| Masters-Leichtathletik

Sandra Morchner nimmt nach Marathon-Coup den W50-Rekord im Halbmarathon ins Visier

„Wer läuft da so spät durch Nacht und Wind?“ Es ist die Sandra … Etwas frei interpretiert aus dem Erlkönig von Johann Wolfgang von Goethe, aber irgendwie doch zutreffend. Die Rede ist von Sandra Morchner. Die 50-jährige Läuferin aus Wenningstedt auf der Nordseeinsel Sylt mischt seit einem knappen Jahrzehnt die Laufszene auf und sorgt mit ihren spektakulären Leistungen für ungläubiges Staunen in der Community. Zuletzt lief die für das Laufteam Kassel startende Norddeutsche beim Berlin-Marathon fantastische 2:39:36 Stunden über die 42,192 Kilometer.
Jörg Valentin

Die Nordsee-Insel Sylt gilt gemeinhin als die Insel der Schönen und Reichen. Das nordfriesische Eiland, das für viele prätentiöser Sehnsuchtsort mit dem Charme des Rauen und Verwegenen darstellt. Hier, wo sich ein Jeder über den Tag nur mit einem kurzen „Moin, Moin“ grüßt, da lebt, wohnt und arbeitet Sandra Morchner. Wer aber ist die Person, die wie Phönix aus der Asche im Zenit ihres Lebens den mitunter steinigen Weg zum Laufolymp bestiegen hat?

Erst mit Ende 30 startete Morchner so richtig durch. Bis dahin machte sie eher als „Fitnessqueen“ denn als „Laufkönigin“ von sich reden. Aber mit der Teilnahme an einem Staffellauf wurde das Interesse fürs Laufen geweckt. Irgendwann reduzierte Morchner ihre Arbeitszeit auf eine halbe Stelle und steigerte zugleich das Laufpensum. Als dann auch noch der ehemalige Marathon-Bundestrainer Winfried Aufenanger – dessen Tod am vergangenen Wochenende für tiefe Bestürzung in der Lauf- und Leichtathletik-Familie sorgte – auf die Spätberufene aufmerksam wurde, kam schnell Eigendynamik in den Entwicklungsprozess der damals Mitvierzigerin.

Beim Berlin Marathon zweitbeste deutsche Läuferin

Altersklassenbestzeiten und Meisterschaftstitel sammeln gehört für die Bürokauffrau mittlerweile zum guten Stil. Selbst für die Langstrecken-DM der Aktiven über 10.000 Meter in Mainz im Mai hatte sich Sandra Morchner als älteste Teilnehmerin mit einer 35er-Zeit qualifiziert und sich den Respekt der durchweg jüngeren Konkurrenz erworben. Da kam der Rekordlauf von Baunatal über 5.000 Meter bei der Senioren-DM mit neuer nationaler Bestzeit in der Altersklasse W50 mit 17:13,40 Minuten schon wie selbstverständlich daher.

Schneller, immer schneller so lautet das Motto der Sylterin. So verwundert es denn auch niemanden mehr, dass Sandra Morchner Ende September auch in Berlin für Furore sorgte. Als zweitbeste Deutsche und 19. im Gesamteinlauf gelang ihr mit der Zeit von 2:39:36 Stunden dabei das Kunststück, die eigenen Vorgaben um zwei und ihre persönliche Bestzeit gleich einmal um sieben Minuten nach unten zu drücken.
 

Sandra Morchner im Interview

Nach Berlin ist vor der Halbmarathon-DM am kommenden Sonntag (17. Oktober) in Hamburg und der 10-Kilometer-DM im niedersächsischen Uelzen am 31. Oktober. Wie beurteilt die sturmerprobte und erdverwachsene Insulanerin ihre Chancen für die kommenden Meisterschaftsaufgaben? Laufjournalist Jörg Valentin hat für leichtathletik.de mit ihr gesprochen.

Sandra Morchner, in einem Alter, in dem andere eher ans Aufhören oder abtrainieren denken, sind Sie erst zum Laufsport gekommen. Was hat Sie fürs Laufen begeistert?

Sandra Morchner:

Sport war schon immer ein fester Bestandteil in meinem Leben. Im Fitnessstudio und als Kind beim Ballettunterricht habe ich meine Grundlagen gesetzt. Zum Laufen bin ich zuerst auf dem Laufband im Studio gekommen, später habe ich dann die Vorzüge des Laufens in der Natur für mich entdeckt. Gerade hier auf Sylt lebt man und läuft man mit und in der Natur. Das Gefühl ist einfach eine Erfüllung für mich.

Sie wohnen, arbeiten und leben auf Sylt. Die Insel ist für viele Menschen der gefühlte Urlaubstraum. Wie empfinden Sie das?

Sandra Morchner:

Ich bin mir dessen sehr wohl bewusst, was ich für ein Glück ich habe auf Sylt leben zu dürfen. Jeden Tag, den ich hier trainiere, erlebe ich die Insel mit ihrer einzigartigen Natur und den Naturgewalten bewusst. Ich trainiere oftmals sehr früh am Morgen, dann, wenn Sylt noch schläft, und dieses Gefühl kann man kaum in Worte kleiden. Das muss man einfach einmal selbst erlebt haben.

Von nichts kommt nichts. Wer steuert Ihre Trainingsinhalte und gibt Ihnen die nötigen Impulse für Ihre sportlichen Ziele?

Sandra Morchner:

Das Training stimmte ich mit meinem Trainer Winfried Aufenanger ab. Er gab mir durch seine Ratschläge und Erfahrungen die Hilfestellungen, die man braucht, um erfolgreichen Laufsport treiben zu können. Mein Trainingspensum liegt bei um die 100 Wochenkilometer. Die meisten davon absolviere ich alleine. Da bin ich Autodidakt.

Ihr Laufstil ist schon einzigartig. Er erinnert mich ein wenig an den Stakkato-Schritt einer Marlis Göhr. Auf der Bahn eher gewöhnungsbedürftig, ist es gut vorstellbar, dass sich das auf der Straße ökonomisch und Kräfte sparend auswirken könnte. Wie sehen Sie das selbst?

Sandra Morchner:

Der Schritt ist, wie er ist. Mein Gefühl ist, dass er auf meine Persönlichkeit zugeschnitten ist und zu mir passt. Ich glaube, eine Umstellung würde sich eher kontraproduktiv auswirken. Im Crosslauf ist das möglicherweise nicht das Ideale, deshalb verzichte ich auch auf Wettkämpfe im Gelände und konzentriere mich ganz auf Straße und Bahn.

Um noch einmal auf den Berliner Marathon zurück zu kommen. Wie war das, getragen vom Publikum einen persönlichen Meilenstein zu unterbieten?

Sandra Morchner:

Die Berlinerinnen und Berliner tragen einen förmlich über die Strecke. Trotzdem muss man konzentriert sein und darf sich nicht zu sehr euphorisieren lassen, sonst kann es schnell nach hinten losgehen. Aber wenn man merkt, dass man etwas Großes erreichen kann, dann läuft es sich umso leichter. Selbst in der Woche nach dem Rennen hatte ich kaum Ermüdungsreaktionen. Nicht zuletzt ein Verdienst meines Trainers und Mentors Winfried Aufenanger, der mich bestens vorbereitet in den Wettkampf geschickt hat. Dafür bin ich ihm sehr dankbar.

Obwohl Corona den Wettkampfkalender auch 2021 mitbestimmt hat, konnten Sie doch sportlich fast alles erreichen. Was steht für die sogenannte „Late Season“ noch auf der Agenda?

Sandra Morchner:

Stimmt. Die Saison ist nach einem etwas holprigen Start bei den Deutschen 10.000 Meter-Meisterschaften in Mainz bisher fast optimal verlaufen. Nach Berlin habe ich eine kurze regenerative Pause eingeschoben. Jetzt richte ich den Fokus auf die Halbmarathon-DM am kommenden Wochenende in Hamburg und anschließend auf die 10-Kilometer-DM in Uelzen. Vielleicht gelingt es mir, den bestehenden deutschen Rekord im Halbmarathon in der W50 von Kathrin Dörre-Heinig von 1:20:18 Stunden zu unterbieten. Für 2022 habe ich mir als Jahreshöhepunkt die Masters-WM in Finnland im Terminkalender dick unterstrichen.

Viele werden sich sicher fragen: Warum kann die Morchner nur eine Woche nach dem Tod ihres Trainers schon wieder an den Start gehen?

Sandra Morchner:

Dem halte ich entgegen: „Aufi“ hätte er sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gewünscht, dass wir vom Lauf-Team Kassel gemeinsam an den Start gehen und sich seiner erinnern. Der Laufsport war für ihn alles!

Eine letzte Frage, mit der Bitte um eine kurze Antwort, hätte ich noch. Sie ist vielleicht hypothetisch, aber sie muss einfach gestellt werden. Was wäre gewesen, wenn eine Sandra Morchner 20 Jahre früher zum Laufsport gefunden hätte: Hätte ich da heute mit einer vielfachen Olympionikin ein Interview geführt?

Sandra Morchner:

Die Frage ist wirklich hypothetisch. Sie stellt sich mir nicht. Ich blicke nicht zurück, sondern nach vorne. Ich will mich läuferisch weiterentwickeln und nehme es so, wie es kommt. Im Sport gibt es immer Höhen und auch Tiefen. Man muss damit nur umgehen können.

Sandra Morchner (LT Kassel) | Bestleistungen und Erfolge:

2021:
Marathon | 2:39:36 Stunden | PB, Deutsche Bestleistung W50
10 km | 35:03 Minuten | Deutsche Bestleistung W50
Ferner Deutsche W50-Bestleistungen über 10.000 und 5.000 Meter

2020:
10 km | 35:00 Minuten | PB
Halbmarathon | 1:16:02 Stunden | PB

2019:
3.000 m | 9:55,06 Minuten | PB, Deutsche Bestleistung W45
5.000 m | 17:02,90 Minuten | PB, Deutsche Bestleistung W45
10.000 m | 35:20,50 Minuten | PB, Deutsche Bestleistung W45
W45-Europameisterin im Halbmarathon mit der besten Zeit aller Masters-Altersklassen (1:17:13 h)

2018:
Hessische Meisterin der Frauen im Halbmarathon (1:17:11 h)

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