| Nach Verletzungspause

Christina Schwanitz ist zurück – WM-Medaille und Olympia 2020 ihr Plan

Am Sonntag steigt Christina Schwanitz beim Diamond League-Meeting in Shanghai (China; 17. Juni) in die Freiluft-Saison ein. Der erste Test der Kugelstoß-Europameisterin nach neun Monaten Wettkampf-Pause. In der Zwischenzeit ist viel passiert: Knieoperation, Komplikationen, aber die Top-Form ist zurück. Die 29-Jährige will eine WM-Medaille und plant bis Olympia 2020.
Pamela Ruprecht

Im Trainingslager in Südtirol flog ihre Kugel in hohe Leistungsbereiche. Dass dies im Wettkampf, gerade wenn es darauf ankommt, keine Selbstverständlichkeit ist, macht Christina Schwanitz mit Rückblick auf die EM in Zürich (Schweiz) klar. „Dass ich das Ding gerockt habe, das ist natürlich das schöne Ende, dass es aber einfach so vorausgesetzt wird, ist nochmal was ganz anderes.“ Der Kopf hatte ihr in der Vergangenheit in Drucksituationen schon manchmal einen Strich durch die Rechnung gemacht.

Bei den letzten beiden internationalen Freiluft-Höhepunkten klappte es aber. Neben der Goldmedaille in Zürich auch mit Silber bei den Weltmeisterschaften in Moskau (Russland), wo es ihr gelang, die Kugel auf ihre bis dato gültige Bestleistung von 20,41 Meter zu stoßen. Das Leistungsvermögen abzurufen, dabei half ihr eine Sportpsychologin. „Will funktioniert nicht, möchte funktioniert“, erklärt die Werferin vom LV 90 Erzgebirge ihre Psyche.

Form fast vollendet

Was auch wieder mitmacht ist ihr im Oktober 2014 operiertes Knie. Der Leidensweg nach der Operation war länger als vorgesehen. Das Knie schwoll nach dem Eingriff an der Partellasehne an, musste punktiert werden, entzündete sich, schmerzte. Vom Cortison, gegen das sie allergisch ist, wie sich später herausstellte, bekam sie Migräne, Blindheitsschübe und fiel in Ohnmacht. Was schließlich half: eine radioaktive Flüssigkeit ins Knie spritzen. Drei Wochen danach war sie endlich schmerzfrei und konnte mit dem Training starten.

Nach dem ersten Trainingslager im März in Stellenbosch (Südafrika), bringt das zweite Trainingslager in der Berglandschaft von Latsch die letzte Feinarbeit für den unmittelbar anstehenden Start der Wettkämpfe. „Das große Ganze in der Vorbereitung fürs Jahr ist durch“, sagt Christina Schwanitz mit Überzeugung und Vorfreude.

Am Freitag fliegt sie nach China. Die Stationen: 17. Mai Shanghai – Diamond League. 20. Mai Peking – World Challenge. Testen, „wie das Wettkampf-Feeling so ist.“ Sehr gespannt ist der Schützling von Bundestrainer Sven Lang auf den Stand ihrer Konkurrentinnen. Und die Antworten auf die Fragen: „Hält das Knie, hält der Rücken, hält der Kopf?“ Das Training läuft, weil es Routine ist. Im Stadion herrscht anderes Adrenalin, anderer Puls. 

Auf das Podium von Peking

Im „Vogelnest“ von Peking, will Christina Schwanitz dreieinhalb Monate später bei der WM (China; 22. bis 30. August) in so einer Situation eine Medaille holen. Die Konkurrenz hat in Abwesenheit von Serien- und Olympiasiegerin Valerie Adams (Neuseeland), die nach zwei Operationen erst später in die Saison einsteigt, bisher nicht viel gezeigt. Wie weit man über die 20-Meter-Marke stoßen muss, um den Sprung aufs WM-Podium zu schaffen, ist aber noch nicht vorherzusehen. Sie hofft, mindestens den „Boah“-Stoß von Moskau in diesem Moment wieder abrufen zu können.

Die Voraussetzungen stehen gut: Für die WM 2013 hat sie ein halbes bis dreiviertel Jahr trainiert, 2015 hat sie ähnliche Trainingswerte schon nach viereinhalb Monaten. Ihr Ziel für das Trainingslager in Latsch war es, sich innerhalb eines wesentlich kürzeren Zeitraumes auf ein solches Niveau zu bringen. „Das macht natürlich einen neuen Reiz aus“, erklärt die Sportsoldatin, sich selber anhand sämtlicher Messwerte ständig zu schlagen. Solche Weiten verlangen dem Körper viel ab.

Sie braucht mittlerweile viel Zeit für die Vor- und Nachbereitung einer Trainingseinheit mit physiotherapeutischen Übungen. Obwohl Christina Schwanitz einen von 15 Jahren Leistungssport gezeichneten Körper hat - „ich kriege klassisch jedes Mal einen kleinen Hexenschuss, wenn ich stoße“, sagt sie über ihr in der optimalen Abwurf-Position streikendes Band im Rücken -  hat sie eine ziemlich genaue Vorstellung davon, dass Rio (Brasilien) nicht ihre letzten Olympischen Spiele sein werden. Sie plant bis 2020 – ihrem persönlichen olympischen Höhepunkt.

Olympia-Routine tritt 2020 ein

Denn: Bei ihrer ersten Olympia-Teilnahme 2008 war Christina Schwanitz überwältigt von den Eindrücken des Groß-Events. Bei der zweiten in London (Großbritannien) war sie bei Platz zehn schon wesentlich strukturierter, bekommt aber trotzdem noch Gänsehaut, wenn sie zurückdenkt wie 72.000 Menschen vormittags in der Qualifikation geklatscht haben und sie ihnen zeigen durfte, was sie jeden Tag übt.

Bei der dritten in Rio kann sie aus dieser Erfahrung schöpfen und mit größerer Selbstsicherheit in den Ring steigen. Und 2020 in Tokyo (Japan)? „Bei der vierten bin ich bei so einem riesengroßen Wettkampf vielleicht nochmal routinierter.“ Mit 16 Jahren Olympia-Routine und einem weiteren Leistungszuwachs malt sich Christina Schwanitz aus, noch ein Stück weiter zu kommen. Womöglich Richtung Fernziel 21 Meter.

Dafür trainiert sie mit Disziplin und großem Ehrgeiz. „Die Mischung zwischen Geschwindigkeit, Technik und Kraft“ ist das Fesselnde für sie am Kugelstoßen. Die überlegene Deutsche Meisterin, die mit 19 Jahren zum ersten Mal die 19 Meter übertraf, fordert sich gerne im Krafttraining, will sich stets in allen Bereich verbessern und muss von Sven Lang gelegentlich gebremst werden.

Mit der Kraft der Wut zur WM-Medaille

Ihre Trainingsleistungen stimmen den Trainer sehr optimistisch: „Bei Christina ist es insgesamt das stabilste Ergebnis zu diesem Zeitpunkt schon.“ Aber sie müsse nach der langen Pause erst in die Wettkämpfe reinfinden, gibt er keine Prognose ab. Anders als die Jahre zuvor sind mehr Starts in der Diamond League geplant. Ziel sind möglichst viele Resultate jenseits der 20-Meter-Marke.

Fasziniert ist Christina Schwanitz von der Tatsache, dass sie ihre verschiedenen Launen gewinnbringend auf ihr Wurfgerät übertragen kann. Die negative  Energie der Wut mache im Ring zum Beispiel schneller und kann genutzt werden, um die Weite noch einen Ticken zu steigern.

Genau die hat Christina Schwanitz im sechsten Versuch in Moskau aktiviert. Sie hat auf der Anzeigetafel gesehen, dass die Russin Evgeniia Kolodko im europäischen Duell sieben Zentimeter weiter gestoßen hatte als sie. „Da kam die Wut, der Ehrgeiz und die Disziplin durch“, beschreibt sie. Das hat sie zur Silbermedaille gebracht und kann auch in Zukunft ein Erfolgsrezept sein.

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