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Marie-Laurence Jungfleisch: Mental gestärkt und voller Vorfreude aufs Comeback

Viele Jahre machte die Achillessehne Marie-Laurence Jungfleisch immer wieder zu schaffen. Im August 2019 zog sie sich einen Achillessehnenanriss zu und blieb dem Wettkampfgeschehen nun bald eineinhalb Jahre fern. Die Pause wusste sie zu ihrem Vorteil zu nutzen und ist nun bereit, wieder zwei Meter und höher zu springen.
Jane Sichting

Ihr letzter Wettkampf ist bald eineinhalb Jahre her. Und ihre Lust auf den nächsten größer denn je. „Ich will endlich wieder zeigen, was ich kann“, sagt Hochspringerin Marie-Laurence Jungfleisch (VfB Stuttgart) selbstbewusst. Nach einer vierwöchigen Pause steht sie wieder mitten im Training und sagt: „Mir geht es gut, ich habe keine Probleme mit der Achillessehne – was mich unheimlich erleichtert.“ Denn genau jene war es, die sie zur Wettkampfpause zwang und ihr das Springen nicht immer leicht gemacht hat.

Etwa bei den Deutschen Meisterschaften 2019 in Berlin. Zwar konnte die 30-Jährige dort ihren siebten Freiluft-Titel gewinnen, doch glücklich war sie mit einer Höhe von 1,90 Metern nicht. „Obwohl ich mich gut gefühlt habe, war ich energielos. Ich habe nicht verstanden, dass ich dort nicht höher springen konnte, obwohl ich viel besser drauf war.“ Als Grund vermutet sie heute die Einnahme eines entzündungshemmenden Schmerzmittels.

Vier Jahre lang hatte sie immer wieder Probleme mit der dicksten und stärksten Sehne des Menschen. Immer wieder war diese entzündet und gereizt. „Weil ich immer wieder Schmerzen hatte, habe ich damals bestenfalls alle zwei Wochen ein Hochsprung-Training gemacht. Das ist kein Zustand für eine Hochspringerin“, blickt Jungfleisch zurück. Und fügt hinzu: „Meine Technikeinheiten habe ich sozusagen im Wettkampf absolviert. Dabei sollte man sich auch auf etwas anderes konzentrieren als nur auf die Technik. Es geht auch um Höhe.“

Reha und Pyhsio früher unterschätzt

Einen schmerzhaften Höhepunkt fand diese Leidensmisere schließlich mit einem Achillessehnenanriss bei einem Wettkampf im August 2019 in Italien – knapp einen Monat vor der WM in Doha (Katar), für die sie bereits qualifiziert war. Was folgte waren viele Stunden Reha und Physiotherapie. Bis heute hat sie sich beides beibehalten und integriert es regelmäßig in ihren Trainingsplan. Mit einem Lachen sagt sie: „Ich bin jetzt 30 Jahre alt und kann nicht mehr durch die Gegend springen, ohne vorzubeugen. Das ist mir schon wichtig“.

Auch sonst hat sich einiges geändert für die Dritte der Europameisterschaften 2018 in Berlin. Denn nachdem auf die Verletzungspause und den Aufbau im Winter die Corona-Pandemie folgte, einhergehend mit Lockdown und der Absage der Olympischen Spiele in Tokio, entschied sich Marie-Laurence Jungfleisch gemeinsam mit ihrem Trainer Tamas Kiss dazu, trotz einer Late Season im Sommer 2020 keine Wettkämpfe mehr zu bestreiten.

Zwar war das zunächst sehr ungewohnt, nach 15 Jahren im gleichen Wettkampfrhythmus eine Saison lang nicht auf Höhenjagd zu gehen. Doch die Zeit tat der gebürtigen Pariserin nicht nur körperlich gut, sie profitierte auch mental von der Wettkampfabstinenz. Indem der Druck im Wettkampf wegfiel, konnte sie sich in dieser Phase entspannen und ganz auf sich selbst konzentrieren. „Ich muss auch zugeben, dass ich keine Wettkämpfe verfolgt habe und mich Ergebnisse von anderen nicht interessiert haben“, sagt sie.

Gesundheit ist das Wichtigste

Zudem gab ihr die Wettkampfpause über den Sommer Zeit, an Schwächen zu arbeiten und mit der Achillessehne komplett fit zu werden. „Auch habe ich viel an meiner Technik verändert“, verrät Jungfleisch – vor allem am Anlauf. Anstatt aus dem Stand loszulaufen und somit viel Druck auf die Sehne auszuüben, läuft sie nun mit einem kleinen Auftakt an.

Dass diese Einheiten schmerzfrei und regelmäßig möglich sind, wundert Marie-Laurence Jungfleisch manchmal noch immer. „Ich freue mich jeden Morgen, wenn ich ohne Schmerzen aufstehe. Irgendwann hatte ich mich daran gewöhnt und es war für mich eine normale Situation, unter Schmerzen zu springen.“ Sie habe gelernt, dass Gesundheit das Wichtigste ist, denn „nur so kann man die Leistung zeigen, die man draufhat.“

Und gelernt hat Marie-Laurence Jungfleisch in den vergangenen Monaten auch abseits des Trainingsgeschehens viel Neues. Weil es ihr wichtig ist, sich neben dem Sport ein zweites Standbein aufzubauen, suchte sie als ausgebildete Erzieherin eine neue Herausforderung und studiert inzwischen im fünften Semester Grundschullehramt. Zwar war das Sommersemester vom Corona-Lockdown eingeschränkt, doch konnte die angehende Lehrerin von der verkürzten Praktikumszeit profitieren. Ein bisschen mehr als die Hälfte der vorgesehenen acht Wochen Praxisphase hat sie bereits an der Lerchenrainschule Stuttgart absolviert.

„Der Sport hat mich gestärkt"

„Ich studiere Deutsch und Sport und im Nebenfach Mathe. Die meiste Zeit bin ich in einer ersten Klasse. Zudem betreue ich dort ein Projekt ‚Laufen, Springen, Werfen‘, welches ich mit einer vierten Klasse durchführe“, erzählt sie. Begeistert sei Marie-Laurence Jungfleisch davon zu sehen, wie schnell Kinder lernen und dass sie ihnen etwas beibringen kann. „Ich habe den gleichen Ehrgeiz, den ich im Sport habe, auch in der Schule. Ich möchte meine Ziele erreichen und selbst wissen, dass ich dafür geschaffen bin, Lehrerin zu sein. Dafür gebe ich mein Bestes“, sagt sie.

Darüber hinaus möchte sie den Schülern aber auch vermitteln, für sie da zu sein. „Sie sollen wissen, dass sie immer zu mir kommen können, wenn ihnen etwas auf dem Herzen liegt“, betont Jungfleisch. Aufgrund eigener schlechter Erfahrungen sei sie besonders bei Themen wie Mobbing und Rassismus sehr sensibel. Ihre eigene Lehrerin hatte sie damals nicht ernst genommen. Umso wichtiger war bereits damals der Sport: „Der Sport hat mich gestärkt, da gab es das Thema Rassismus nicht. Durch den Sport habe ich meine Stärken gefunden und auch mein Selbstbewusstsein zurückerlangt.“

„Stolz auf das, was ich bin“

Heute könne sie selbstbewusst behaupten: „Ich bin stolz auf das, was ich bin. Auch auf meine Hautfarbe.“ Und es ist nicht zuletzt diese positive Ausstrahlung, mit der Jungfleisch auch immer wieder das Publikum im Stadion begeistert. Ob sie dies im Winter bereits wieder beweisen kann, ist zwar aufgrund der Corona-Pandemie fraglich. Ziele hat Marie-Laurence Jungfleisch für die Hallen-Saison dennoch: „Wir haben keinen Plan B, wir trainieren so, als ob Wettkämpfe stattfinden würden.“

Und bei diesen möchte sie endlich wieder die zwei Meter angreifen. Zusammen mit ihrer Trainingsgruppe um Weitspringer Fabian Heinle, Weitspringerin Anna Bühler und Dreispringer Benjamin Gassioui kämpft sie für ihre Ziele und hofft auf eine Durchführung der Olympischen Spiele 2021. „Ich wäre unfassbar dankbar, wenn die Olympischen Spiele stattfinden. Auch wenn wir viele Kompromisse eingehen müssten. Es ist ein ganz großer Traum für viele, auf den man vier Jahre hintrainiert. Olympia ist das Highlight eines jeden Athleten.“

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