| Interview der Woche

Julia Fischer: „Ich habe gelernt, mir selbst zu vertrauen“

Beim Saisonabschluss, dem Werfertag in Bad Köstritz, stand für Julia Fischer noch einmal die 60 vor dem Komma. Hinter der Diskuswerferin vom SCC Berlin liegt eine Saison, die mit dem fünften Platz bei der WM in Peking (China) und dem ersten Deutschen Meistertitel gekrönt wurde. Im Interview sprach die 25-Jährige über ihren Lernprozess, mentales Training und den Traum von einer olympischen Medaille.
Sandra Arm

Julia Fischer, Sie wirken erleichtert. Zum Abschluss haben Sie in Bad Köstritz den Diskus im sechsten Versuch auf 60,38 Meter geschleudert. Sind Sie froh, dass die Saison nun ein Ende hat?

Julia Fischer:

Ja, auf jeden Fall - und ich bin auch froh, dass ich sie mit einem 60-Meter-Wurf beenden konnte. Nach der Woche mit den Wettkämpfen in Zagreb und Brüssel habe ich schon gemerkt, dass die Luft raus ist. Die Tage waren schon ziemlich anstrengend vor allem auch durch die viele Reiserei. Daher freue ich mich, dass der Wettkampf in Bad Köstritz ganz gut verlaufen ist und ich so einen schönen Abschluss hatte.

Die Saison ist nun zu Ende. Wie geht es weiter für Sie?  

Julia Fischer:

Jetzt freue ich mich auf meinen Urlaub. Wir fliegen für zweieinhalb Wochen zu einem Freund in die USA. Wir sind zuerst ein paar Tage in New York und fahren dann weiter nach Knoxville.

Der Urlaub ist auch eine gute Gelegenheit, um die Saison noch einmal Revue passieren zu lassen. Haben Sie schon realisiert, was Sie in den vergangenen Monaten erreicht haben?

Julia Fischer:

Für mich war das Jahr wahnsinnig wichtig. Ich hatte in den vergangenen Jahren immer so viele negative Erlebnisse, wo die Saison nicht nach meinen Wünschen verlaufen war. Ich habe immer super angefangen und zum Saisonende kam dann nichts mehr. Ich bin unheimlich glücklich und dankbar, dass die vergangenen Monate einen anderen Verlauf genommen haben. Ich gehe mit einem richtig guten Gefühl aus der Saison, in der ich viel gelernt habe. Gefreut habe ich mich besonders darüber, dass ich Deutsche Meisterin geworden bin. Das war unglaublich schön.

Was haben Sie gelernt?

Julia Fischer:

Ich bin viel konstanter in meiner Technik geworden. Ich habe gelernt, mir selbst zu vertrauen. Mein Trainer Torsten Schmidt hat mir so viel Sicherheit gegeben und an mich geglaubt. Ebenso wie mein Mentaltrainer Markus Flemming, der mir mein Selbstvertrauen zurückgegeben hat.

Wo war ihr Selbstvertrauen auf der Strecke geblieben?

Julia Fischer:

Ich hatte in den vergangenen Jahren immer das Problem, dass ich im Verlauf der Saison schlechter geworden bin. Zudem hatte ich technisch nicht so richtig den Faden, wo will ich hin und wie will ich eigentlich Diskuswerfen. Das habe ich dieses Jahr verstanden. Mein Coach hat ganz viel mit mir in dem Bereich gearbeitet. Dafür bin ich ihm unheimlich dankbar.

An welchen Schrauben haben Sie mit Mentaltrainer Markus Flemming gedreht, so dass diese Saison anders verlaufen ist?

Julia Fischer:

Das kann ich nicht sagen, weil es auch meinen privaten Bereich betrifft. Nur so viel: Es kommen dann einfach viele Dinge zusammen. Wir haben diese wieder in die richtige Reihenfolge gebracht.

Seit wann arbeiten Sie mit
Markus Flemming zusammen?

Julia Fischer:

Mit Markus arbeite ich seit Anfang des Jahres zusammen. Ich werde es auch zukünftig tun. Er ist ein ganz wichtiger Pfeiler in der gemeinsamen Arbeit und ich möchte ihn nicht mehr missen.

Es war auch ein Jahr der Premieren: der erste DM-Titel und das erste WM-Finale. Was war für Sie der wichtigste Wettkampf?

Julia Fischer:

Auf jeden Fall die Weltmeisterschaften. Ich habe mich super gut gefühlt, ich hatte auch das Gefühl, dass viel in mir steckt. Ich dachte mir im Nachhinein, wer weiß, wozu es gut war, dass ich Fünfte geworden bin. Alles im Leben hat einen Grund. Den schönsten Wettkampf erlebte ich bei den Deutschen Meisterschaften in Nürnberg. Ich habe dort meinen ersten Titel, der etwas ganz besonderes für mich ist, geholt. Es war auch nicht in irgendeinem Jahr, sondern in einem Jahr, wo alle Werferinnen topfit waren. Den Sieg zu holen, das war für mich das schönste Erlebnis.

Wie bewerten Sie die starke Konkurrenzsituation im DLV-Lager?

Julia Fischer:

Ich freue mich darüber, weil wie sagt man so schön: Konkurrenz belebt das Geschäft. Man darf sich nicht hängen lassen. Ich persönlich genieße es auch, mit den Mädels unterwegs zu sein.

Diese Situation brachte es auch mit sich, dass Sie immer am Ball bleiben mussten. War das gut, so viele Wettkämpfe zu bestreiten?

Julia Fischer:

Wir haben uns vor der Saison ganz klar unseren Plan gemacht, welche Wettkämpfe wir bestreiten wollen. Ich bin froh, wie die Saison verlaufen ist. Die Konstanz hat mir auch viel Sicherheit gegeben.

Was können wir im kommenden Jahr von Ihnen erwarten?

Julia Fischer:

Ich habe ein Ziel, das habe ich schon nach den Olympischen Spielen in London festgelegt: Ich will im nächsten Jahr in Rio eine olympische Medaille gewinnen. Ich weiß, dass es etwas ganz Rares ist, was nicht jedem vergönnt ist. Das ist mein oberstes Ziel. Ich werde alles dafür geben: noch härter arbeiten, noch mehr kämpfen. Ich habe jetzt auch wieder die Energie dafür, das zu tun, weil mich die Saison so positiv motiviert hat, dass es viel leichter ist, wieder ins Training einzusteigen.

Der Fokus liegt klar auf Olympia. Dennoch gibt es mit den Europameisterschaften in Amsterdam (Niederlande) 2016 noch einen weiteren Höhepunkt. Ist das auch ein Ereignis, das Sie mitnehmen wollen?

Julia Fischer:

Wir werden die Europameisterschaften bestreiten - wenn ich mich qualifiziere. Das ist ja auch immer so eine Sache bei der starken Konkurrenz im eigenen Lager. Ich werde sie angehen, aber dann nur aus dem Training heraus. Die EM ist eine Etappe, die wir nicht besonders vorbereiten werden. Das Ziel ist ganz klar Olympia.

Bei den Weltmeisterschaften in Peking belegten Sie den fünften Rang und waren anschließend etwas enttäuscht...

Julia Fischer:

...ja, ich war die ersten paar Tage nach dem Wettkampf schon enttäuscht, weil ich um die Medaillen hätte mitkämpfen können. Im dritten Versuch war mein Rücken wieder total zugegangen, so dass ich nicht mehr frei werfen konnte. Ich hatte mich im Vorbereitungscamp in Jeju verletzt. Passiert ist es bei einer Kniebeuge. Die Rippe war blockiert, dann war das Gelenk entzündet und der Muskel höchstwahrscheinlich verzerrt. Die Verletzung hat mich aufgehalten, genervt, weil es eigentlich nicht so schlimm war. Nur hatte ich keine Woche, um die Verletzung auszukurieren.

In Bad Köstritz hat Sie Ihr Lebensgefährte Robert Harting gecoacht. Wie wichtig war er für Sie in der abgelaufenen Saison?

Julia Fischer:

Er ist für mich immer wichtig. Nicht nur für das Training. Meine Familie, er und meine Freunde sind generell das Wichtigste für mich im Leben. Ohne sie geht gar nichts, sie geben mir die Kraft, das alles durchzustehen. Sie stehen immer hinter mir. Gerade auch meine Eltern.

Mal ein bisschen weiter gedacht: 2018 hätten Sie mit den Europameisterschaften in Berlin ein Heimspiel. Wäre das ein Ereignis, wo man anschließend eventuell über ein Karriereende nachdenkt oder planen Sie noch ein bisschen weiter?

Julia Fischer:

Es war schon immer mein Traum, im Berliner Olympiastadion zu werfen. Darauf freue ich mich schon wahnsinnig. Ich plane auf jeden Fall weiter. Ich bin bei der Heim-EM erst 28 Jahre und im besten Werferalter.

Ist Familienplanung oder gar Hochzeit ein Thema im Hause Fischer/Harting?

Julia Fischer:

Beim Thema Hochzeit weiß ich bisher nichts. Das ist ja doch irgendwie die Sache des Mannes. In der Angelegenheit bin ich ein bisschen traditionell. Mit der Familienplanung muss man mal schauen. Ich bin noch so jung, habe so viel in den Sport investiert. Wir werden sehen, wann der richtige Zeitpunkt dafür ist.

Sie sind Polizeimeisterin bei der Bundespolizei und studieren nebenher Jura. Wie lässt sich beides mit dem Sport vereinbaren?

Julia Fischer:

Mit Blick auf Rio setze ich mit dem Studium aus. Ich denke, ich werde mich nach Olympia in eine andere Richtung orientieren, weil das Studium für mich an der Universität nicht so weitergehen kann. Es macht mir Spaß, keine Frage, aber darunter würde das Training leiden. Ich trainiere zweimal täglich und mache dann alles, aber nichts richtig. Diesen Zustand ertrage ich nicht. Ich bin derzeit auch bei der Bundespolizei, dort möchte ich schon gern bleiben. Ich glaube, da hat man jede Chance, sich nach der aktiven Karriere, zu entwickeln.

Sie haben gemeinsam mit anderen Leichtathleten per Video scharfe Kritik am Weltverband IAAF geübt. Welche Resonanz haben Sie dafür erfahren?

Julia Fischer:

Ich habe sehr viel positive Resonanz bekommen. Es gibt natürlich immer Leute, denen so etwas nicht gefällt, die meinen, deswegen wurde DLV-Präsident Clemens Prokop nicht ins IAAF-Council gewählt. Das Video war einfach wichtig, um uns auch von den Machenschaften zu distanzieren. Ich bin froh, dass wir es gemacht haben.

Wie bewerten Sie rückblickend die Aktion mit dem Video?

Julia Fischer:

Sie war auf jeden Fall wichtig. Ich bereue sie nicht und stehe nach wie vor dahinter. Doch wie soll es weitergehen? Wir sind halt keine Sportfunktionäre. Man kann sich nicht hauptberuflich damit beschäftigen, die Welt zu verändern. Wir haben ein Zeichen gesetzt. Jetzt liegt es im Prinzip an anderen, auch auf diesen Zug aufzuspringen und etwas zu verändern.

Glauben Sie, dass sich etwas verändern wird?

Julia Fischer:

Nur sehr schwer. Ich glaube, dass die IAAF in ihren Strukturen sehr festgefahren ist. Solange die Leute nicht einmal komplett ausgetauscht werden, wird es schwer sein, dort etwas zu verändern.

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