
"Schwer zu akzeptieren": Kuschelkurs der WADA stößt auf Unverständnis
Die WADA-Entscheidung, Russland trotz Fristverletzung straffrei davonkommen zu lassen, stößt auf Kritik. Die obersten Dopingjäger sehen sich dagegen durch angebliche Fortschritte bestätigt.
Alfons Hörmann traut dem Braten nicht. Beim Kuschelkurs der Welt-Anti-Doping-Agentur WADA gegenüber Russland bekommt der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) heftige Bauchschmerzen – und nicht nur er. Eine Politik der Beschwichtigung und Nachsicht mit der Nation, die für den größten Sportbetrug dieses Jahrtausends verantwortlich ist – kann das gut gehen?
"Selbst unter Berücksichtigung, dass es eine hochkomplexe Thematik und sicher nicht einfach ist, fällt es schwer, die aktuelle Entscheidung gegenüber Athletinnen und Athleten, aber auch der gesamten Öffentlichkeit zu vertreten und ein solches Vorgehen der WADA für Sportdeutschland zu akzeptieren", teilte Hörmann am Tag nach der Entscheidung der WADA mit, die jüngste Fristverletzung der Russen nicht weiter zu sanktionieren.
Hörmann kritisierte die komplette Vorgehensweise der WADA, die die russische Anti-Doping-Agentur RUSADA trotz nicht erfüllter Auflagen wieder anerkannt hatte. Die "ganze Geschichte um die vorzeitige Wiederzulassung der RUSADA und die Nicht-Erfüllung der dafür notwendigen Bedingungen" habe nicht dazu beigetragen, sagte Hörmann, "das Vertrauen in die WADA und in den weltweiten Anti-Doping-Kampf zu stärken."
Auch international Unverständnis
Neben der deutschen NADA ("Die Missachtung der gesetzten Frist ist nicht akzeptabel") stieß die Entscheidung auch international auf Unverständnis. Travis Tygart, Chef der US-Agentur USADA und einer der schärfsten Kritiker von Russland und WADA, sprach von einer "leider erwartbaren" Entscheidung. "Natürlich ist ein Wandel nötig in einem globalen System, das Athleten streng zur Rechenschaft zieht, es Staaten jedoch erlaubt, die Olympischen Spiele zu korrumpieren und Sportler sowie die Öffentlichkeit zu massiv zu betrügen", sagte Tygart.
Auch das Institut der nationalen Anti-Doping-Organisationen iNADO, das mehr als 60 Agenturen repräsentiert, prangerte Ungleichbehandlung an. Es sei "sehr klar", dass Russland "angesichts der Umstände, die schwerwiegender nicht sein könnten", mehr Nachsicht gewährt worden sei, "als dies ein einzelner Athlet oder ein kleines Land erwarten darf." Dies sei "sehr beunruhigend", schrieb die Organisation in einem Statement.
WADA: Trotz Verzögerungen in der Ermittlung "gute Fortschritte"
Die RUSADA hatte es nicht geschafft, Inspekteuren der WADA bis zum 31. Dezember Zugang zu den Daten aus dem sogenannten Laboratory Information Management Systems (LIMS) des Moskauer Kontrolllabors zu verschaffen. Das war aber Voraussetzung dafür, dass die WADA im vergangenen September die Suspendierung gegen die RUSADA aufgehoben hatte. Mittlerweile hat die WADA die Daten erhalten, ob sie authentisch sind, wird derzeit geprüft.
"Wir wollen vor allem sicherstellen, dass Betrüger zur Rechenschaft gezogen werden. Ich hoffe, dass die Athleten und andere sehen, dass wir diesbezüglich gute Fortschritte machen", sagte WADA-Präsident Craig Reedie, sein Generaldirektor Olivier Niggli glaubt, die RUSADA habe sich mittlerweile "komplett verändert". Die Dinge entwickelten sich "zweifellos in die richtige Richtung".
Noch ein weiter Weg bis zur Gerechtigkeit
Der riesige Datensatz aus Moskau, laut WADA über 20 Terabyte groß, ist bei der Aufklärung des russischen Dopingskandals von grundlegender Bedeutung. Darin enthalten sind alle Doping-Testdaten zwischen Januar 2012 und August 2015. In diesem Zeitraum sollen systematisch positive Tests vertuscht worden sein. Mit den Daten sollen individuelle Verfahren gegen russische Athleten möglich sein. Experten halten es für möglich, dass aus den etwa 9.000 Proben bis zu 600 Fälle resultieren könnten. Die WADA-Verteidigungslinie lautet: Ohne die umstrittene Appeasement-Politik hätte Russland die Daten niemals herausgerückt.
Tygart hingegen wies auf den noch "weiten Weg bis zur Gerechtigkeit" hin. Der nun folgende Prozess der Kontrolle und Sanktionierung von Dopingsündern müsse "offen und transparent" erfolgen, damit sauberen Sportlern endlich Gerechtigkeit widerfahren könne.
Schon bald könnte die angeblich so vertrauensvolle Beziehung zwischen WADA und Russland einer weiteren Belastungsprobe unterzogen werden. Selbst wenn die Daten korrekt sind, muss Russland danach eine weitere Voraussetzung erfüllen: die Auslieferung der konkreten, verdächtigen Proben.
Quelle: Sport-Informations-Dienst (SID)