| Persönlicher Rückblick

Mein Moment 2019: Zwei bewegende Lauf-Finals im vollen U20-EM-Programm

Das Leichtathletik-Jahr 2019 war vollgepackt mit Top-Events, herausragenden Leistungen, spannenden Wettbewerben und Überraschungserfolgen. Wir waren für Sie (fast) überall vor Ort, um in Text, Bild und Video von den Ereignissen zu berichten. In persönlichen Rückblicken erinnert sich das leichtathletik.de-Team an ganz besondere Momente der Saison. Heute: Zwei bewegende Lauf-Finals während der U20-EM in Schweden.
Pamela Lechner

Es war der 20. Juli 2019, der dritte Wettkampftag der U20-Europameisterschaften in Borås. In der Geburtsstadt der schwedischen Siebenkämpferin Carolina Klüft, der ich angeblich ähnlich sehe, schien die Sonne und im Stadion warteten jede Menge Entscheidungen auf mich, unter anderem der zweite Tag im Zehnkampf.

Ich trug während der U20-EM gefühlt meinen eigenen Zehnkampf oder besser 22-Kampf aus. Das DLV-Team mit 85 deutschen Athleten, die in 22 verschiedenen Disziplinen und 39 Einzel-Wettbewerben am Start waren, wollte und sollte in Text, Bild und Video auf Webseite und Social Media in Szene gesetzt werden. Der junge britische Medienbegleiter auf der Pressetribüne neben mir klagte schon über das 69 Athleten starke Team Großbritanniens, das ihn auf Trab hielt.

Die Fahne für den Europameister

Nach der Vormittagssession, unter anderem mit einem genialen Diskuswurf der drei deutschen Mehrkämpfer und einem verhexten 4x400 Meter-Vorlauf, bei dem die DLV-Jungs unglücklich disqualifiziert wurden, tippte ich die Berichte so schnell es ging in meinen Laptop. Denn ich wollte mir zumindest 30 bis 45 Minuten Mittagspause sichern, ohne die ich den restlichen Tag nicht überleben würde. Mein Standard-Ritual: Einen Burger am Stadion-Imbiss ordern und mich mit Musik in den Ohren auf die Wiese legen. Einfach kurz abschalten und Kraft tanken. Mein Moment.

Viel zu kurz. Die Nachmittagssession brach an. Um 16:35 Uhr fiel schließlich der Startschuss für das 3.000 Meter-Finale. Im Rennen Elias Schreml (LG Olympia Dortmund), zu diesem Zeitpunkt die Nummer 17 der europäischen U20-Bestenliste. Er machte einen erstaunlich guten Eindruck, übernahm in der vorletzten Runde sogar die Führung. Ich traute meinen Augen kaum: Auf der Zielgeraden brach er nicht ein, sondern zog seinen Endspurt durch. Gold, die erste deutsche Medaille! Und was für eine.

Auch Elias Schreml konnte sein Glück kaum fassen, drehte sich ungläubig in alle Richtungen. Alle waren überrascht. Und so war ich aus dem deutschen Team die erste Gratulantin und dachte mir: 'Wir brauchen eine Fahne.' Von der U18-EM in Györ (Ungarn) hatte ich für alle Fälle noch eine im Rucksack. Diese holte ich rasch von meinem Sitzplatz, der auf Höhe des Zieleinlaufs lag, und reichte sie dem neuen Europameister. Ein cooler Moment.

Zwischen Laptop und Mixed Zone

Jetzt hieß es für mich, das richtige Timing finden. So schnell wie möglich die Erfolgsmeldung schreiben und online stellen – aber parallel den Sieger auf keinen Fall in der Mixed Zone verpassen, um ein kurzes Interview und Impressionen für Instagram einzufangen. Und gleichzeitg die nächsten Entscheidungen mit DLV-Beteiligung im Auge behalten, wie das Finale der Hochspringerinnen, die 400 Meter-Hürden-Halbfinals, den Speerwurf der Zehnkämpfer.

Und: Das bald anstehende 3.000 Meter-Hindernis-Finale mit zwei deutschen Medaillenkandidatinnen. Die beide von Beginn an auf Kurs lagen. Josina Papenfuß (TSG Westerstede) lief in einem rasanten Tempo vorneweg, bis die Kraft in den Beinen nachließ. Und Paula Schneiders (LAZ Mönchengladbach) in der vorletzten Runde an die Spitze ging und zu ihrer zweiten internationalen Medaille rannte: Gold! Ihre Team-Kollegin unterlag hauchdünn beim Kampf um Silber und gewann Bronze.

Als die beiden Mädels im Ziel waren, jede mit einer schwarz-rot-goldenen Fahne ausgestattet, und ich für ein Foto heraneilte, waren wir perplex. Die deutsche Nationalhymne erklang. Denn Elias Schreml stand mit Blumen in der Hand und Medaille um den Hals auf dem Siegerehrungspodest in der Ost-Kurve. Die Hindernisläuferinnen drehten sich in seine Richtung und lauschten andächtig der Musik. Ihre Fahnen wehten parallel im Wind. Kaum im Ziel, schon ertönt die Hymne. Ein verrückter Moment, in dem kurz alles stillstand.

Doppelte Hymne

Eine halbe Stunde mit sechs Entscheidungen im Fünf-Minuten-Takt später stand Elias Goer (Sprintteam Wetzlar) am 200 Meter-Start und holte sich in einem Hundertstel-Fight die Silbermedaille. Danach ertönte für Paula Schneiders und Josina Papenfuß zum zweiten Mal die Nationalhymne (Luxus!), diesmal bei ihrer eigenen Siegerehrung. Ein bewegender Moment, in dem ich mich einfach für die Athleten freute.

Ich weiß nicht mehr, ob es auch der Tag war, an dem ich – anders als in Györ – den letzten Bus aus dem Stadion diesmal tatsächlich verpasste und man mich freundlicherweise als einzigen Fahrgast in einem riesigen Reisebus noch ins Hotel chauffierte. Auch das passt jedenfalls in die Reihe schöner Momente in Schweden.

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