| "Wertvollste Jugend-Leistungen 2020"

Lucie Kienast: Allround-Talent mit großem Potenzial

Siebenkampf und Weitsprung – in der U20 zählt Lucie Kienast in beiden Wettbewerben zur Weltklasse. Ihr 6.009-Punkte-Mehrkampf im Juli in Halle/Saale wurde jetzt von einer Experten-Jury als "Wertvollste Jugend-Leistung der Leichtathletik im Jahr 2020“ ausgezeichnet. Er dürfte nur der Auftakt gewesen sein für eine Karriere, die auch bei den Frauen bis in die Weltspitze führen soll.
Silke Bernhart

Am liebsten hätte sie der Surflehrer im Urlaub an der Ostsee gleich dabehalten. „Ihre Tochter muss unbedingt Windsurfen, sie ist so talentiert“, hatte dieser damals ihrer Mutter gesagt, erinnert sich Lucie Kienast und lacht. „Meine Mutter hat ihm dann gesagt, dass wir in Sachsen-Anhalt wohnen – wie sollte das gehen?!“

Szenen wie diese begleiten die junge Athletin vom SV Halle, seit sie denken kann: Was immer sie im Sport angepackt hat, hat funktioniert. Fußball, Handball, Tennis, Schwimmen: Überall kam schnell ihr Talent zum Vorschein, sodass alle Trainer sie in der Sportart halten wollten. Zur Leichtathletik brachten sie Freunde ihrer Mutter – und dort ist sie geblieben.

Was für ein Glück, möchte man sagen, denn welches Potenzial in ihr schlummert, das hat Lucie Kienast spätestens in diesem Sommer eindrucksvoll unter Beweis gestellt: Mit ihren 6.009 Punkten im Siebenkampf ist die 19-Jährige in diesem so besonderen Corona-Jahr die Nummer eins der Welt in der U20. Und führte zum Ende der Hallensaison mit 6,48 Metern auch die Hallen-Weltrangliste der U20 im Weitsprung an.

Internat-Auszug aufgrund von Corona

Dabei lief die Saison auch für die junge Leichtathletin ganz anders als geplant. Das Trainingslager in Südafrika – nach zwei Tagen abgebrochen. Die Unterkunft im Internat in Halle/Saale – während des ersten Lockdowns nicht mehr zur Verfügung. So musste Lucie Kienast zunächst zurück zur Familie ins rund 60 Kilometer entfernte Sylda ziehen. „Jeden Tag bin ich dann gependelt, früh morgens mit der Bahn nach Halle und nachmittags zurück.“

Und das war nicht die einzige Veränderung in ihrem Trainingsalltag. Schon für das Trainingslager in Südafrika war geplant gewesen, dass sie bei Bundestrainer Wolfgang Kühne gemeinsam mit Hürdensprinterin Cindy Roleder (SV Halle) trainiert. Zurück in der Heimat stand ihr eigentlicher Coach Kai Dockhorn zunächst nicht zur Verfügung, und so blieb’s beim Training mit Wolfgang Kühne. Welches ihr schließlich so gut gefiel, dass Lucie Kienast das Gespräch suchte und aus der zeitweiligen Zusammenarbeit ein neues Team wurde.

Siebenkampf mit viel Luft nach oben

Schon gleich der erste gemeinsame Siebenkampf katapultierte die 1,91 Meter große Modell-Athletin in eine neue Dimension: Auf der Heim-Anlage in Halle-Saale feierte Lucie Kienast mit 6.009 Punkten ihren ersten 6.000er – in der U20 eine Weltklasse-Marke, die in Deutschland zuletzt 2011 Sara Gambetta beim Gewinn von U20-EM-Silber überbieten konnte.

Eigentlich sollte dieser Wettkampf nur der Auftakt sein. „Die 6.000 Punkte waren für die Saison schon mein Ziel. Aber ich hätte nicht gedacht, dass es direkt beim ersten Siebenkampf so gut laufen würde“, erklärt Lucie Kienast. „In Halle hatte ich eigentlich gar keine Konkurrenz, bin quasi die Hürden, die 200 und auch die 800 Meter allein gelaufen. In Vaterstetten wäre daher noch einiges mehr drin gewesen.“

Verletzung bei der DM in Braunschweig

Zum Auftritt bei der Mehrkampf-DM in Vaterstetten sollte es jedoch nicht mehr kommen: Anfang August bei den Deutschen Einzel-Meisterschaften in Braunschweig zog sich Lucie Kienast im Weitsprung eine schwere Fußverletzung zu, die Plantar-Faszie unter dem Fuß war angerissen und die junge Athletin danach zwei Wochen auf Krücken angewiesen. „Es fällt mir super schwer, die Füße stillzuhalten“, berichtet sie, „aber ich wollte so ein Horrorszenario nicht nochmal erleben und wusste, dass ich den Fuß daher auf keinen Fall zu früh belasten darf.“

Rund vier Monate liegt diese Verletzung nun zurück, und das Stillhalten des Fußes hat sich gelohnt: „Mir geht es sehr gut, die Verletzung ist komplett ausgeheilt und ich konnte ganz normal in die Saison-Vorbereitung auf 2021 einsteigen“, berichtet Lucie Kienast.

Nahziel U23-EM, Fernziel Olympia

Das Jahr 2021 dürfte für die 19-Jährige kaum weniger aufregend werden. Denn zum einen steht im Frühjahr das Abitur auf dem Programm. Und zum anderen warten jede Menge sportliche Highlights, von denen zunächst die U23-EM in Bergen (Norwegen) das greifbarste Ziel darstellen dürfte.

„Der Gedanke an die Olympischen Spiele ist schon cool“, sagt Lucie Kienast, „auf jeden Fall will ich da irgendwann dabei sein, aber für 2021 wäre das vielleicht etwas zu weit vorgegriffen. Da muss noch viel passieren, und ich bin jemand, der gerne von Tag zu Tag schaut, und eher der Fan von Etappenzielen.“

Vielseitige Ausbildung für zweigleisige Wettkämpfe

So liegt der Fokus zurzeit ganz konkret auf der Verbesserung der Hochsprung-Leistung, wo sie bisher bei 1,75 Meter angekommen ist „Wenn man meine Weitsprung-Bestleistung betrachtet und auch meine Größe, dann ist da noch einiges drin“, weiß Lucie Kienast – und auch, dass sie das vielfältige Training ebenso in Einzeldisziplinen voranbringen wird. „Man kann im Mehrkampf nicht immer an allem arbeiten. Aber die Bewegungsabläufe und Rhythmen sind oft ähnlich, und wenn wir am Hochsprung feilen, dann wirkt sich das auch auf den Weitsprung aus.“

Siebenkampf und Weitsprung – diese Kombination will Lucie Kienast auf jeden Fall beibehalten. Und in beiden Wettbewerben daran arbeiten, mit verbesserter Technik ihr Potenzial noch weiter auszuschöpfen. Dafür wird sie nach dem Abitur ganz auf die Karte Leistungssport setzen und sich der Sportfördergruppe der Bundeswehr anschließen. Und dafür hat sie jetzt in der Nähe ihrer Trainingsstätten auch ihre eigene Wohnung bezogen.

Denn so aufregend man sich vielleicht ein Leben am Meer und eine Karriere im Windsurfen vorstellen mag: Lucie Kienasts Herz schlägt für die Leichtathletik. Und dort hat sie in Halle/Saale die besten Voraussetzungen, um es bis ganz in die Weltspitze zu schaffen.

Die Jury-Entscheidung für die "Wertvollste Leistung 2020" in der weiblichen Jugendklasse

„Lucie Kienast hat in einer so komplexen und herausfordernden Disziplin wie dem Siebenkampf einen Spitzenwert erzielt, der gleichbedeutend ist mit Medaillen-Potenzial bei internationalen Jugendmeisterschaften. Und das, obwohl sie während des Lockdowns aus dem Internat in Halle/Saale ausziehen und täglich 60 Kilometer bis zum Training pendeln musste. Besonders für den Mehrkampf waren die Voraussetzungen in diesem Jahr schlecht, sie konnte sich dennoch um 350 auf mehr als 6.000 Punkte steigern.“

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