 (Reuther) 1:44,09 (Rowden/GBR) 0,84 1:43,15 (Brazier/USA) 1,78

Jahresbestleistungen im internationalen Vergleich: 1.500 Meter

Jahr Deutschland Europa Diff. Welt Diff.
2005 3:40,96 (Haschke) 3:30,80 (Baala/FRA) 9,59 3:29,30 (Lagat/USA) 11,09
2006 3:38,04 (Schlangen) 3:31,00 (Heshko/UKR) 7,04 3:29,02 (Komen/USA) 9,02
2007 3:36,54 (Schlangen) 3:31,01 (Baala/FRA) 5,53 3:30,54 (Webb/USA) 5,00
2008 3:34,99 (Schlangen) 3:32,00 (Baala/FRA) 2,99 3:31,49 (Komen/USA) 3,50
2009 3:33,92 (Eberhard) 3:30,96 (Baala/FRA) 2,96 3:29,47 (Choge/KEN) 4,45
2010 3:34,19 (Schlangen) 3:32,70 (Casado/ESP) 1,49 3:29,27 (Kiplagat/KEN) 4,92
2011 3:35,74 (Schlangen) 3:31,37 (Özbilen/TUR) 4,37 3:30,46 (Kiprop/KEN) 5,28
2012 3:33,64 (Schlangen) 3:33,32 (Özbilen/TUR) 0,32 3:28,88 (Kiprop/KEN) 4,76
2013 3:34,18 (Tesfaye) 3:28,81 (Farah/GBR) 5,37 3:27,72 (Kiprop/KEN) 6,46
2014 3:31,98 (Tesfaye) 3:31,46 (H.Ingebrigtsen) 0,52 3:27,64 (Kiplagat/KEN) 4,34
2015 3:36,05 (Orth) 3:28,93 (Farah/GBR) 7,12 3:26,69 (Kiprop/KEN) 9,36
2016 3:35,05 (Tesfaye) 3:31,74 (Farah/GBR) 3,31 3:29,33 (Kiprop/KEN) 5,72
2017 3:33,47 (Tesfaye) 3:32,48 (F. Ingebrigtsen/NOR) 1,01 3:28,80 (Manangoi/KEN) 4,67
2018 3:36,03 (Tesfaye) 3:30,01 (F. Ingebrigtsen/NOR) 6,02 3:28,41 (Cheruiyot/KEN) 7,62
2019 3:36,29 (Bartelsmeyer) 3:30,16 (J. Ingebrigtsen/NOR) 6,13 3:28,77 (Cheruiyot/KEN) 7,52
2020 3:38,04 (Tortell) 3:28,68 (J. Ingebrigtsen/NOR) 9,36 3:28,45 (Cheruiyot/KEN) 9,59


Das fällt auf:

  • Zum fünften Mal in Folge ist Marc Reuther zum Ende des Jahres schnellster deutscher 800-Meter-Läufer.
  • Dank der Steigerung von Marc Reuther auf 1:44,93 Minuten ist über 800 Meter der Abstand zur europäischen Spitze und zur Weltspitze deutlich kleiner geworden.
  • Der Top-10-Schnitt über 800 Meter ist trotz der Spitzenzeit von Marc Reuther schwächer geworden. Der Grund dafür ist der große Abstand von mehr als zwei Sekunden zu den nächstplatzieren Mittelstrecklern.
  • Marc Tortell ist erstmals die deutsche Nummer eins über 1.500 Meter.
  • Fünf DLV-Läufer blieben 2020 über 1.500 Meter unter der 3:40-Minuten-Marke. Allerdings blieben die Top-Zeiten unter 3:38 Minuten aus.
  • Der Abstand zur europäischen Spitze und Weltspitze über 1.500 Meter ist gestiegen. Grund dafür sind die Top-Zeiten von Europarekordler Jakob Ingebrigtsen und Weltmeister Timothy Cheruiyot.

leichtathletik.TV-Clips zur Mittelstrecke

800 Meter | 1.500 Meter

Zu den weiteren Disziplin-Checks:

Sprint Frauen
Sprint Männer
Langsprint Frauen
Langsprint Männer
Mittelstrecke Frauen

* als Referenzwert dienen die WM-Normen des Jahres 2017

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