| Interview der Woche

Bo Kanda Lita Baehre: „Ich mache den Sport nicht für den Applaus“

Hinter Stabhochspringer Bo Kanda Lita Baehre liegt ein bemerkenswerter Sommer. Nicht nur wegen einer Pandemie, die die Welt auch heute noch in Atem hält. Sondern auch, weil es den blanken Zahlen nach der bislang beste Sommer in der Karriere des WM-Vierten war. Im Interview schaut der 21-Jährige kurz zurück auf ein zwiespältiges Jahr, erklärt, warum er kein Mensch ist, der gerne im Mittelpunkt steht und warum er die Kraft der Gedanken nicht unterschätzt.
Alexandra Dersch

Bo Kanda Lita Baehre, das Jahr 2020 – es wird wohl in vielerlei Hinsicht in Erinnerung bleiben. Klar, die ganze Welt fand sich plötzlich in einem globalen Ausnahmezustand wieder. Für Sie war es aber dennoch ein sportlich erfolgreiches Jahr. Ich denke da alleine an den August, in dem Sie die drei besten Wettkämpfe Ihrer bisherigen Karriere abgeliefert haben. Woran denken Sie gerne zurück?

Bo Kanda Lita Baehre:

Da gab es einige Punkte. Es war eine spektakuläre Saison. Ich war extrem glücklich, dass trotz der Corona-Pandemie eine Saison auf die Beine gestellt werden konnte, dass ich bei Wettkämpfen und auch bei Deutschen Meisterschaften an den Start gehen konnte und meine Bestleistung auf 5,81 Meter schrauben konnte. Dennoch – ich blicke auch mit etwas Wehmut zurück, denn am Ende der Saison habe ich mich leicht verletzt und konnte daher nicht vollends zeigen, was wirklich in mir steckt. Ich glaube, es hätte sonst noch höher gehen können. Das fühle ich.

Sie hatten leichte Probleme mit dem Oberschenkel. Inwieweit sind die Probleme ausgestanden?

Bo Kanda  Lita Baehre:

Ich konnte den ganzen Winter gut trainieren. Nach der Saison habe ich erstmal Pause gemacht und meinem Körper etwas Ruhe gegönnt. Zuvor habe ich einfach etwas zu wenig auf mich geachtet, daher rührte die Verletzung. Das habe ich jetzt gelernt.

Das Jahr 2020 hat uns alle auch gelehrt, dass nicht alles immer planbar ist. Dass wir flexibel sein müssen. Und Wettkämpfe im Zweifel auch ohne Zuschauer über die Bühne gehen müssen, wenn wir unseren Sport dennoch weiter stattfinden lassen wollen. Inwieweit hat es Sie irritiert, sich plötzlich allein im Stadion bei einem Wettkampf wiederzufinden?

Bo Kanda Lita Baehre:

Zuschauer motivieren – keine Frage. Aber ich bin von dieser Motivation nicht abhängig. Wenn ich in ein Stadion reinkomme und die Ränge sind voll, die Stimmung ist super – dann ist das ein tolles Gefühl. Aber ich sag Ihnen ganz ehrlich: In Braunschweig bei den Deutschen Meisterschaften zu stehen und vor leeren Rängen zu springen, meine Stimme durchs Stadion schallen zu hören – das hatte auch was. Ich fand das auch motivierend. Ich brauche keine Motivation von außen. Meine Motivation kommt aus mir heraus. Ich mache das alles für mich. Nicht für den Applaus. Nicht für die Zuschauer. Ich will für mich so gut wie möglich und damit auch so hoch wie möglich springen.

Sie sagen gerade, Sie machen es nicht für den Applaus. Das passt zu einem Zitat, das ich in einem anderen Interview von Ihnen gelesen habe. In der „FAS“ haben Sie sinngemäß gesagt, dass Sie nicht als Leichtathlet gesehen werden wollen. Als was denn dann?

Bo Kanda Lita Baehre:

Ich will nicht nur auf das Sportliche reduziert werden. Das war schon früher im Basketball so und ist jetzt auch in der Leichtathletik ähnlich. Ich würde mich selber als liebe, als hilfsbereite Person beschreiben, und so möchte ich auch von meinem Umfeld gesehen werden. Der Sport ist mein Alltag, keine Frage, aber genau deshalb möchte ich nach dem Training nicht auch nur über den Sport reden. Dieses im Mittelpunkt stehen und über meine Erfolge reden – das mag ich gar nicht.

Wie unangenehm sind Ihnen dann Interviews wie dieses hier?

Bo Kanda Lita Baehre:

Interviews sind eine andere Ebene. Da ist es ganz anders, die mag ich. Sie helfen mir sogar, über das, was war, zu reflektieren und Dinge zu verarbeiten. Ich hake Sachen sonst immer ganz schnell ab. Wie etwa auch den deutschen Meistertitel. Klar, in dem Moment freue ich mich. Aber schon am Tag danach, denke ich: Weiter geht’s, nicht stehenbleiben, das war nur ein Zwischenschritt. In Interviews kann ich dann noch einmal zurückblicken und mit etwas Abstand über die Dinge reden, das tut auch gut.

Ich erlebe Sie jetzt im Gespräch als sehr nahbar – sehr passend auch zu Ihrer eigenen Beschreibung Ihres Charakters. In den sozialen Medien oder auch auf Wettkämpfen sieht man Sie aber auch viel in coolen Posen und mit verspiegelter Sonnenbrille. Ist das in dem Moment ein Signal an die Konkurrenz, oder die Haltung, die Sie vor und während eines Wettkampfes brauchen, um erfolgreich zu sein?

Bo Kanda Lita Baehre:

Menschen, die mich nicht gut kennen, denken ganz schnell, ich sei so unglaublich selbstbewusst oder gar arrogant. Das war schon früher in der Schule so, da haben das manche Lehrer auch über mich gesagt. Das habe ich nie verstanden, denn ich war nie jemand, der über seine Erfolge geredet hat. Wie gesagt, das ist gar nicht mein Ding im Privaten. Und die Brille – ja, die sieht cool aus, aber der Grund, warum ich sie trage, ist vielmehr der: Ich hatte bei meiner Geburt auf dem linken Auge grauen Star und musste schon früh an der Linse operiert werden. Auf dem Auge habe ich weniger Sehkraft und es ist deutlich empfindlicher als das andere Auge. Das merke ich gerade bei Sonneneinstrahlung. Im Stabhochsprung muss ich aber gut sehen können und darf mich nicht irritieren lassen – daher ist die Brille allein schon aus gesundheitlichen Gründen wichtig für mich.

Sich nicht irritieren zu lassen – das ist ein gutes Stichwort. Was ist aus Ihrer Sicht noch wichtig, um ein erfolgreicher Stabhochspringer zu sein?

Bo Kanda Lita Baehre:

Der Stabhochsprung ist so vielschichtig, das ist auch für mich der große Reiz an dieser Disziplin. Kraft, Sprintfähigkeit und Technik auf der einen Seite. Aber was für mich fast der größte Schlüssel ist, das ist die mentale Ebene. Zum einen für den Sprung selber. Zum anderen aber auch über den gesamten Wettkampf hinweg. Überlegen Sie mal, so ein Wettkampf, der kann sich ewig ziehen. In dieser Zeit die Konzentration, die Motivation hochzuhalten und dann, wenn du wieder am Anlauf stehst, bereit zu sein – das ist eine enorme Herausforderung. Diese psychische Anspannung reizt mich immer wieder neu. Es ist ein permanenter Kampf gegen mich selber – in diesem gleichzeitigen Wettkampf gegen die anderen Springer.

Wo sehen Sie für sich persönlich noch am meisten Luft nach oben?

Bo Kanda Lita Baehre:

Ich bin technisch noch nicht ausgereift. Daran arbeite ich gerade auch intensiv. Zum einen natürlich mit meiner Trainerin Christine Adams, zum anderen aber auch immer mal wieder mit unserem Bundestrainer Andrei Tivonchik. Es ist eine Arbeit im Detail, aber das mag ich. Und es ist auch ein gutes Gefühl zu wissen, dass ich noch ganz viel lernen kann, denn ich will noch ziemlich hoch springen.

In Ihrer Disziplin müssen Sie sich mit einem der neuen Superstars der Leichtathletik messen: dem Schweden und Weltrekordler Armand Duplantis. Ist das Fluch oder Segen, einen wie ihn im direkten Vergleich zu sehen?

Bo Kanda Lita Baehre:

Ein Segen. Ganz klar! Ich kenne ihn schon lange, schon aus unserer Jugend. Gegen ihn zu springen, pusht mich. Ich bin niemand, der bewundernd an der Anlage steht, wenn er springt und ihn auf einen Sockel hebt. Bewunderung ist in meiner Position völlig falsch. Ich will ihn schlagen. Jedes Mal, wenn ich auf ihn treffe. Er ist nicht unantastbar. Das sage ich mir immer wieder, denn die Kraft der Gedanken, die sollte man auch nie unterschätzen.

Mit welchen Gedanken blicken Sie nun in Richtung einer möglichen Hallensaison?

Bo Kanda Lita Baehre:

Mit sehr zuversichtlichen Gedanken. Ich plane mit wenigen Starts, wie etwa den Wettkämpfen beim Düsseldorfer und Berliner Istaf STAF Indoor, mit den Deutschen Hallenmeisterschaften und der Hallen-EM. Dann richte ich meinen Blick auf den Sommer.

... und die Olympischen Spiele…

Bo Kanda Lita Baehre:

Absolut. Wobei ich sagen muss, dass Olympische Spiele für mich nicht diesen alles überragenden Stellenwert haben, wie das manche andere Athleten sehen. Sprich, sie sind für mich genauso wichtig wie alle anderen internationalen Meisterschaften. Ich mache da keinen Hype drum und bin daher im letzten Sommer auch in kein Motivationsloch gefallen, als sie verschoben wurden. Dieses Jahr wird so oder so ein besonderes Jahr für mich. Es ist mein letztes Jahr in der Klasse U23 – nichtsdestotrotz werde ich auf die U23-EM verzichten, das habe ich schon mit meiner Trainerin so besprochen. Ich bin da Titelverteidiger, aber ich möchte mich auf meinen Start in Tokio konzentrieren und mich da nicht verzetteln. Denn ich möchte auf hohem Niveau springen und das bedeutet für mich, vorne mitzumischen und nicht nur teilnehmen.

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