| Porträt

Andreas Bechmann: Überraschungs-Siebenkampf bringt EM-Ticket nach Glasgow

Sieben auf einen Streich: Mit Bestleistungen in Serie hatte der Frankfurter Andreas Bechmann bei der Mehrkampf-Hallen-DM in Halle/Saale im Januar Siebenkampf-Gold geholt. Nächste Woche darf der 19-Jährige mit dem deutschen Team zur Hallen-EM nach Glasgow fahren.
Jörg Hahn

Der Deutsche Hallenmeister im Siebenkampf hieß im Januar 2019 überraschend Andreas Bechmann. Der Frankfurter sammelte in Halle an der Saale in einem spannenden Wettkampf auf dem Weg zum Titel sieben Einzel-Bestleistungen. Damit verblüffte er selbst Experten. Mit einer U20-Zehnkampf-Bestmarke von 7.528 Punkten und Platz drei der U20-DM bei seinem letzten Siebenkampf-Auftritt war er zur Mehrkampf-Meisterschaft gereist. Mit 6.017 Punkten und der Männer-Goldmedaille in einem Feld mit vier 8.000-Punkte-Zehnkämpfern konnte er die Heimreise antreten.

Nach dem Wettkampf kam aber erst die Doping-Kontrolle. „Das hat sich zwar über eineinhalb Stunden hingezogen, aber es hat mir geholfen, ein wenig runterzukommen und zu realisieren, was gerade passiert war. Nach der Kontrolle wartete die Fachpresse, und mein Handy hat nicht aufgehört zu vibrieren.“

Stark in Form

Dass er stark in Form ist, hatten die ersten Wettkampf-Tests des Athleten der LG Eintracht Frankfurt angedeutet. Die unerwartete „Pole Position“ nach Tag eins bescherten ihm vier Bestleistungen: 7,05 Sekunden über 60 Meter, 7,29 Meter im Weitsprung, 14,34 Meter mit der Kugel und 2,06 Meter im Hochsprung. „Besser geht’s nicht“, staunte der Athlet von Jürgen Sammert, „und dabei waren die Disziplinen noch nicht mal ausgereizt!“ Besonders die Sprint-Bestleistung habe ihn überrascht, auch angesichts seiner Freiluft-Bestmarke von nur 11,25 Sekunden über 100 Meter. „Ich hoffe, ich kann’s auch auf draußen übertragen.“

An Tag zwei setzte Andreas Bechmann mit 8,43 Sekunden über die Hürden seine Bestleistungsjagd fort. Im Stabhochsprung schraubte er sich gar über 5,20 Meter. Dann nahm er über 1000 Meter noch einmal die Beine in die Hand: 2:45,66 Minuten. Damit waren sieben "PBs" in sieben Disziplinen perfekt. „Ich war einfach im Flow“, sagte der 19-Jährige (er wird dieses Jahr 20), der sich mit Trainer Sammert eigentlich in Richtung 5.700 Punkte orientiert hatte. Erst im Stabhochsprung, wo er seine Bestmarke um 30 Zentimeter steigerte, sei ein Knoten aufgegangen, „da habe ich gemerkt: jetzt geht’s!“

Rückblende: Platz acht bei der U20-WM

Rückblende 2018. Andreas Bechmann hatte sich einiges vorgenommen für die U20-Weltmeisterschaft im finnischen Tampere, dort wollte der Zehnkämpfer der LG Eintracht Frankfurt sich im vorderen Bereich platzieren. Als die zehn Disziplinen mit dem abschließenden 1.500-Meter-Lauf absolviert waren, wurde Bechmann mit 7.333 Punkten als Achter unter 14 Startern gelistet. „Ich glaube, ich habe hier gezeigt, dass ich mithalten kann, mit zehn Metern mehr im Speerwurf und 40 Zentimetern mehr im Stabhochsprung kann man es sich ausrechnen“, sagte der damals noch 18-Jährige. „Aber ich mache einen Haken drunter. Ein achter Platz ist für die ersten internationalen Meisterschaften nicht so schlecht.“

Mit einer Vorleistung von 7.524 Punkten, erzielt beim Qualifikations-Zehnkampf in Bernhausen, war Bechmann in den Wettbewerb gegangen. „Mein Highlight waren die 400 Meter, die könnte ich mir immer wieder angucken. Und dann hier dabei zu sein, vor so einer Haupttribüne, in einem kleinen, feinen Zehnkampf-Feld“, meinte Bechmann. „Mein Dank geht auch an das Betreuer-Team, an Lars (Bundesnachwuchstrainer Lars Albert; Anm. d. Red.), und David (Physiotherapeut David Violakis) und an meinen Heimtrainer Jürgen Sammert, der extra hergekommen ist.“

Spagat zwischen Leistungssport und Studium

Andreas Bechmann, gefördert von der Frankfurter SportStiftung, schafft den Spagat zwischen Leistungssport und Bachelor-Studium. Er studiert General Management an der accadis Hochschule Bad Homburg. An welchen Moment seiner bisherigen Karriere er sich am stärksten erinnert, kann er genau sagen: „Das vergangene Jahr 2018 war Wahnsinn – zwei Zehnkämpfe, meine erste WM-Teilnahme. Noch prägender war aber der Qualifikationswettkampf für die U20-WM. Es war mein erster Zehnkampf mit internationaler Konkurrenz. Im Ziel anzukommen und zu wissen, gewonnen zu haben, war unglaublich befreiend. Das hatte ich bis dahin noch nicht erlebt.“

Ein Mensch, an dem er sich sportlich orientieren kann, ist seine Trainingskollegin Carolin Schäfer. 2017 ist sie WM-Zweite geworden, 2018 kam sie bei der EM in Berlin auf Platz drei. „Sie ist auf dem Level, das ich erreichen möchte. Wir trainieren täglich zusammen, dabei lerne ich sehr viel. Ich versuche aber, mich nicht zu ihrem Abbild zu entwickeln. Aus der Orientierung, die sie mir gibt, hole ich das Beste für mich heraus. Mehrkämpfer sind Individualisten. Bei zehn Disziplinen gibt es nicht ‚das Beste‘ oder ‚das Schlechteste‘. Manche Mehrkämpfer werfen gut, andere springen gut. Ich schaue mir ab, was mich voranbringt“, sagt Andreas Bechmann.

Ein Mehrkampf ist immer wie eine Achterbahnfahrt der Gefühle. „Dass es, wie bei der Hallen-DM im Januar, durchgängig gut läuft, ist sehr selten. Mein Trainer ist die Ruhe in Person. Er hilft mir, meine Emotionen in Balance zu halten. Man darf weder leichtsinnig werden, wenn es gut läuft, noch in Selbstmitleid versinken, wenn man einen schlechten Tag hat. Der positive Einfluss meines Trainers ist Gold wert.“

Freude an den technischen Disziplinen

Andreas Bechmann machen die technischen Disziplinen Spaß, für die man sich nicht zu sehr quälen muss. Laufen ist bei ihm deshalb nicht Lieblingsaufgabe. Sprünge und Würfe liegen ihm mehr. „Ich mag die Vielfalt im Mehrkampf. Ich muss nicht jeden Tag jede Disziplin bis zur Perfektion trainieren. Der Sport erfordert verschiedene körperliche Abläufe und Muster. Diese Herausforderung reizt mich.“

Die Eltern sind sport-affin, sie kommen aus dem Handball. Der Vater arbeitet für die Bundesbank. Andreas‘ Talent wurde früh entdeckt. Der Jugend-Trainer Daniel Limburger hat ihn in der Fördergruppe der Schule entdeckt. „Ich war allerdings auf einem normalen Gymnasium, nicht auf einer Sportschule. Den Aufnahmetest für die Carl-von-Weinberg-Schule in Frankfurt-Goldstein habe ich in der vierten Klasse sogar mit Pauken und Trompeten in den Sand gesetzt. Daniel hat mich zehn Jahre begleitet, geformt und gefordert. Er hat immer an mich geglaubt. Seit einem Jahr habe ich in Jürgen Sammert einen neuen Trainer, der mich genauso unterstützt.“ Das Gymnasium beendete er als G8 mit erst 17 Jahren.

Heute trainiert Andreas oft auf der Sportanlage in Niederrad. Die private Hochschule in Bad Homburg unterstützt ihn sehr. Sein Sporttalent zählt und wird von den Professoren anerkannt. „Mit Uni und Sport ist mein Tag voll“, sagt er. „Man braucht ein perfekt abgestimmtes System aus Training und Studium. Gutes Zeit-Management ist sehr wichtig. Ich weiß genau, wie viel Zeit ich wann für was habe. Daran muss ich mich halten. An manchen Stellen muss ich Abstriche machen. Mir ist bewusst, dass es für die 100 Punkte am Ende des Studiums nicht reicht. Aber sie sind mein Ziel. Ich habe den Ehrgeiz, immer das bestmögliche Ergebnis zu erreichen.“

„Für Sportler ist Selbst-Marketing sehr wichtig"

In der accadis Hochschule hat er einen guten Partner für die berufliche Zukunft. „Selbst, wenn ich eines Tages Olympia gewinnen sollte, habe ich als 30-jähriger Mehrkämpfer nicht ausgesorgt. Das Studium ist eine gute Basis für die Zeit nach dem Sport.“ Profitieren wird er immer von den „Soft Skills“ eines Athleten. „Für Sportler ist Selbst-Marketing sehr wichtig. General Management ist als finanz-lastiger Studiengang inhaltlich weit entfernt vom Sport. Aber das ist gerade das Spannende. Ich hätte auch International Sports Management studieren können. Aber ich liebe die Abwechslung, die mein Studium mir bietet. Wenn ich mich unterschiedlichen Reizen aussetze, werde ich im jeweils anderen Feld besser. Außerdem habe ich im Sport bereits so viel mit der Branche zu tun, dass ich mich mit ihr nicht auch noch im Hörsaal auseinandersetzen möchte.“

Die U20-WM letztes Jahr war ein erster Meilenstein für Andreas Bechmann. „Es ist schwierig, als Mehrkämpfer ein festes Ziel zu haben“, stellt er fest. „Eine Verletzung reicht, um von der Bühne zu verschwinden, das geht ganz schnell. Ich möchte auf jeden Fall 8.000 Punkte im Zehnkampf erreichen. Das ist eine magische Grenze. Danach muss ich schauen, wie weit ich komme. Internationale Wettkämpfe machen viel Spaß, es ist eine Ehre, das Deutschland-Trikot zu tragen. Ich bekomme jedes Mal eine Gänsehaut, wenn ich es anziehe. Eine EM wäre schön, die WM oder Olympia natürlich traumhaft. Ich mache es so lange, wie es möglich ist.“ Wenn er gesund bleibt, kann er noch zehn bis fünfzehn Jahre auf Topniveau Mehrkampf betreiben.

Mit der Teilnahme an der Hallen-EM in Glasgow (Großbritannien; 1. bis 3. März) steht bald sein erster internationaler Start bei den Erwachsenen bevor, wo er sich mit einem Teil von Europas Mehrkampf-Elite messen kann. Dennoch: Andreas Bechmann sieht Spitzensport noch immer als schönes Hobby – auch wenn es bei ihm vom Aufwand her längst nicht mehr als Hobby zu bezeichnen ist. „Ich sage mir immer: ‚Sei wie ein kleines Kind, dass sich jedes Mal auf das Training freut‘. Ich mache den Sport, weil er mir Spaß macht. Das ist das Wichtigste für mich.“

Teilen
#TrueAthletes – TrueTalk

Hier finden Sie alle Folgen des Podcasts des Deutschen Leichtathletik-Verbandes!

Zum Podcast
Jetzt Downloaden
DM-Tickets 2024