1.540 Athletinnen und Athleten. 48 Nationen. Und eingebettet in die European Championships mit insgesamt neun kontinentalen Titelkämpfen. 50 Jahre nach den Olympischen Spielen empfängt München die besten Leichtathletinnen und Leichtathleten Europas. Wer sind die Favoritinnen? Die Hoffnungsträgerinnen? Und mit welchen Erwartungen gehen die DLV-Athletinnen in diese Titelkämpfe? Wir werfen eine Blick voraus. Heute: Die Entscheidungen auf der Bahn & der Straße bei den Frauen.
100 METER
Vier unter elf Sekunden
Bei den Europameisterschaften 2018 in Berlin ereignete sich im 100-Meter-Finale Denkwürdiges: Erstmals seit 1998 blieben alle drei Medaillengewinnerinnen unter der 11-Sekunden-Grenze. Die Chancen stehen gut, dass sich dieses Szenario in München wiederholt. Vier Athletinnen haben die 100 Meter im Jahr 2022 bereits in weniger als elf Sekunden absolviert. Eine davon ist die Deutsche Meisterin Gina Lückenkemper, die bei den nationalen Titelkämpfen im Berliner Olympiastadion 10,99 Sekunden sprintete. Und damit ihre beste Zeit seit dem EM-Finale 2018, als sie Silber gewann. Um den Medaillen-Coup zu wiederholen, wird sie jedoch erneut ihre absolute Bestform auspacken müssen.
Denn nicht nur die Titelverteidigerin und Jahresbeste Dina Asher-Smith (10,83 sec) ist noch schneller als vor vier Jahren, dahinter werden im Kampf um die Podiumsplätze deren Landsfrau Daryll Neita (10,90 sec) und die Schweizer Hallen-Weltmeisterin über 60 Meter Mujinga Kambundji (10,89 sec) ebenfalls ein Wörtchen mitreden wollen.
Viel Schwung dürfte die Bronzemedaille mit der 4x100-Meter-Staffel bei den Weltmeisterschaften in Eugene (USA) den deutschen Sprinterinnen sicherlich gegeben haben. Neben Gina Lückenkemper nehmen auch die Staffel-Kolleginnen Rebekka Haase und Tatjana Pinto die 100 Meter in Angriff und haben bei ihren zweiten Heim-Europameisterschaften gute Chancen, zumindest das Halbfinale zu erreichen. Wenn das Heim-Publikum beflügelt, sind möglicherweise auch Zeiten im Bereich ihrer Hausrekorde (Haase: 11,06 sec | Pinto: 11,00 sec) möglich.
Titelverteidigerin: Dina Asher-Smith (Großbritannien; 10,85 sec)
Jahresbeste: Dina Asher-Smith (Großbritannien; 10,83 sec)
DLV-Starterinnen: Rebekka Haase (Sprintteam Wetzlar; 11,20 sec), Gina Lückenkemper (SCC Berlin; 10,99 sec), Tatjana Pinto (TV Wattenscheid 01; 11,24 sec)
200 METER
Dina Asher-Smith vor dem Hattrick?
An Dina Asher-Smith scheint über die halbe Stadionrunde kein Weg vorbeizuführen: Die Britin ist Titelverteidigerin, europäische Jahresbeste und holte jüngst in Eugene WM-Bronze. Das einzige Fragezeichen: ihre im 4x100-Meter-Staffelfinale der WM erlittene Verletzung. Die Commonwealth Games ließ die 26-Jährige aus und gab inzwischen grünes Licht für ihren EM-Start. Aber reichen die Kräfte bereits wieder für rasante Zeiten über alle drei Strecken? Denn die wird man brauchen, will man in München über 200 Meter ganz oben stehen. Die Schweizerin Mujinga Kambundji ist der Favoritin in 22,05 Sekunden bereits ganz nahe gekommen – und hat nach drei vierten Plätzen in Berlin noch eine Rechnung mit Europameisterschaften offen.
Auf Platz drei der Meldeliste folgt dann bereits Corinna Schwab. Die Chemnitzerin, die gebürtig aus Amberg (bayerische Oberpfalz) stammt, stürmte im Juni in Wetzlar zu 22,51 Sekunden. Die schnellste Zeit einer Deutschen über diese Strecke seit 1999! Obwohl sich die 23-Jährige als 400-Meter-Spezialistin sieht, stehen ihre Chancen, weit vorne zu landen, über 200 Meter gemäß der Meldeliste besser. Irland und Dänemark sind eher weniger als Sprint-Nationen bekannt, stellen jedoch mit Rhasidat Adeleke (22,59 sec) und Ida Karstoft (22,67 sec) ebenfalls zwei pfeilschnelle Athletinnen.
Ein besonderer Traum wird mit dem Einzelstart in München für die Bayerin Alexandra Burghardt wahr, die in Eugene das deutsche Bronze-Quartett komplettierte. Über 200 Meter ist sie bei einer internationalen Meisterschaft bisher noch nicht angetreten, schnappte sich aber 2021 den deutschen Meistertitel auf dieser Strecke. Mit einer neuen Bestzeit unter 23 Sekunden wäre sie sicherlich glücklich. Mehr Meisterschaftserfahrung auf der halben Stadionrunde bringt Jessica-Bianca Wessolly mit, die Mannheimerin erreichte zuletzt in Eugene das WM-Halbfinale – wie bereits bei ihrer ersten Heim-EM 2018.
Titelverteidigerin: Dina Asher-Smith (Großbritannien; 21,89 sec)
Jahresbeste: Dina Asher-Smith (Großbritannien; 21,96 sec)
DLV-Starterinnen: Alexandra Burghardt (LG Gendorf Wacker Burghausen; 23,04 sec), Corinna Schwab (LAC Erdgas Chemnitz; 22,51 sec), Jessica-Bianca Wessolly (MTG Mannheim; 23,22 sec)
400 METER
Medaillenkampf auf allerhöchstem Niveau
Zeiten unter 50 Sekunden über 400 Meter hatten in den vergangenen Jahren auf europäischer Ebene Seltenheitswert: Seit 2014 gelang es lediglich einer Europäerin, unter dieser Marke zu bleiben. 2022 ist dies hingegen bereits zwei Athletinnen geglückt: Femke Bol (Niederlande), Europarekordlerin über 400 Meter Hürden, und der Polin Natalia Kaczmarek (49,86 sec).
Die Top Vier der Meldeliste komplettieren mit Lieke Klaver und Anna Kielbasinska je eine weitere Niederländerin und Polin. Auch sie waren in dieser Saison bereits schneller als die amtierende Europameisterin Justyna Swiety-Ersetic, in diesem Jahr mit ebenfalls starken 50,74 Sekunden Polens Nummer drei, bei ihrem Erfolg in Berlin. Der Kampf um Edelmetall wird also auf Weltklasse-Niveau stattfinden. Sollte Bol, die vom niederländischen Verband für 400 Meter flach, mit Hürden und die Staffel gemeldet wurde, alle Strecken in Angriff nehmen, greift sie nach mindestens zwei Goldmedaillen.
Eine andere Schallmauer hat die Deutsche Meisterin Corinna Schwab gebrochen: Als erste Deutsche seit 20 Jahren unterbot sie im Vorlauf der Deutschen Meisterschaften die 51-Sekunden-Marke und rangiert damit auf Position neun der Meldeliste – wobei längst noch nicht alle Konkurrentinnen alle Karten aufgedeckt haben. Für Schwab ist es, ebenso wie für die zweite deutsche Teilnehmerin Alica Schmidt (SCC Berlin), der erste EM-Start. Beide hoffen sicher darauf, dass das Publikum im Münchner Olympiastadion sie zu starken Leistungen trägt.
Titelverteidigerin: Justyna Swiety-Ersetic (Polen; 50,41 sec)
Jahresbeste: Femke Bol (Niederlande; 49,75 sec)
DLV-Starterinnen: Alica Schmidt (SCC Berlin; 52,32 sec); Corinna Schwab (LAC Erdgas Chemnitz; 50,91 sec)
800 METER
Britinnen in der Poleposition
Sie war die Senkrechtstarterin des vergangenen Jahres: Keely Hodgkinson, damals erst 19 Jahre jung, gewann 2021 Hallen-EM-Gold, Olympia-Silber und das Diamond-League-Finale in Zürich (Schweiz). Kein Wunder also, dass die Britin auch bei den Freiluft-Europameisterschaften klare Sieg-Anwärterin ist. Ihre Topform hat sie in diesem Jahr bereits mit Silber bei der WM und den Commonwealth Games sowie mit der europäischen Jahresbestzeit von 1:56,38 Minuten unter Beweis gestellt. Wir stark die britischen Mittelstrecklerinnen derzeit sind, zeigt sich daran, dass auch Platz zwei und drei der europäischen Bestenliste an Läuferinnen aus Großbritannien vergeben sind – Laura Muir zieht jedoch die Mission Titelverteidigung auf der 1.500-Meter-Strecke dem 800-Meter-Start vor.
Ihre Trainingspartnerin Jemma Reekie, im vergangenen Jahr Olympia-Vierte, wird sicherlich auch bei der EM vorne mitmischen, es wäre ihre erste Medaille bei den Aktiven. Am ehesten gefährden kann das britische Duo vielleicht die Französin Renelle Lamote, die vor vier Jahren Silber gewann und in diesem Sommer in 1:58,48 Minuten nur vier Hundertstel langsamer war als Reekie. Zwei weitere Athletinnen legten die zwei Stadionrunden im aktuellen Jahr unter 1:59 Minuten zurück: Anita Horvat (Slowenien) und die Italienerin Elena Bello.
Nicht weit dahinter liegt in der Meldeliste die Münchnerin Christina Hering, die sich vergangene Woche mit 1:59,51 Minuten rechtzeitig zum Heimspiel in Topform präsentierte. Ein internationales Finale hat sie im Erwachsenenbereich bislang noch nicht erreicht. Gelänge das ausgerechnet in München, wäre dies für die 28-Jährige wohl ihr ganz persönliches Märchen. Hochmotiviert, zumindest zweimal (im Vorlauf und Halbfinale) an der Startlinie stehen zu dürfen, sind auch die Deutsche Vize-Meisterin Majtie Kolberg, die sich bei ihrem ersten WM-Auftritt in Eugene bereits teuer verkaufte, und Tanja Spill, die sich nach einer Erkrankung in der Hallensaison mit ihrer EM-Premiere für ihr Kämpferherz belohnt.
Titelverteidigerin: Nataliya Pryshchepa (Ukraine; 2:00,38 min)
Jahresbeste: Keely Hodgkinson (Großbritannien; 1:56,38 min)
DLV-Starterinnen: Christina Hering (LG Stadtwerke München; 1:59,51 min); Majtie Kolberg (LG Kreis Ahrweiler; 2:01,21 min), Tanja Spill (LAV Bayer Uerdingen/Dormagen; 2:01,98 min)
1.500 METER
Weg frei für die Titelverteidigerin
Als Jahresschnellste, Olympia-Zweite und aktuelle WM-Bronzemedaillengewinnerin war Laura Muir über 1.500 Meter ohnehin Titelkandidatin. Nachdem vor einigen Tagen die niederländische Olympia-Dritte und Langstrecken-Doppelsiegerin von Tokio Sifan Hassan bekannt gab, auf die EM zu verzichten, ist die Schottin nun endgültig die Athletin, die es auf dieser Strecke zu schlagen gilt. Und das könnte schwierig werden: Bei 3:55,28 Minuten steht ihre Saisonbestleistung, keine weitere Starterin rannte in diesem Jahr schneller als vier Minuten.
Zu den Medaillen-Aspirantinnen zählt sicherlich die WM-Fünfte Sofia Ennaoui aus Polen, die bereits vor vier Jahren Silber errang. Stark waren in diesem Jahr auch Claudia Mihaela Bobocea (Rumänien; SB: 4:01,10 min) und die Italienerin Gaia Sabbatini (4:01,93 min). Doch mit Ausnahme der unangefochtenen Favoritin Laura Muir ist keine Läuferin ihren Kontrahentinnen weit enteilt. Gerade einmal zwei Sekunden trennen nach Saisonbestzeiten die zwei deutschen Starterinnen Katharina Trost (LG Stadtwerke München) und Hanna Klein (LAV Stadtwerke Tübingen) von Ennaoui.
Nach Halbfinalteilnahmen über 800 Meter bei WM und Olympia sowie jüngst in Eugene auch über 1.500 Meter möchte Katharina Trost in ihrem "Wohnzimmer" sicherlich diesmal weit nach vorne laufen. Und auch Hanna Klein, in Eugene ebenfalls Semifinalistin und amtierende Hallen-EM-Dritte, kann auf den Finaleinzug hoffen.
Titelverteidigerin: Laura Muir (Großbritannien; 4:02,32 min)
Jahresbeste: Laura Muir (Großbritannien; 3:55,28 min)
DLV-Starterinnen: Hanna Klein (LAV Stadtwerke Tübingen; 4:03,85 min), Katharina Trost (LG Stadtwerke München; 4:03,53 min)
5.000 METER
Nachfolgerin von Sifan Hassan gesucht
Nach dem Startverzicht von Sifan Hassan eröffnet sich gleich mehreren Athletinnen die Möglichkeit, ins Rampenlicht und um die Medaillen zu laufen. Eine davon könnte die Jahresbeste Karoline Bjerkeli Grøvdal sein; die Norwegerin errang 2018 in Berlin Bronze über die Hindernisse. Im Juni rannte sie in Oslo (Norwegen) in 14:31,07 Minuten einen starken neuen Landesrekord. Dahinter folgen in der Bestenliste die Leverkusenerin Konstanze Klosterhalfen und Yasemin Can aus der Türkei (14:41,40 min), die bereits weiß, wie sich ein EM-Titel anfühlt: Sie siegte 2016 in Amsterdam (Niederlande).
Die Saisonbestzeiten stammen jedoch bei allen drei Athletinnen aus dem Juni. Grøvdal überzeugte bei der WM mit Platz acht, Can war gar nicht am Start und Klosterhalfen gingen, entkräftet von einer Corona-Infektion im Vorfeld, bereits im Vorlauf die Kräfte aus. Auch die Vorbereitung der beiden anderen DLV-Athletinnen verlief nicht ohne Probleme. Alina Reh, die für den SCC Berlin startet, hatte im Winter mit einer Herzmuskelentzündung zu kämpfen, Sara Benfarès musste nach ihrem WM-Debüt ärztlich versorgt werden. Dennoch möchte das Trio zeigen, dass es diese Schwierigkeiten überwunden hat, und vor Heimpublikum alle Kräfte für ein gutes Ergebnis mobilisieren.
Titelverteidigerin: Sifan Hassan (Niederlande; 14:46,12 min)
Jahresbeste: Karoline Bjerkeli Grøvdal (Norwegen; 14:31,07 min)
DLV-Starterinnen: Sara Benfarès (LC Rehlingen; 15:22,56 min), Konstanze Klosterhalfen (TSV Bayer 04 Leverkusen; 14:37,94 min), Alina Reh (SCC Berlin; 15:06,29 min)
10.000 METER
Eilish McColgan auf den Spuren ihrer Mutter
Ein großer Titel fehlt noch in der Sammlung von Eilish McColgan. In München könnte sie ihre Silbermedaille von 2018 (über 5.000 Meter) vergolden: In Abwesenheit von Sifan Hassan ist die Britin in 30:19,02 Minuten mit deutlichem Abstand die Schnellste der Jahresbestenliste. Einzig Teamkameradin Jessica Judd knackte in 30:35,93 Minuten ebenfalls die 31-Minuten-Marke. Sollte McColgan das oberste Podest erklimmen, hätte sie ihrem Namen alle Ehre gemacht: Ihre Mutter Liz McColgan war über dieselbe Distanz Weltmeisterin und Olympia-Zweite. Interessanterweise fehlt ein EM-Titel noch in der Familiensammlung. Den könnte die Tochter sich im Olympiastadion schnappen.
Die britische Party verderben könnte möglicherweise Yasemin Can, die Dritte der Meldeliste (31:20,18 min) und Siegerin von 2016. Alina Reh, die 2018 nachträglich Bronze erhielt, rangiert auf Position fünf der Meldeliste, Konstanze Klosterhalfen, die in 31:01,71 Minuten den deutschen Rekord hält, hat in dieser Saison noch kein Rennen über 10.000 Meter bestritten und ist damit eine absolute Wundertüte. Marathon-Spezialistin Katharina Steinruck lief in 32:03,88 Minuten im Mai eine persönliche Bestleistung und sicherte sich den dritten Platz im 10.000-Meter-Team.
Titelverteidigerin: Lonah Chemtai Salpeter (Israel; 31:43,29 min)
Jahresbeste: Sifan Hassan (Niederlande; 30:10,56 min)
DLV-Starterinnen: Konstanze Klosterhalfen (TSV Bayer 04 Leverkusen; ohne Start in 2022), Alina Reh (SCC Berlin; 31:39,86 min), Katharina Steinruck (Eintracht Frankfurt; 32:03,88 min)
MARATHON
Starke Ausgangslage für DLV-Mannschaft
Platz zwei bis fünf nehmen in der Meldeliste deutsche Athletinnen ein, darunter mit Kristina Hendel (LG Braunschweig) und Rabea Schöneborn (SCC Berlin) gar zwei, die nur für die Mannschaftswertung gemeldet sind. Als Zweite geht bei ihrem Meisterschafts-Debüt im Marathon die Regensburgerin Miriam Dattke ins Rennen, dahinter folgt ihre Vereinskameradin Domenika Mayer. Erste in der Liste der Teilnehmerinnen ist die Niederländerin Nienke Brinkman (2:22:51 h), die fast genau vier Minuten Vorsprung auf Dattke hat. Die europäische Jahresbeste Joan Chelimo Melly ist international noch nicht für Rumänien startberechtigt.
Die dritte deutsche Starterin Katharina Steinruck hat in diesem Jahr noch keinen Marathon absolviert, aber im vergangenen Frühjahr mit einer Zeit unter 2:26 Minuten geglänzt. Neben der Frankfurterin haben auch zahlreiche Konkurrentinnen wie die starke Portugiesin Sara Moreira in diesem Jahr keinen Nachweis über ihre aktuelle Form über 42,195 Kilometer erbracht. Man darf also gespannt sein, was sie in München zu leisten imstande sind.
Dank der hervorragenden Vorleistungen könnte das DLV-Team in der Mannschaftswertung ein ausgezeichnetes Ergebnis erzielen. Vielleicht ein gutes Omen: Bei der letzten EM 2002 in München stand beim "Marathon Cup", der damals nicht in den offiziellen Medaillenspiegel einfloss, eine deutsche Mannschaft ganz oben auf dem Treppchen. Für die Teamwertung zählen in München auch die Ergebnisse von Hendel, Rabea Schöneborn und deren Zwillingsschwester Deborah.
Titelverteidigerin: Volha Mazuronak (Bulgarien; 2:26:22 h)
Jahresbeste: Joan Chelimo Melly (Rumänien; 2:18:04 h)
DLV-Starterinnen: Miriam Dattke (LG Telis Finanz Regensburg; 2:26:45 h), Domenika Mayer (LG Telis Finanz Regensburg; 2:26:50 h), Katharina Steinruck (Eintracht Frankfurt; ohne Start in 2022)
100 METER HÜRDEN
Cindy Sember in EM-Form
Es könnte das Rennen von Cindy Sember werden. Die Britin mit den US-amerikanischen Wurzeln, ist in diesem Sommer in der besten Form ihrer bisherigen Karriere. 12,50 Sekunden zauberte die 28-Jährige, den dem ein oder anderen auch noch unter ihrem Geburtsnamen Ofili ein Begriff sein dürfte, im Halbfinale der Weltmeisterschaften in Eugene (USA) auf die Bahn. Bestzeit, Landesrekord, die schnellste Zeit einer Europäerin in diesem Jahr. Im Finale schob der Wind sie auf rasante 12,38 Sekunden – Platz fünf. Bei den Commonwealth Games lief die Britin kürzlich zudem zu Bronze. Die Form in Hinblick auf die Europameisterschaften in Berlin, sie stimmt.
Die Konkurrenz jedoch ist stark. So ist zum Beispiel U23-Europameisterin Pia Skrzyszowska (Polen), die sich kürzlich beim Heimmeeting in Chorzów auf 12,51 Sekunden steigern konnte und damit aktuell auf Platz zwei in Europa liegt, gemeldet. Eines steht fest: Es kann in München richtig schnell werden.
Aus deutscher Sicht ist diese Disziplin gerade mitten drin einen einem Generationenwechsel. Die beiden Medaillengewinnerinnen der EM von Berlin aus dem Jahr 2018 sind nicht mit am Start in München. Pamela Dutkiewicz, die Silbermedaillengewinnerin von Berlin, heißt inzwischen Dutkiewicz-Emmerich, hat ihrer Karriere beendet und erwartet ihr erstes Kind. Cindy Roleder (SV Halle), auch bereits Mama, hat in diesem Jahr mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen und konnte in diesem Sommer noch keinen Hürdenwettkampf bestreiten. Somit ist Monika Zapalska vom TV Wattenscheid, die schnellste Deutsche in diesem Jahr, die einzige Starterin für den DLV über diese Strecke in München. Für die 28-Jährige geht ein Traum in Erfüllung. Ihren bislang größten Erfolg im DLV-Trikot feierte die DM-Zweite mit der Hürden-Mixed-Staffel, wo sie bei den World-Relays 2021 den Titel holte.
Titelverteidigerin: Elvira Herman (Weißrussland; 12,67)
Jahresbeste: Cindy Sember (Großbritannien; 12,50 sec)
DLV-Starterinnen: Monika Zapalska (TV Wattenscheid 01; 13,13 sec)
400 METER HÜRDEN
Femke Bol vor dem ersten Freiluft-Titel?
Bronze bei den Olympischen Spielen. Silber bei den Weltmeisterschaften. Kommt nun der erste Titel unter freiem Himmel? Femke Bol kann sich streng genommen nur selber schlagen. Zu dominant ist die 22-jährige Niederländerin. Zu konstant in ihren Leistungen. Und zu groß ist der Abstand der bisherigen Saisonzeiten im Vergleich mit der Konkurrenz. 52,27 Sekunden über die 400 Meter ist die Hallen-Europameisterin über 400 Meter bereits zweimal in diesem Sommer gelaufen. Und wie sehr die Form stimmt, zeigte sie erst am vergangenen Wochenende beim Diamond League Meeting in Chorzów (Polen), wo sie über 400 Meter erstmals in ihrem Leben mit 49,75 Sekunden unter der magischen 50-Sekunden-Marke blieb.
Ihr am nächsten kam in diesem Sommer die 16-fache Landesmeisterin Norwegens. Line Kloster verbesserte sich in diesem Jahr sensationell auf 53,91 Sekunden in La Chaux-de-Fonds (Schweiz) Anfang Juli, trat seitdem aber auch nicht mehr auf der Laufbahn in Erscheinung.
Die besten Karten aus deutscher Sicht hat die Deutsche Meisterin Carolina Krafzik (VfL Sindelfingen), die in diesem Sommer mit Verletzungssorgen zu kämpfen hatte, die in dieser so filigranen und sensiblen Disziplin ihren Rhythmus ordentlich durcheinanderbrachten. Nun kommt die 27-Jährige, die auch bei der WM in Eugene (USA) an den Start ging, immer besser in Tritt und findet sich mit ihrer Saisonbestleistung von 55,73 Sekunden aktuell auf Platz 18 in Europa wieder. Auf Platz 22, knapp hinter ihr, da steht die Berlinerin Gisele Wender, die nach langer Wettkampf-Pause in diesem Jahr ihren Weg zurück in den Startblock gefunden hat und sich direkt für die Europameisterschaften qualifizieren konnte. Eine kleine Erfolgsgeschichte, aus der über die Zeit hin eine ganz Große werden kann.
Titelverteidigerin: Lea Sprunger (Schweiz; 54,33)
Jahresbeste: Femke Bol (Niederlande; 52,27 sec)
DLV-Starterinnen: Carolina Krafzik (VfL Sindelfingen; 55,73 sec), Gisele Wender (SV Preußen Berlin; 55,84), Eileen Demes (TV 1861 Neu-Isenburg; 56,12 sec)
3.000 METER HINDERNIS
Die Titelverteidigerin fehlt
Das deutsche Leichtathletik-Herz blutete schwer, als in der vergangenen Woche Gesa Krause (Silvesterlauf Trier) ihren Startverzicht bei den Europameisterschaften in München verkündete. "Mein aktueller Gesundheitszustand hat einen tieferen medizinischen Hintergrund, der nicht auf die Schnelle zu lösen ist", schrieb die zweimalige Europameisterin auf dieser Strecke auf ihrem Instagram-Kanal. "Mein Körper kann derzeit keinen Wettkampfsport betreiben und daher steht meine Genesung an erster Stelle." Eine so verständliche wie auch schwere Entscheidung und abermals ein Beispiel dafür, dass jede:r Hochleistungssportler:in eben auch vor allem eins ist: Mensch.
Somit ist es erstmals die Albanierin Luiza Gega, die mit der großen Bürde der Favoritenrolle klar kommen muss. Die 33-Jährige ist derzeit in der besten Form ihrer schon so lange währenden Karriere. Die EM-Zweite des Jahres 2016 blieb in diesem Sommer erstmals in Hengelo (Niederlande) unter 9:20 Minuten über die Hindernisse – eine Zeit, die sie im Laufe der Saison immer weiter steigern konnte. Der bisherige Höhepunkt: Platz fünf bei der WM mit 9:10,04 Minuten. Mit dieser Zeit führt sie auch die Startliste der EM an, denn die Jahresschnellste, Olga Vovk, wird aufgrund des Ausschlusses des russischen Teams nicht an den Start gehen.
Vor dem Start von Lea Meyer (ASV Köln), Platz neun der Meldeliste, steht nach einer Corona-Infektion, die sie sich nach ihrem Start bei der WM in Eugene zugezogen hat, ein Fragezeichen. Mittlerweile hat die Deutsche Meisterin medizinisch zwar grünes Licht für das Training, aber drei Wochen Trainingspause hinterlassen Spuren: "Ich werde in den kommenden Tagen alles dafür tun, was ich kann, um an der Startlinie zu stehen", schreibt die Läuferin auf Instagram.
Aufsteigende Form zeigte zuletzt die EM-Sechste von Berlin Elena Burkard (LG farbtex Nordschwarzwald), die sich in Stockholm (Schweden) auf 9:40,67 Minuten steigerte. Mit der U20-Europameisterin Olivia Gürth (Diezer TSK Oranien) rückt auf dieser Strecke auch schon der Nachwuchs auf. Für die 20-Jährige ist es die Premiere in der Nationalmannschaft der Aktiven.
Titelverteidigerin: Gesa Felicitas Krause (Silvesterlauf Trier; 9:19,80 min)
Jahresbeste: Olga Vovk (Russland; 9:09,29 min)
DLV-Starterinnen: Elena Burkard (LG farbtex Nordschwarzwald; 9:40,67 min), Olivia Gürth (Diezer TSK Oranien; 9:47,76 min), Lea Meyer (ASV Köln; 9:25,61 min)
20 KILOMETER GEHEN
Saskia Feige mit Kontakt zu den Medaillenrängen
Die Deutsche Meisterin Saskia Feige (SC DHfK Leipzig) kann in München für eine Überraschung sorgen. Die 24-Jährige hat sich in den letzten Jahren stetig und gut weiterentwickelt und ist inzwischen unter der Regie von Trainer Thomas Dreißigacker in Leipzig angekommen in der europäischen Spitze. Bei der EM vor vier Jahren in Berlin kam die dreimalige Deutsche Meisterin noch auf Platz sechzehn ins Ziel, in diesem Jahr startet sie von Platz vier der Meldeliste mit Tuchfühlung zu den Medaillenrängen.
Beste Aussichten auf den Titel hat die Polin Katarzyna Zdziebło, die mit ordentlich Kilometern in den Beinen, aber eben auch direkt zwei Medaillen aus Eugene (USA) zurückgekehrt ist. Die 25-Jährige, noch 21. bei der EM in Berlin 2018, sahnte sowohl über 20 Kilometer als auch über 35 Kilometer die Silbermedaille ab. Sie führt auch die Meldeliste an und trägt auch aufgrund ihrer Vorleistungen entsprechend die Favoritenbürde, ist die jahresschnellste Europäerin Elvira Chepareva aus Russland ja nicht startberechtigt.
Die Geherinnen und Geher absolvieren einen zwei Kilometer langen Rundkurs zwischen dem Odeonsplatz und dem Professor-Huber-Platz.
Titelverteidigerin: Maria Perez Garcia (Spanien; 1:26:36 h)
Jahresbeste: Elvira Chepareva (Russland; 1:26,42 h)
DLV-Starterinnen: Saskia Feige (SC DHfK Leipzig; 1:29,57 h)
35 KILOMETER GEHEN
Antigóni Drisbióti kann Geschichte schreiben
Diese Strecke feiert bei der EM ihre Premiere. Nachdem erstmals bei der WM in Eugene internationale Medaillen über diese Strecke vergeben wurden, halten die 35 Kilometer nun auch Einzug in das Wettkampf-Programm der kontinentalen Meisterschaften und ersetzen damit die 50 Kilometer.
Die Griechin Antigóni Drisbióti hat beste Karten, um in München Geschichte zu schreiben und sich den ersten EM-Titel überhaupt über diese Distanz zu sichern. Die 38-Jährige bringt nicht nur viel Erfahrung, sondern auch eine extrem gute Form mit. Bei den Olympischen Spielen in Tokio (Japan) war sie noch als Achte gut über die 20 Kilometer unterwegs, in diesem Jahr hat sie sich jedoch ganz den 35 Kilometern verschrieben. Nach Platz vier bei der WM in Eugene soll nun eine Medaille her. Es wäre ihre Erste bei internationalen Titelkämpfen. Auch aufgrund ihrer schnellsten Meldezeit ist sie die Favoritin und kann Geschichte schreiben, denn die Russin Margarita Nikiforova bekanntlich nicht startberechtigt.
Aus deutscher Sicht hat sich die Berlinerin und DM-Zweite über 35 Kilometer Katrin Schusters über das Ranking des Europäischen Verbands einen Startplatz gesichert.
Titelverteidigerin: / Premiere bei einer EM
Jahresbeste: Margarita Nikiforova (Russland; 2:38,49 h)
DLV-Starterinnen: Katrin Schusters (Polizei SV Berlin; 3:14,57 h)
4x100 METER
Goldige Aussichten
Der deutsche Frauensprint ließ bei den Weltmeisterschaften in Eugene (USA) die Herzen von Sport-Deutschland schneller schlagen. Tatjana Pinto (TV Wattenscheid 01), Alexandra Burghardt (LG Gendorf Wacker Burghausen), Gina Lückenkemper (SCC Berlin) und Rebekka Haase (Sprintteam Wetzlar) belohnten sich für ihre jahrelange Arbeit und ihren unerschütterlichen Glauben an den Erfolg und sprinteten bei der WM zu Bronze. Ein historischer Erfolg, war es doch der erste Staffel-Medaillen-Erfolg bei einer WM seit 2009 für die deutsche Mannschaft.
Bei einer EM liegt der letzte Medaillenerfolg nicht ganz so weit zurück. In Berlin, bei den Europameisterschaften 2018, war es auch die Bronzemedaille, mit der das DLV-Team geehrt wurde. Mit dabei auch damals schon Tatjana Pinto, Rebekka Haase und Gina Lückenkemper. Und auch in diesem Jahr stehen die Erfolgsaussichten blendend. Wenn nicht gar sogar goldig. Denn bei der WM war das DLV-Team das beste Team Europas.
Doch auch ohne das Phrasenschwein füttern zu wollen: Staffelmedaillen sind noch schwieriger planbar als Medaillen in anderen Disziplinen. Viele Wechsel liegen auf dem Weg bis zum Podest, Entscheidungen, die schneller getroffen werden müssen, als der Flügelschlag eines Schmetterlings dauert, und aus mindestens vier Individualsportlerinnen muss eine Einheit werden. Doch dass die deutschen Sprinterinnen genau dieses Momentum aufbauen können, das haben sie in Eugene eindrucksvoll bewiesen.
Titelverteidigerin: Großbritannien (41,88 sec)
Jahresbeste: Großbritannien (41,99 sec)
DLV-Starterinnen: Alexandra Burghardt (LG Gendorf Wacker Burghausen), Rebekka Haase (Sprintteam Wetzlar), Gina Lückenkemper (SCC Berlin), Lisa Mayer (Sprintteam Wetzlar), Lisa Nippgen (MTG Mannheim), Tatjana Pinto (TV Wattenscheid 01)
4x400 METER
Großbritannien mit besten Aussichten
16 Nationen bringen Staffel-Teams über 4x400 Meter mit zur EM. Das schnellste Team kommt aus Großbritannien. Victoria Ohruogo, Nicole Yeargin, Jessie Knight und Laviai Nielsen stürmten bei der WM in Eugene in 3:22,64 Minuten zu Bronze – schneller war kein anderes europäisches Team in diesem Jahr.
Entsprechend groß sind auch die Erwartungen an ihren Start bei den Europameisterschaften. Doch mit Wut im Bauch über ihr frühes WM-Aus werden auch die Polinnen als Titelverteidigerinnen anreisen und sind genauso hoch einzuschätzen, wie das Team aus Frankreich oder auch aus Belgien, die im WM-Finale auf Platz fünf und sechs ins Ziel kamen.
Einen Platz im Finale will auch das deutsche Team buchen. Zuletzt gelang das bei der EM 2018, als die DLV-Staffel auf Platz sechs ins Ziel kam.
Titelverteidigerinnen: Polen (3:26,59 min)
Jahresbeste: Großbritannien (3:22,64 min)
DLV-Starterinnen: Carolina Krafzik (VfL Sindelfingen), Elisa Lechtleitner (LAZ Ludwigsburg), Mona Mayer (LG Telis Finanz Regensburg), Alica Schmidt (SCC Berlin), Corinna Schwab (LAC Erdgas Chemnitz), Luna Thiel (VfL Eintracht Hannover)