| McLaren-Report

WADA-Ermittler werfen Russland staatlich gesteuertes Doping vor

Das IOC will die „härtest möglichen Sanktionen“ gegen den russischen Sport. Zu schockierend sind die Erkenntnisse der WADA-Ermittler über jahrelanges Staatsdoping. Kurz vor den Olympischen Spielen in Rio ist aber noch unklar, wie die Strafen ausfallen könnten.
dpa/mbn

Droht Russlands Sportlern nach dem Doping-Beben das Olympia-Aus? Das Internationale Olympische Komitee (IOC) will nach dem Bericht der Ermittler der Welt-Anti-Doping-Agentur WADA über staatlich gesteuertes Doping im russischen Leistungssport schnell entscheiden - und kündigt bereits die „härtest möglichen Sanktionen“ an.  Nach der Veröffentlichung hat die WADA zudem sieben Empfehlungen für den Umgang mit den Ergebnissen formuliert (siehe unten)

„Die Ergebnisse des Berichts zeigen einen schockierenden und beispiellosen Angriff auf die Integrität des Sports und die Olympischen Spiele“, sagte IOC-Präsident Thomas Bach am Montag. Daher wird das IOC nicht zögern, die härtest möglichen Sanktionen gegen jede beteiligte Person oder Organisation zu ergreifen.» Wie die genau aussehen ist unklar. Bei den Leichtathleten verhängten die Sportverbände die Höchststrafe: die russischen Sportler dürfen nicht nach Rio.

DLV-Präsident Prokop: Olympia-Teilnahme Russlands kaum vorstellbar

Die Vorwürfe sind erdrückend: Manipulierte Dopingproben, erschwindelte Medaillen und konspirative Hilfe durch den Geheimdienst. Russland hat nach Ansicht der WADA-Ermittler jahrelang Doping im Spitzensport staatlich geschützt und gefördert. Zwischen 2012 und 2015 seien 643 positive Doping-Proben russischer Athleten (darunter 139 Fälle in der Leichtathletik) in rund 30 Sportarten verschwunden - und sind damit negativ geworden.

„Der Bericht bestätigt, dass das Dopingproblem in Russland nicht auf die Leichtathletik beschränkt ist, sondern fester Bestandteil des russischen Sportsystems zu sein scheint. Unter sportpolitischen Aspekten ist derzeit aus meiner Sicht eine Teilnahme russischer Athleten und Athletinnen an den Olympischen Spielen in Rio kaum vorstellbar“, bezieht DLV-Präsident Dr. Clemens Prokop klar Stelung.

Auch Leichtathletik-WM 2013 betroffen

Die Ermittlungen hätten zudem gravierende Beweise für die Verwicklung staatlicher Stellen in den Sportbetrug erbracht, sagte WADA-Chefermittler Richard McLaren am Montag in Toronto. Betroffen seien neben den Olympischen Winterspielen in Sotschi 2014 auch die Leichtathletik-WM 2013 in Moskau und die Schwimm-WM 2015 in Kasan.

Das russische Sportministerium habe die Manipulationen „geleitet, kontrolliert und überwacht“, sagte McLaren. Auch der russische Inlandsgeheimdienst FSB und das Trainingszentrum der russischen Top-Athleten, CSP, seien an den Betrügereien aktiv beteiligt gewesen. Das Doping-Beben bringt das IOC drei Wochen vor der Eröffnung der Olympischen Sommerspiele arg in Bedrängnis.

IOC berät am Dienstag

Bereits am Dienstag werde die IOC-Exekutive zu einer Telefonkonferenz einberufen und vorläufige Maßnahmen und Sanktionen im Hinblick auf die Olympischen Spiele in Rio besprechen. Bislang hat Bach einen kompletten Ausschluss Russlands von Olympia abgelehnt. Vor dem Bericht hatte Bach - selbst Fecht-Olympiasieger in der Mannschadt von 1976 - betont, das IOC müsse die Balance zwischen kollektiver Verantwortung und individueller Gerechtigkeit finden. „Jeder, der nicht involviert war, kann nicht für das Fehlverhalten anderer bestraft werden.“

Empfehlungen der WADA-Ermittler für Sanktionen gegen russische Sportler und Verbände gab McLaren nicht. Sein Job sei es gewesen, Fakten zu sammeln und zusammenzustellen, nicht aber Empfehlungen zu geben. Die WADA empfiehlt dem IOC den Komplettausschluss zu prüfen, zudem sollten russischen Regierungsvertretern der Zugang zu Wettkämpfen untersagt werden.

NADA fordert Komplett-Ausschluss

Die deutsche Nationale Anti-Doping-Agentur NADA fordert weiter den Komplettausschluss russischer Athleten. „Der McLaren-Report lässt nur einen Schluss zu: Die NADA fordert das Internationale Olympische Komitee auf, dafür zu sorgen, dass russische Sportlerinnen und Sportler nicht zu den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro zugelassen werden“, sagte NADA-Chefin Andrea Gotzmann.

Der Deutsche Olympische Sportbund schließt eine komplette Sperre für Russland nicht aus. „Das Ausmaß der nun bestätigten Vorwürfe ist schockierend“, sagte DOSB-Präsident Alfons Hörmann. „Da es sich offenbar um staatlich gelenkte, systematische Vertuschung von Doping und um Betrug handelt, müssen zweifelsohne entsprechende Sanktionen verhängt werden bis hin zum möglichen Ausschluss weiterer Sportarten oder sogar des gesamten russischen NOKs.“

Tausende Dokumente ausgewertet

McLaren und sein Team hatten für ihren Bericht Tausende Daten und Dokumente ausgewertet, auch gelöschte Dateien seien wiederhergestellt worden. Zudem seien Interviews mit Zeugen geführt worden, auch mit Grigori Rodschenkow, dem ehemaligen Chef des russischen Doping-Kontrolllabors. Er gilt als Kronzeuge und hatte die Untersuchung der WADA erst ins Rollen gebracht.

Rodschenkow, der sich inzwischen in die USA abgesetzt hat, habe sich als glaubwürdiger Zeuge erwiesen, sagte McLaren. Der Russe hatte behauptet, dass er in Sotschi positive Dopingproben russischer Athleten zusammen mit der Anti-Doping-Agentur Rusada sowie dem Geheimdienst auf Anordnung des Staates vertuscht habe. 15 der russischen Medaillengewinner in Sotschi seien gedopt gewesen.

CAS-Entscheidung am Donnerstag

Der Vorsitzende des Sportausschusses im russischen Parlament, Dmitri Swischtschjow, forderte Haft für Rodschenkow. „Internationale Organisationen glauben Verleumdern und Schurken wie Rodschenkow, der erklärt hat, selbst (Doping-)Proben ausgetauscht zu haben“, sagte Swischtschjow, der Agentur Tass. „Er sollte festgenommen und an unsere Justiz ausgeliefert werden.“ Die WADA liefere keine Beweise.

Russische Leichtathleten erwarten in dieser Woche eine Sportgerichts-Entscheidung über ihre Teilnahme an den Sommerspielen. „Wir hoffen, dass dieser Bericht nicht die Entscheidung des Internationalen Sportgerichtshofs beeinflusst“, sagte der Chef des Leichtathletik-Verbandes WFLA, Dmitri Schljachtin, der Agentur R-Sport.

Formell müssten die internationalen Sportverbände in jeder Sportart eine Entscheidung treffen. In der Leichtathletik hat der Weltverband IAAF bereits die russischen Athleten von Olympia ausgeschlossen. Eine mögliche Variante könnte sich auch aus dem Vorgehen bei den Gewichthebern ergeben. Die zahlreichen Dopingfälle dort haben zu ersten Konsequenzen durch den Weltverband IWF geführt.
ündigt.

Die sieben Empfehlungen der WADA

1. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) und das Internationale Paralympische Komitee (IPC) sollen in Erwägung ziehen, gemäß ihren Regularien allen Athleten des Russischen Olympischen Komitees (ROC) und des Russischen Paralympischen Komitees die Teilnahme an Rio 2016 zu verweigern.

2. Die internationalen Fachverbände, deren Sportarten im McLaren-Report erwähnt werden, sollen sich ihrer Verantwortung gegenüber dem Welt-Anti-Doping-Code bewusst werden, wenn ihre jeweiligen russischen Fachverbände betroffen sind.

3. Russischen Regierungsbeamten soll der Zugang zu internationalen Wettkämpfen verboten werden, einschließlich Rio 2016.

4. Die russische Anti-Doping-Agentur (RUSADA) soll weiter als nicht-konform mit dem Anti-Doping-Code gelten. Ihre Mitglieder und ihre Unabhängigkeit sollen weiter von der WADA überprüft werden.

5. Dem von der WADA akkreditierten Labor in Moskau soll die Akkreditierung entzogen werden.

6. Die Ethikkommission des Fußball-Weltverbands FIFA soll die Vorwürfe untersuchen, die den Fußball betreffen und auch die Rolle, die ein Mitglied des Exekutivkomitees, Minister Witali Mutko, spielt.

7. Professor McLaren und sein Team sollen ihren Auftrag abschließen, wenn die WADA die nötige Finanzierung sicherstellen kann.

Weitere Reaktionen

Özcan Mutlu (Sportpolitischer Sprecher der Fraktionen Grüne/Bündnis 90 im Bundestag)
„Der heute veröffentlichte Bericht zur Rolle des russischen Geheimdienstes bei der Vertuschung von Doping während der Olympischen Winterspiele in Sotschi bestätigt, was klang wie ein fiktiver Agentenkrimi. Russland verhöhnte durch seine Aktivitäten in Sotschi nicht nur das weltweite Antidopingsystem, sondern tritt die Idee fairer Spiele mit Füßen. ... Es stellt sich die Frage, ob ein solches Land durch derartige Aktivitäten seine Teilnahme an und das Recht der Austragung von sportlichen Großveranstaltungen nicht verwirkt hat.“

Christian Baumgartner (Präsident des Bundesverbandes Deutscher Gewichtheber BDVG)
„Wir kritisieren die Politik des IOC. Entweder ist es höchst unprofessionell, oder es geht mit Absicht so vor. Wenn man nicht jetzt klare Kante zeigt, wann dann?“

Jewgeni Pluschenko (Eiskunstlauf-Olympiasieger aus Russland)
„Ich habe niemals gedopt und bin immer fair angetreten. Ich habe niemals etwa irgendwelche Zweitlabors gesehen. Immer hat mich eine weitere Person überwacht, wenn ich Dopingproben abgegeben habe.“

Quelle: Deutsche Presse-Agentur (dpa)

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