| Tokio 2021

Hallenser Trainingsgruppe peilt Olympia-Ticket an

Ein Sommer ohne Wettkämpfe? Unvorstellbar. Solch einen erlebten die Diskuswerferinnen Nadine Müller und Shanice Craft sowie Kugelstoßerin Sara Gambetta. Untätig war das Hallenser Trio dennoch nicht, denn über allem steht das gemeinsame Ziel von den Olympischen Spielen im kommenden Jahr.
Sandra Arm

Aus dem Trio könnte sogar ein Quartett für Tokio (Japan) werden. Heimtrainer René Sack hat mit Hammerwerferin Susen Küster eine weitere Olympia-Kandidatin in seinen Reihen. „Sie hat aus meiner Sicht ebenfalls eine Olympiachance. Das ist unser gemeinsames Ziel, zu viert nach Tokio zu reisen, auch wenn es schwer werden wird. Gerade bei den Diskuswerferinnen“, sagt René Sack, der sich neben seiner Tätigkeit als Heimtrainer parallel auch als Bundestrainer für die Diskuswerferinnen verantwortlich zeichnet.

Die Olympia-Qualifikation wird heiß, wenn die starke nationale Konkurrenz mit Nadine Müller (SV Halle), Shanice Craft (ab 1. Januar 2021 SV Halle), Claudine Vita (SC Neubrandenburg), Kristin Pudenz (SC Potsdam), Julia Harting (SCC Berlin) und Marike Steinacker (TSV Bayer 04 Leverkusen) um die drei Startplätze kämpft. Als Norm sind 63,50 Meter gefordert.

„Für mich als Bundestrainer ist es eine beruhigende Situation. Ich weiß, ich bekomme die drei Plätze immer voll. Wer sich in der Qualifikation durchsetzen und sein Niveau abrufen kann, der kann sich auch international durchsetzen und ist ein Finalkandidat“, meint René Sack. Inwieweit Anna Wierig (SC Magdeburg) in die Vergabe eingreifen kann, wird sich zeigen. Die 27-Jährige erwartet im Februar ihr erstes Kind.

Nadine Müller fehlt Olympia-Medaille zum vollkommenen Glück

Die Konstanz in Person verkörpert Nadine Müller. Mit 35 reif an Jahren und an Erfahrung. Zweimal holte sie bereits WM- und EM-Edelmetall. Sie war seit 2009 immer beim Saisonhöhepunkt dabei und schaffte es stets ins Finale. Lediglich bei der EM 2014 musste sie wegen anhaltender Knieprobleme die Saison vorzeitig beenden. Für sie wären es die dritten Spiele. „Olympia ist das, wonach man strebt und wo man dabei sein möchte, um nach Möglichkeit eine Medaille zu gewinnen“, sagt die hochgewachsene Blondine, der noch eine Medaille in ihrer Sammlung fehlt. Eben jene von Olympia.

„Die fehlende Olympia-Medaille treibt mich an, sie macht mich unvollkommen und mit diesem Ziel stehe ich jeden Tag auf“, sagt Nadine Müller, deren Kampfgeist ungebrochen scheint. Erst kürzlich hat sie ihren Vertrag bis 2022 verlängert. „Das ist der Fahrplan. Darüber hinaus entscheide ich von Jahr zu Jahr.“ Die Jahre haben ihre Spuren hinterlassen. Schmerzhafte Spuren. Das Knie. Der Rücken. Und eben jener bereitete 2020 erneut Probleme. Um das große Ziel nicht zu gefährden, fiel kurz nach der Olympia-Verschiebung der Entschluss zur Sommerpause.

Shanice Craft als Zugewinn für Trainingsgruppe

Durch viel Stabilisation und Reha kann sie mittlerweile wieder fast alles trainieren – in enger Abstimmung mit René Sack, beide sind seit zehn Jahren ein Team. Vor gut drei Monaten begann die Vorbereitung. Mit der gesamten Trainingsgruppe. Zu dieser zählt seit etwas mehr als einem Jahr auch ihre Disziplinkollegin Shanice Craft.

„Für mich ist Shanice ein absoluter Zugewinn. Die vergangenen Jahre hatte ich das Pech, allein trainieren zu müssen. Mich spornt das unheimlich an“, sagt Nadine Müller. Ebenso ergeht es Shanice Craft: „Zunächst sehe ich sie nicht als Konkurrentin, sondern als meine Trainingspartnerin. Innerhalb unserer Gruppe mit Nadine, Sara, Susen Küster und Sandy Uhlig versuchen wir uns gegenseitig zu pushen.“

Gerade jetzt in der harten Kraftphase, wo die Athleten Schweiß und Tränen lassen. So wie in den vergangenen Wochen im heimischen Kraftraum oder im einwöchigen Trainingslager (Diskuswerfer) in Kienbaum. „Wir haben ein sehr hohes Niveau im Training, eine gute Stimmung und sie pushen sich tatsächlich gegenseitig. Gerade im Kraftraum. Die Mädels sind alle auf einem sehr guten Weg unterwegs“, zeigt sich René Sack angetan vom Trainingsfleiß. Bis dahin war es ein weiter und steiniger Weg. Gepflastert von zahlreichen Gesprächen.

Alte Verletzung bricht neu auf

Durch die Verschiebung der Olympischen Spiele gab es plötzlich dieses große Ziel für 2020 nicht mehr. Für Shanice Craft waren „die Spiele immer eine feste Größe. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie abgesagt werden. Als es dann passierte, bin ich in ein Loch gefallen.“ In dieser Situation half das Training, das Miteinander. Herausgekämpft haben sie sich dann gemeinsam als Gruppe. „Anfangs ist jeder von uns in ein Loch gefallen und hatte Motivationsprobleme. Wir haben uns entschieden an unseren Schwächen zu arbeiten und das Jahr nicht zu verschwenden.“

Für die 27-Jährige ein hoffnungsvoller, wenn auch bitterer Moment. Ihr Einstieg in das Jahr verlief recht vielversprechend, als sie beim ISTAF-Indoor mit 64,03 Metern überraschte. Doch dann verletzte sie sich beim Training, die Bandscheibe bereitete erneut Probleme. „Ich war in ärztlicher Behandlung, es ist etwas besser geworden. Aber ich fühlte mich nicht soweit, um bei der DM zu starten. In dem Moment habe ich mir gesagt, ich bereite mich lieber auf 2021 vor, nutze die Zeit, um an den Grundlagen zu arbeiten und im Winter mit einem höheren Niveau einzusteigen.“

Nichts soll ihren Traum von den zweiten Olympischen Spielen gefährden. 2016 in Rio (Brasilien) bekam sie zu spüren, dass Olympia etwas anderes ist. Die dreimalige EM-Dritte schied in der Qualifikation aus. „Dieser Wettkampf ging völlig schief. Ich musste erstmal lernen, damit umzugehen.“

Gespräch mit der Familie bringt Sara Gambetta neue Motivation

Für Sara Gambetta wären es nach Rio ebenso die zweiten Spiele. Auch sie hatte sich die abgelaufene Sommersaison etwas anders vorgestellt. Die 27-jährige Kugelstoßerin wäre wohl durch die Weltrangliste sicher für Olympia qualifiziert gewesen. Doch darauf wollte sie sich nicht ausruhen. „Mein Anspruch war, dass ich dieses Jahr nicht nur die Norm (18,50 m) stoße, sondern mit 19 Metern wesentlich weiter. Ich wollte mich im Kampf um das dritte Ticket nicht einreihen. Deswegen war es sehr bitter, dass Olympia abgesagt wurde.“

Mit der Absage kamen Zweifel, der gewohnte Rhythmus war auf einmal weg. „Du bist jedes Jahr in diesem Wettkampfzirkus drin, jedes Jahr folgt ein neuer Höhepunkt und du hast nicht viel Zeit zum Luftholen.“ Doch die Gespräche mit der Familie halfen. „Sie haben mir die Augen geöffnet. Ich mache den Sport, weil ich ihn liebe und noch nicht das erreicht habe, was ich erreichen möchte. Ich würde gern bei einer internationalen Meisterschaft eine Medaille gewinnen“, ging die einstige Mehrkämpferin gestärkt aus den Gesprächen hervor.  

Parallel zum Sport baut sie sich mit ihrem Studium ein zweites Standbein auf, sie studiert Lehramt an Gymnasien für Biologie und Sport an der Hallenser Uni. Die Hälfte ihres Studiums ist schon geschafft. Die Gespräche, das Training und ihre Fortschritte im Studium lassen sie motivierter ins nächste Jahr schauen. Bewusst plant sie mit einer Hallensaison, um Wettkampfpraxis zu sammeln. „Diese fehlte mir in diesem Jahr. Für mich sind die Hallen-EM und die Winterwurf-Challenge das Ziel sowie die Norm, um gleich ein Zeichen an die Konkurrenz zu senden.“

Neue Trainingsreize in der Corona-Krise

Dass seine Mädels schnell wieder mit neuer Motivation zurück ins Training fanden, das lag mitunter an neuen Reizen. René Sack arbeitete mit Zwischenzielen. „Ich habe versucht, ihnen innerhalb von fünf Wochen bestimmte Ziele zu setzen. Es gab drei dieser Fünf-Wochen-Blöcke, an denen am jeweiligen Ende für uns selbst noch ein Wettkampf stand. Dabei machte jede Athletin alles – Kugel, Diskus, Hammer. Es sollte auch ein bisschen Spaß dabei sein“, erklärt er lächelnd.

Zudem drehte er an der Stellschraube Trainingssystem. Vor der Änderung gab es neun, zehn Trainings-Einheiten verteilt auf die komplette Woche sowie am Wochenende. „Das haben wir ein bisschen geändert. Alle Einheiten sind jetzt wochentags, am Wochenende hat meine Trainingsgruppe frei. Darüber freuen sich die Familien, die Mädels können länger regenerieren und ich habe montags eine deutlich bessere Qualität.“

Trainiert wird vorrangig am Standort Halle. „Wir haben am Stützpunkt ausgezeichnete Trainingsbedingungen“, verdeutlicht René Sack. Zudem geht es zu Jahresbeginn jeweils für eine Woche ins Olympische und Paralympische Trainingszentrum nach Kienbaum, wo im Februar die interne Qualifikation für die Winterwurf-Challenge in Leiria (Portugal; 13./14. März) ausgetragen wird. Mitmischen wollen dort Nadine Müller, Shanice Craft und Sara Gambetta. Ebenso wie im Sommer, wenn es um die Olympia-Startplätze geht.

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