| Rückblick

Mein Moment 2017: Afrikanische Party am letzten Tag der U18-WM

Wir haben mitgefiebert, mitgelitten, mitgejubelt. Und ganz viel notiert, getippt, gefilmt und fotografiert. Nun ist die Leichtathletik-Saison 2017 fast zu Ende, und es ist Zeit für ganz persönliche Rückblicke. In unserer Serie „Mein Moment“ beschreiben einige Mitarbeiter der leichtathletik.de-Redaktion, welche Szenen ihnen in den vergangenen Monaten ganz besonders im Gedächtnis geblieben sind. Heute im Fokus: die Party-Stimmung am Abschlusstag der U18-Weltmeisterschaften in Nairobi (Kenia).
Pamela Ruprecht

"Prepens in lead, Prepens in lead", schallte die Stimme des Stadionsprechers durch das Kasarani Stadion in Nairobi. Es war soeben die dritte Entscheidung des letzten Tages der U18-WM gestartet, an dem mehr als unglaubliche 60.000 Zuschauer die Ränge säumten. Mit etwas Verwunderung hatte ich auf meinem Weg zur Pressetribüne die Menschenmenge wahrgenommen, die ins Stadion strömte und dort eine große Party feiern sollte, wie es sie in der Leichtathletik wohl selten gibt. Und wie es vielleicht sogar nur in Afrika möglich ist.

Mein Presse-Platz war unterhalb der Haupttribüne. Um dichter dran zu sein, stand ich bei den Sprint-Entscheidungen in der Mixed Zone am Zieleinlauf. Ich sah wie Talea Prepens (TV Cloppenburg) vor voller Kulisse angeflogen kam, getragen von den Anfeuerungen. Gold! Bestzeit! 23,51 Sekunden! Die erste deutsche U18-Weltmeisterin über 200 Meter. "Es ist einfach ein tolles Gefühl, zu erleben, wie man im Ziel gefeiert wird", sagte die damals noch 15-Jährige, die so überwältigt war, dass sie sich für einige Minuten auf den Boden setzte und die IAAF-Journalisten für ein Video-Interview warten ließ.

Schlag auf Schlag vor 60.000 Zuschauern

Es ging wie immer Schlag auf Schlag, schon stand Luis Brandner (LAC Erfurt) in den Blöcken. Die Bedingungen für die 200 Meter diesmal besser als in seinem 100-Meter-Finale, Sonnenschein statt Regen, kein Startblock, der wegrutschen konnte und volles Haus. Der Nachwuchs-Sprinter brannte einen starken Endspurt auf die Bahn und schob sich auf den letzten Metern in 21,23 Sekunden von Rang fünf noch auf den Bronzerang.

"Die Lautstärke der Zuschauer habe ich während des Rennens nicht wahrgenommen, ich war so darauf konzentriert, auf der Zielgeraden die Konkurrenz einzuholen", meinte der junge Sprinter, der in Erfurt in der Gruppe des Deutschen Rekordlers Julian Reus (noch TV Wattenscheid 01) trainiert. Seine Laune in der Mixed Zone: deutlich besser als nach dem achten Platz über 100 Meter.

Dass ich den Lärm der Zuschauer ausblenden konnte, kann ich nicht behaupten. Denn als ich eilig zurück auf die Presse-Tribüne lief, um die Erfolgsmeldungen in meinen Laptop zu tippen, stand das 800-Meter-Finale der Frauen auf dem Programm. Die Mittel- und Langstrecken-Wettbewerbe haben in Kenia einen enormen Stellenwert, der nicht zu überhören ist. Das Publikum schrie das kenianische Duo Jackline Wambui und Lydia Jeruto Lagat förmlich zum Doppelsieg. In der Kurve rechts von mir tobte es, Tänze mit Trommeln, Trompeten und Fahnen, alle waren von den Sitzen aufgestanden.

Unglaublicher Lärm-Pegel

Der Lärm-Pegel erreichte eine Dezimel-Belastung fast außerhalb des erträglichen Bereichs und ich musste feststellen, dass es bei den höchsten Jubel-Ausschlägen für kurze Momente nicht mehr möglich war einen Satz zu formulieren und zu schreiben. Genau das waren auch die Momente, die einen nur den Kopf schütteln ließen über das, was hier gerade passierte. Was für eine Begeisterung für die olympische Sportart Nummer eins!

Meinen ersten Einsatz bei einer internationalen Nachwuchs-Meisterschaft hatte ich 2016 bei den ersten U18-Europameisterschaften in Tiflis (Georgien). Dort gab es Zuschauerränge – etwa zehn Reihen – nur entlang der 100-Meter-Lauf-Bahn, es waren sicher mehr als 59.000 Zuschauer weniger im Stadion als an diesem letzten Tag der U18-WM.

Einen Dämpfer mussten die Gastgeber über 3.000 Meter hinnehmen. Hier errang der Äthiopier Selemon Barega den Sieg ausgerechnet vor zwei Kenianern. Eine Wohltat für die Ohren, denn bei einer Niederlage gegen die Nachbar-Nation wurde es eine Weile ganz ruhig auf den Tribünen, Enttäuschung machte sich breit, aber nur für ganz kurze Zeit. Die beiden Ausdauer-Hochburgen machten in fast allen Lauf-Disziplinen die ersten drei Plätze unter sich aus.

Volle Bass-Dröhnung zum Abschluss

Parallel ging der Weitsprung mit einem erfreulichen Ergebnis von Lea-Sophie Klik (LAC Erdgas Chemnitz) zu Ende. Die mittlerweile 17-Jährige holte mit Silber die dritte DLV-Medaille des Abends. "Am Anfang war es sehr aufregend vor den vielen Zuschauern hier im Stadion, aber dann lief es", berichtete sie aus ihrer Perspektive. Im fünften Versuch gelang ihr an der Anlage vor der vollbesetzten Haupttribüne mit 6,30 Metern die beste Weite.

Stimmungsvoller Höhepunkt waren an diesem Tag die 2.000 Meter Hindernis der männlichen Jugend. Der zweite kenianische Doppelsieg des Nachmittags durch Leonard Kipkemoi Bett und Cleophas Kandie Meyan vor zwei Äthiopiern (!) brachte das Publikum zum Ausflippen. Kenia feiert seine Läufer wie Nationalhelden – U18-Weltmeister bekommen schonmal Feder-Kopfschmuck wie ein Indianer-Häuptling aufgesetzt und sehen sich vor einer Schar von Journalisten und Kamera-Teams wieder. Schön zu erleben, welchen Stellenwert die Leichtathletik haben und welche Begeisterung sie auslösen kann.

Euphorisiert von dieser Kulisse schrieb ich so schnell wie möglich meine Berichte über die weiteren Entscheidungen mit deutscher Beteiligung zu Ende, den letzten Bus zum Gelände der Kenyatta University wollte ich nicht verpassen. Meine Tastenschläge wurden dabei vom Hit "Thunder" (übersetzt: Donner) begleitet, der regelmäßg in voller Dröhnung aus den Boxen kam, wenn sich das Stadion langsam leerte und für mich Endspurt angesagt war. Der Song-Titel ein passendes Synonym für das einschlägige, lautstarke Erlebnis dieser letzten U18-Weltmeisterschaften. Nach den Wettbewerben wird sich so mancher gefragt haben, wie man so eine Meisterschaft abschaffen kann.

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