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Jonas Wagner – Dank breiter Basis endlich bereit für große Höhen

Sieben DLV-Athletinnen und Athleten haben bei der Hallen-DM in Dortmund ihre ersten Titel auf nationaler Ebene gewonnen, einige von ihnen überraschten damit sich, favorisierte Konkurrenz und die Zuschauer, die coronabedingt wieder „nur“ per Livestream dabei sein konnten. Wir stellen sie vor, heute Hochspringer Jonas Wagner (Dresdner SC 1898).
Jan-Henner Reitze

Jonas Wagner
Dresdner SC 1898

Bestleistung:

Hochsprung: 2,24 m (2019) Halle: 2,28 m (2021)

Erfolge:

Sechster U23-EM 2019
Deutscher Hallenmeister 2021

Er gehörte zu den Überraschungssiegern in Dortmund. Dabei verfolgt Jonas Wagner schon seit vielen Jahren das Ziel, sich national ganz nach vorn zu arbeiten und ins Nationaltrikot zu schlüpfen. Neben Ehrgeiz und Leidenschaft war auf diesem Weg vor allem Geduld gefragt, denn in den Jugendklassen war ihm die gleichaltrige Konkurrenz körperlich immer überlegen. Da half dem Hochspringer, der noch auf einen Wachstumsschub wartete, auch sein großes Bewegungsgefühl und die ausgefeilte Technik nur bedingt weiter.

Bei der Hallen-DM wendete sich das Blatt erstmals so richtig. Trotz durch Corona erschwerter Trainingsbedingungen verbesserte der Dresdner gleich dreimal innerhalb eines Wettkampfes seine Hallenbestleistung bis auf die Siegeshöhe von 2,28 Meter. Damit war auch noch die Norm für die Hallen-EM in Torun (Polen) erfüllt. Bei seiner ersten internationalen Meisterschaft in der A-Nationalmannschaft klappte es dann noch nicht mit dem Finale. In die Sommervorbereitung nimmt der deutsche Hallenmeister aber vor allem die Sicherheit mit, Höhen deutlich jenseits seiner Freiluft-Bestleistung (2,24 m) drauf zu haben.

Dass ein erster Bezug zur Leichtathletik über die Familie zu Stande gekommen ist, trifft auf eine Reihe von Top-Athletinnen und -Athleten zu. Die Familie Wagner aus Weißwasser setzt in Sachen Sportlichkeit aber noch einen drauf. Bei ihr war nicht die Frage, wann im Alltag Sport stattfand, denn dies war schlichtweg immer der Fall. Es galt die Reihenfolge der Sportarten im Tagesablauf zu ordnen.

Sport das Zentrum des Familienlebens

Mutter Steffi und Vater Rüdiger arbeiteten beide als Sportlehrer, waren selbst in der Leichtathletik, im Handball oder Volleyball aktiv, dazu auch noch als Trainer. Zu den sportlichen Erfolgen in der Leichtathletik von Steffi Wagner zählt beispielsweise der Sieg bei den European Masters Games 2015 in Nizza (Frankreich) in der Altersklasse W45 über 80 Meter Hürden (14,53 sec), Rüdiger Wagner war 2013 deutscher Seniorenmeister in der M50 im Hochsprung (1,70 m). In dieser Disziplin probierte sich auch Sohn Jonas sehr früh, der damit auch seinem großen Bruder Jakob nacheiferte. Jakob konzentriert sich heute übrigens als Torwart aufs Handball spielen.

„Als ich fünf war, habe ich in Niesky erstmals an einem kleinen Hochsprung-Wettkampf teilgenommen. Das lief ganz gut und hat mir Spaß gemacht. Es ist einfach eine coole Bewegung“, erzählt Jonas Wagner. Damit war auch eine Wochenendbeschäftigung gefunden. Die Familie Wagner ging nicht in den Zoo oder auf den Spielplatz, sondern in die Sporthalle. „Da habe ich mit meinen Eltern Hochsprung geübt.“

Natürlich war er damals noch nicht auf diese Disziplin festgelegt. „In meinem ersten Verein, der TSG Kraftwerk Boxberg/Weißwasser, habe ich alle Leichtathletik-Disziplinen gemacht. Mein Trainer von damals, Wolfgang Petsch, ist bis heute noch der Meinung, ich sei ein Mehrkämpfer. So langsam hat er ein Einsehen“, so der Hochspringer, der auch an der Basketball-AG seines Vaters teilnahm und sportlich alles Mögliche ausprobierte. „Man kann mir auch heute noch einen Volleyball oder Handball in die Hand geben, nur Fußball können doch viele besser als ich.“

Ziel Leistungssport früh gesetzt, Körpergröße lange ein Nachteil

Im Alter von 12 Jahren legte sich Jonas Wagner fest, im Hochsprung etwas erreichen zu wollen. „Da habe ich Raúl Spank bei der WM 2009 in Berlin im Fernsehen die Bronzemedaille gewinnen gesehen. Er hat in Dresden trainiert. Von da an wollte ich auch in die Gruppe von Jörg Elbe.“ Der erste Schritt in diese Richtung ergab sich parallel. Denn mit Rico Martick wurde der damalige Jugendkoordinator der Dresdner Sportschule bei einem Sportfest auf den Nachwuchsathleten aufmerksam. Der entschied sich 2010 ins 100 Kilometer entfernte Internat in der sächsischen Landeshauptstadt umzuziehen. Und auch Kontakt mit Jörg Elbe entstand bald darauf.

„In meinem ersten Jahr in Dresden hatte ich noch nichts mit ihm zu tun. Dann hat er einmal in der Woche ein Hochsprungtraining für alle jüngeren Athleten angeboten“, erinnert sich Jonas Wagner. „Viel später hat mir Jörg Elbe dann erzählt, dass er schon damals genau auf mich geschaut hat, weil ich meine Körpergröße von 1,69 Metern um mehr als 20 Zentimeter überspringen konnte.“

Diese große Sprungkraft war schon immer auffällig, allerdings reichte sie nicht aus, um die im Vergleich zur Konkurrenz fehlende Größe auszugleichen. In seinem ersten U18-Jahr meisterte der Nachwuchsathlet beispielsweise 1,94 Meter und lag damit in der DLV-Bestenliste dieser Altersklasse auf Rang 18. Erstmals 2,00 Meter übersprang er erst im zweiten U20-Jahr 2016 und arbeitete sich mit 2,05 Metern als Neunter schon in die Top Ten der DLV-Bestenliste vor.

„Das ist nur vorübergehend, irgendwann kann ich wieder gewinnen"

„Schon als Kind war ich sehr ehrgeizig und unausstehlich, wenn ich nicht gewonnen hatte. Es hat mich später auch geärgert, wenn ich einem Konkurrenten beim Gewinnen zuschauen musste, der offensichtlich eine schlechtere Technik hatte als ich“, erzählt der Dresdner. „Diese Zeit hat mich aber auch wichtige Lektionen gelehrt. Ich habe mich auf mich selbst konzentriert und wollte mich verbessern. Im Hinterkopf war aber immer die Hoffnung: Das ist nur vorübergehend, irgendwann kann ich wieder gewinnen.“

Um rauszufinden, ob der Traum von der Hochsprungkarriere an den körperlichen Voraussetzungen scheitern könnte, ließ sich der damalige Oberstufenschüler sogar untersuchen. Nach einigem Hin und Her war das Ergebnis der Uniklinik Dresden vielversprechend. Dort wurde ihm eine Körpergröße von 1,88 Meter prognostiziert, die er sogar noch um fünf Zentimeter übertraf.

Physikstudium und erstes Achtungszeichen bei U23-EM

Der Wille, dass die bisherigen Anstrengungen nicht umsonst gewesen sein sollten, die voranschreitende Leistungsentwicklung, genauso wie das versprochene, einsetzende Wachstum sowie das Potential, das Jörg Elbe in Jonas Wagner erkannte, all das trug dazu bei, dass es auch nach dem Schulabschluss mit dem Hochsprung weiterging. Außerdem nahm der Abiturient ein Physikstudium auf.

„Das habe ich anfangs etwas falsch eingeschätzt. In der Schule hatte ich immer aus dem Unterricht viel mitgenommen, an der Uni muss man sich nach der Vorlesung hinsetzen, um alles zu verstehen.“ Unter anderem um damit zurechtzukommen, tauscht sich der Hochspringer mit seinem zwei Jahre älteren Trainingspartner Bastian Rudolf (Dresdner SC 1898) aus, der ähnliche Erfahrungen gemacht hat. Nach einer verlängerten Studienzeit von bisher viereinhalb Jahren steht aktuell die Bachelorarbeit an. Abgabetermin ist im Juni.

Seine Fachkenntnisse aus der Physik haben durchaus auch mit Hochsprung zu tun. „Bei Kaderlehrgängen hat Bundestrainer Hans-Jörg Thomaskamp aufgehört, Fachbegriffe zu umschiffen“, berichtet der Student. „Ich habe auch weniger Berührungsängste mit den vielen Zahlen auf den Auswertungszetteln der Leistungsdiagnostik von Kontaktzeiten bis Kniewinkel. Etwas im Zusammenhang mit Hochsprung ausgerechnet, habe ich aber noch nie. Das Umzusetzen hat doch mehr mit Intuition und Bewegungsgefühl zu tun.“

Trotz Corona-Krise Entwicklung fortgesetzt, Olympia das Ziel

Das blieb erhalten und endlich ging es neben der mittlerweile erreichten Körpergröße von 1,93 Metern auch mit den Kraftwerten voran. In den ersten beiden U23-Jahren gelang über 2,10 Meter die Steigerung auf 2,15 Meter. 2019 belohnte sich der damals 22-Jährige dann erstmals für sein Durchhaltevermögen und schloss zur internationalen Konkurrenz seines Alters auf. Nach der Verbesserung auf 2,24 Metern belegte er bei der U23-EM in Gävle (Schweden) mit 2,20 Metern den sechsten Platz, mit dem DM-Titel der U23 in Wetzlar waren auch die aus den Jugendklassen übriggebliebenen Gegner erstmals alle besiegt.

Nach einem auch durch Corona schwierigen Jahr 2020 und teilweise nur Training auf dem Feldweg oder im heimischen Garten ist mit der Steigerung auf 2,28 Meter bei der Hallen-DM nun auch Tuchfühlung zur internationalen Spitze bei den Männern aufgenommen. „Leider konnte ich diese Leistung bei der Hallen-EM nicht replizieren. Es war in Torun ein schlechter Wettkampf, der mich aber nicht in den Grundfesten meines Vertrauens erschüttert hat“, erzählt Jonas Wagner. „Mit ist im Winter schon einiges gut gelungen, daran möchte ich in der Sommersaison anknüpfen.“

Eine Baustelle ist die Geschwindigkeit. Im Winter bestand der Anlauf nur aus sieben Schritten, es sollen wieder elf werden. „Bei der Lattenüberquerung will ich meine Beine besser zusammenführen, damit die eine Hüftseite nicht runterfällt“, nennt der Hallenmeister eine weitere Stellschraube, genauso wie eine Wippbewegung in den Fußgelenken im Anlauf abzustellen. Erklärtes Ziel sind die 2,30 Meter, die Olympischen Spiele in Tokio (Japan) nicht außer Reichweite. Im Worldranking steht der Dresdner aktuell auf Rang 73. Für die Qualifikation per Norm sind 2,33 Meter gefordert.

Video: Jonas Wagner krönt ersten Titel mit Hallen-EM-Norm
Video-Interview: Jonas Wagner: "Ich schwebe unter der Decke"

Das sagt Bundestrainer Hans-Jörg Thomaskamp

Von Jonas bin ich begeistert. Er hat in schwierigen Zeiten im stark von pandemiebedingten Einschränkungen betroffenen Sachsen eine großartige Entwicklung gemacht. Schon bei einer Diagnostik-Einheit auf dem Leverkusener Messplatz vor der Hallen-DM hat sich eine hohe Leistungsfähigkeit angedeutet. Damit kam das Ergebnis von Dortmund nicht aus heiterem Himmel.

Jonas zeichnet sein sehr ausgeprägtes Sprungvermögen aus. Auffallend ist, dass seine Abläufe in der Absprungvorbereitung ungewöhnlich gut sind. Das versetzt ihn in die Lage, mit einer hohen vertikalen Geschwindigkeit in die Höhe zu springen. Reserven sind noch in der horizontalen Geschwindigkeit. Er ist ein Spätentwickler, der nicht den klassischen Weg über Jugenderfolge mit internationalen Meisterschaften gegangen ist. Er ist erst über die U23 ins Rampenlicht getreten. Das hat Vorteile, als Spätentwickler ist eine gute Grundlage gelegt. Da er von der naturwissenschaftlichen Seite kommt, kann man mit ihm auf dieser Ebene sehr gut kommunizieren. Er ist in der Lage mit Messgrößen umzugehen und kann Bewegungsdetails gut umzusetzen. Das ist ein großer Vorteil, den er mitbringt.

Der Weg Richtung 2,30 ist eingeschlagen. Die Biomechanik-Auswertung bei der Hallen-DM hat gezeigt, dass diese Höhe möglich ist. Wenn Jonas gut durch die Vorbereitung kommt, wäre auch eine noch größere Höhe kein Wunder, die in den Bereich der Supernorm für die Olympischen Spiele geht. Langfristig setze ich große Hoffnungen in ihn. Jonas kann sich in den nächsten Jahren auf der internationalen Bühne zeigen.

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