| Porträt

Kevin Kranz kämpft sich ins Rampenlicht zurück

Kevin Kranz (Sprintteam Wetzlar) stürmt 2018 als Newcomer in die nationale Spitze und legt eine starke Saison 2019 nach, ehe der Schock folgt: Er erkrankt an Pfeifferschem Drüsenfieber, dazu läuft es beruflich nicht rund. Mit der Norm für die Hallen-EM meldet sich der 22-Jährige im Dezember zurück – und setzt voll darauf, bei den Olympischen Spielen über 100 Meter an den Start gehen zu dürfen. Dafür hat er an einigen Stellschrauben gedreht.
mw/alex

Rückblende. Heilbronn im Juni 2018. Die Deutschen Meisterschaften der U23 stehen auf dem Wettkampfplan von Kevin Kranz. Im Vorfeld hatte sich der für das Sprintteam Wetzlar startende Athlet  in fast jedem Rennen gesteigert und seine starke Form angedeutet. In Heilbronn pulverisiert er erneut seine Bestzeiten, holt sich das Double über beide Sprintdistanzen und legt dazu noch die Norm für die EM in Berlin auf die Bahn. „Kometenhaft zum U23-Sprintkönig“ titelt leichtathletik.de, der seinerzeit 19-Jährige hat sich ohne große Erfolge in der Jugendzeit direkt in die deutsche Spitze der Männer katapultiert. In Nürnberg holt er sich kurz danach bei den „Großen“ den nationalen Titel über 100 Meter, er gehört später in Berlin zur EM-Staffel und kann in der Saison 2019 diese Leistungen bestätigen. Bei den Deutschen Meisterschaften in der Halle gewinnt er über 60 Meter, im Freien wird er Europameister mit der U23-Staffel über 4x100 Meter.

Doch im September 2019 muss Kevin Kevin Kranz einen großen Rückschlag hinnehmen. Beim Hessen wird Pfeiffersches Drüsenfieber diagnostiziert. „Das war natürlich ein Schock“, blickt der zweifache Deutsche Meister zurück. „Die kommenden Monate waren eine sehr schwierige Zeit. Manchmal habe ich ein, zwei Wochen trainiert, dann war ich wieder ein, zwei Wochen krank. So konnte ich keinen Fortschritt erzielen, das hat unglaublich an meiner Motivation gezehrt“. Manchmal habe er einfach „keinen Bock aufs Sprinten gehabt.“  Die Hallensaison 2020 beendet er nach drei Wettkämpfen vorzeitig, „das hat keinen Sinn gemacht“. Im Sommer tritt er gar nicht in Erscheinung, er konzentriert sich voll auf die Genesung.

Ernährungsumstellung

Zwischenzeitlich gibt es auch beruflich einen Dämpfer. Die Ausbildung bei der Sportfördergruppe der hessischen Polizei bricht er nach zweieinhalb Jahren ab. „Es hat mir keinen Spaß gemacht. Außerdem war ich nach der Arbeit oft platt und konnte dann im Training nicht mit vollem Akku auf hohem Niveau sprinten. So wollte ich nicht weitermachen.“ Dazu stellt Kevin Kranz seine Ernährung um, weil eine Gluten- und Eiunverträglichkeit festgestellt wird. „Ich esse keinen Zucker mehr, ernähre mich gesünder.“  Die Folge dieser Umstellungen: Seit August des vergangenen Jahres legt Kevin Kranz seinen vollen Fokus auf den Sport und kann nahezu beschwerdefrei trainieren. „In den vergangenen Wochen hatte ich ein paar Probleme in der Kniekehle, mir fehlen daher ein paar längere Sprints.“

Vielleicht konnte er sich deswegen seit seinen 6,59 Sekunden aus dem Dezember nicht steigern. Dennoch liefert Kevin Kranz in diesem Winter auf hohem Niveau ab. In allen sechs 60-Meter-Läufen, von denen immerhin die Hälfte nur Vorläufe waren, unterbietet er die Norm für die Hallen-EM von 6,63 Sekunden und ist jedes Mal schnellster deutscher Sprinter des jeweiligen Laufs – also auch bei dem ISTAF INDOOR-Doppelpack in Düsseldorf und Berlin zuletzt. „Die Deutschen Meisterschaften werden wieder ein heißer Tanz, denn bis dahin und auch dort werden sich noch einige Jungs in Position bringen“, sagt er. Seine Saisonbestzeit, erzielt bei einem kleineren Sportfest in seiner Trainingshalle in Frankfurt-Kalbach, ist übrigens seine zweitschnellste jemals erzielte Zeit über die kürzeste Sprintdistanz.

Viel Qualität, wenig Umfang

Ein weiterer wesentlicher Baustein der Entwicklung von Kevin Kranz ist der Trainer und die Trainingsgruppe. David Corell, der Bundesnachwuchstrainer der Sprinter, hat hier einige sehr schnelle Athleten beisammen, die auch menschlich miteinander harmonieren. „Davids Trainingsphilosophie passt perfekt zu mir. Ich muss wenig, aber qualitativ hochwertig trainieren“, erklärt der 22-Jährige, der in Frankfurt unter anderem mit Michael Pohl (Deutscher Meister 2019 über 100 Meter) und Lisa Mayer (mehrfach Vierte mit der Staffel bei internationalen Meisterschaften) trainiert. Corell verfolgt genau diesen Ansatz, setzt – vereinfacht ausgedrückt – auf viel Qualität und wenig Umfang.

Seit Kevin Kranz 2017 unter Corells Fittichen übt, hat er sich enorm entwickelt – ohne eine wichtige Eigenschaft zu verlieren. „Kevin hat eine unglaubliche Lockerheit unter Druck, das ist der Wahnsinn“, sagte David Corell einst im Gespräch mit leichtathletik.de. Sein Schützling bezeichnet das heute noch als „meine große Stärke. Ich bin auch direkt vor dem Start tiefenentspannt. Das gibt mir den Vorteil, dass ich besser auf die Technik achten kann, als wenn ich zu nervös bin.“ Mayer und Kranz ergänzen sich unterdessen sehr gut. „Lisa lebt diese unglaubliche Professionalität vor, hat viel Erfahrung aus zahlreichen großen Wettkämpfen und steht immer mit einem Ratschlag zur Seite. Ein lockerer Spruch von mir hilft ihr dafür auch mal“, schmunzelt Kevin Kranz.

Traum vom Einzelstart

Seine Bestzeit steht bei 10,24 Sekunden, er ist aktuell der schnellste Deutsche, 2018 und 2019 hat er das Nationaltrikot bereits getragen – klar, dass Kevin Kranz in diesem Jahr die Olympischen Spiele fest im Blick hat. „Das ist das große Saisonziel. Ich bin realistisch und weiß, dass ich nicht 10,05 Sekunden laufen kann [Anm. d. Red.: die Einzelnorm über 100 Meter]. Vielleicht 10,15 Sekunden oder einen Tick schneller. Über die Wettkämpfe versuche ich, Punkte für die Weltrangliste zu sammeln,  um mich auf diesem Weg zu qualifizieren.“ Freilich sei auch die Staffel immer ein Thema, aber er arbeite darauf hin, „im Einzel am Start sein zu dürfen“.

Für dieses Ziel wird Kevin Kranz weiterhin trainieren wie ein Gepard, getreu der Trainingsphilosophie seines Trainers. „Sprinter sind Geparden. Dann müssen sie auch wie solche behandelt werden“, zitiert David Corell oft einen amerikanischen Collegecoach. Neben der Trainingsgestaltung passen seine Lieblingsbeschäftigungen an einem freien Tag sehr gut dazu. „Ich liege gerne in der Badewanne, da kriege ich die Muskeln weich und bin danach viel ausgeruhter. Dazu spaziere ich gerne und schlafe aus. Wenn das Wetter wieder gut ist, geht’s aufs Motorrad“. Könnte ein typischer Gepardentag sein, vom Motorradfahren abgesehen. Dessen Beutejagd ist übrigens im Schnitt nach 38 Sekunden vorbei – fast genau die Summe seiner Bestzeiten über 60, 100 und 200 Meter.

Zwei Beutezüge dauern demnach im Schnitt 76 Sekunden. Das entspricht ungefähr der Zeit, die Kevin Kranz 2018 in Heilbronn auf der Bahn für seine zwei Beutezüge zum Sprintdouble investieren musste. Weil seine Priorität aktuell voll auf den kurzen Distanzen liegt, ist ein Double aktuell unwahrscheinlich. Auf den Strecken bis 100 Meter hat Kevin Kranz seinen Hunger aber sicherlich noch lange nicht gestillt. Geparden-Dompteur David Corell wird es freuen.

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