| Berlin 2008 – Berlin 2018

Unsere Zeitreise mit... Mateusz Przybylko: Kämpfernatur auf Höhenflug

Steigen Sie ein und schnallen Sie sich an. Wir nehmen Sie mit auf eine Zeitreise. Eine Reise, die im Sommer 2008 bei den Deutschen Jugend-Meisterschaften im Berliner Olympiastadion beginnt. Eine Reise, die im Sommer 2018 bei den Europameisterschaften im Berliner Olympiastadion ihren Höhepunkt finden soll. Berlin 2008 – Berlin 2018. Gestern und heute. Now and then. In dieser Woche ist Ihr Reiseleiter: Hochsprung-Ass Mateusz Przybylko.
Harald Koken

Die Anfänge bis 2008: Vom Fußball zum Hochsprung

Schon als Dreikäsehoch spielte Mateusz Przybylko Fußball – wie seine jüngeren Brüder Kacper und Jacub. Die Brüder blieben dem runden Leder treu und wurden Profis, Mateusz wechselte als Elfjähriger zur Leichtathletik. Bei der LG Bielefeld erkannte Georg Cadek sein Talent für den Hochsprung. Er hatte einst schon Mutter Violetta Przybyłko trainiert und zu einer Sechs-Meter-Weitspringerin geformt.

2008 qualifizierte sich Mateusz Przybylko für die Deutschen B-Jugendmeisterschaften in Berlin. Prompt erfolgte mit Platz drei der Sprung aufs Podest. „Da bin ich zusammen mit meinen Eltern und meinem damaligen Trainer hingefahren. Ich war absolut aufgeregt, zumal es meine ersten Deutschen Meisterschaften waren. Die Veranstaltung war geil, denn es war die Generalprobe für die WM der Erwachsenen 2009. Ich habe damals gesagt, ich möchte einmal hier stehen, wenn das Stadion voll ist“, blickt der 26-Jährige zurück.

„Ich war 16 und ungestüm, konnte noch gar nicht ahnen, welche Entwicklung vor mir liegt. Ich hätte niemals gedacht, dass ich an Olympischen Spielen teilnehmen werde“, so der Höhenjäger, dessen Bestleistung vor zehn Jahren bei 2,03 Meter stand.

2009: Debüt im DLV-Trikot nach Einbürgerung

Bereits Ende Januar 2009 flog Mateusz Przybylko im heimischen Bielefeld in der Halle über 2,14 Meter und steigerte sich damit gegenüber seiner Freiluft-Bestleistung gleich um elf Zentimeter. Dabei fiel er seinem heutigen Trainer Hans-Jörg Thomaskamp auf. „Ich habe gedacht, das ist ein höchsttalentierter Athlet, der aus sehr hohen Geschwindigkeiten fast kamikazemäßig springt“, beschreibt der 60-Jährige seinen ersten Eindruck.

„Er hatte eine sehr individuelle Technik, was Absprungvorbereitung, Steigphase und Landung angeht. Der Fußaufsatz war gefährlich. Aber insgesamt brachte er eine ganze Menge mit“, so der Erfolgscoach vom TSV Bayer 04 Leverkusen. Nachdem er in Bielefeld die zehnte Klasse vollendet hatte, wechselte Mateusz Przybylko in die Hochburg. Die Kombination aus Trainingsbedingungen, schulischem Umfeld und intensiver Begleitung waren das ausschlaggebende Argument für die Veränderung.

„In Bielefeld war ich der einzige Hochspringer“, erzählt der 1,95 Meter große Modellathlet. „Als ich zu Hans-Jörg gewechselt bin, habe ich sofort gemerkt, dass ich hier richtig bin.“ Er wurde Deutscher B-Jugendmeister und erfüllte die Norm für die U18-WM in Brixen (Italien). Er entschied sich, dort für Deutschland zu starten. „Wir haben in Polen angefragt, aber der Verband hat sich nie gemeldet. Dann haben mich meine Eltern eingebürgert.“ Platz elf und das Gefühl, den Bundesadler auf der Brust zu tragen, ließen ihn Blut lecken „Es war ein voll geiles Gefühl. Seitdem war ich in jedem Jahr bei einem internationalen Ereignis dabei.“

2010/2011: In der U20 national ungefährdet

Die Beziehung zwischen Trainer und Athlet wurde immer stabiler. „Er hat ein sonniges Gemüt, ist ein freundlicher, charmanter Typ. Aber er ist auch ein typischer Junge, hat inzwischen auch ein gutes Verständnis für Technikzusammenhänge“, charakterisiert Hans-Jörg Thomaskamp. Die Bilanz für 2010: Deutscher U20-Hallenmeister, Deutscher U20-Meister, Deutscher U23-Meister und die Steigerung der persönlichen Bestleistung auf 2,16 Meter.

2011 überwand er 2,20 Meter, packte also wieder ein paar Zentimeter drauf. Zudem konnte Mateusz Przybylko alle drei nationalen Meistertitel des Vorjahres erfolgreich verteidigen. Um zu unterstreichen, aus welchem Holz sein Schützling geschnitzt ist, erzählt Trainer Hans-Jörg Thomaskamp diese Anekdote:

„Die Deutschen Jugend-Hallenmeisterschaften fanden in Leverkusen statt und er wollte unbedingt den Titel haben, hatte sich aber im Vorfeld eine heftige Fersenprellung zugezogen. Damit konnte er eigentlich gar nicht springen. Aber er hat das knallhart durchgezogen mit Eisspray und Heulen und ist dann tatsächlich Deutscher Jugend-Hallenmeister geworden. Das zeichnet ihn aus. Er kann schon Dinge rumreißen, einfach weil er es will.“

2012: Büroarbeit? Zu monoton.

Auch 2012 ist Mateusz Przybylko in der Saison-Rangliste mit 2,20 Meter verzeichnet. Erneut wurde er Deutscher U23-Meister. Er erwarb das Fachabitur und begann eine speziell auf Leistungssportler zugeschnittene Ausbildung zum Kaufmann für Büromanagement. Doch diese brach er nach kurzer Zeit wieder ab.

„Ich habe für ein Jahr die Option dieser besonderen Ausbildung gezogen, muss aber zugeben, dass ich mich total gelangweilt habe. Die Arbeit war monoton, die ganze Zeit nur rumsitzen, das war nichts für mich. Ich muss mich bewegen. Dann kam die Möglichkeit, Sportsoldat zu werden und mich noch mehr auf den Sport zu konzentrieren“, erklärt Mateusz Przybylko.

2013: Tattoo dokumentiert familiäre Verbundenheit

Wieder wurde die Latte ein Stückchen höher gelegt und die Bestleistung auf 2,24 Meter gesteigert. Mit dem fünften Platz bei der U23-EM in Tampere (Finnland) ging es auch platzierungsmäßig weiter nach oben. Hinzu kamen zwei Podestplätze auf nationaler Ebene: Silber in der Halle und Bronze im Stadion – wohlgemerkt bei den Aktiven.

Hinzu kam auch ein Symbol, das die familiäre Verbundenheit dokumentiert. Wie seine Brüder trägt Mateusz Przybylko ein Tattoo auf dem Oberarm. „Wir haben jahrelang überlegt, wie wir unsere familiäre Verbundenheit nach außen dokumentieren könnten, wie wir zeigen könnten: Hey, die Familie ist uns total wichtig. Schließlich haben wir uns auf den Oberarm 'La Familia' tätowieren lassen. Ich hab's links, die Jungs rechts, weil sie Rechtshänder sind“, erklärt der Linkshänder.

2014: Durch Innenband-Anriss ausgebremst

2014 war nach dem erneuten Vize-Meistertitel bei der Hallen-DM im Prinzip schon Schluss. Anfang Juni riss in Regensburg das Innenband an. „Ich bin erstaunt, dass er sich nie etwas Gravierenderes zugezogen hat“, sagt Trainer Hans-Jörg Thomaskamp in Anspielung auf die immensen Krafteinwirkungen auf Gelenke und Sehnen. „Aber er hat eine sehr anpassungsfähige Konstitution. Bestimmte Bereiche vor allem auf der Sprungbeinseite sind deutlich stärker ausgeprägt und von daher auch belastbarer“, meint der Coach.

Die Verletzungsanfälligkeit wurde gezielt bekämpft. „Ich hatte immer Probleme mit dem Absprung, mit der Pronation. Der Fuß ist da oft weggeknickt. Deshalb haben wir den Anlauf umgestellt, damit ich den Fuß anders aufsetzen kann und die Problemstellung vermieden wird“, erzählt Mateusz Przybylko. Potenzial sieht er noch bei der Lattenüberquerung. „Ich habe über der Latte oft einen kleinen Entenarsch. Ich muss daran arbeiten, dass ich die Pobacken zusammenkneife und sich dadurch die Hüfte hebt. Das ist schwierig. Wir machen spezielle Kraftübungen auf der Matte. Hüfte heben, Hüfte hoch, das ist für mich oberstes Gebot. Aber das hängt auch viel mit der Konzentration zusammen.“

2015: Der Knoten platzte

Gleich zu Beginn sprang er mit persönlicher Bestleistung von 2,26 Metern zum Deutschen Hallen-Meistertitel, schied bei den Hallen-Europameisterschaften in Prag aber in der Qualifikation aus. „Keine halben Sachen machen“ wollten Trainer und Athlet dann Ende Mai bei der Kurpfalz-Gala in Weinheim und ließen 2,30 Meter - die WM-Norm für Peking (China) - auflegen. Gleich im ersten Versuch schwang sich Mateusz Przybylko über die Latte und konnte dem, was er gerade geleistet hatte, kaum Glauben schenken.

„Ich habe heute überhaupt nicht mit der Norm gerechnet. Letzte Woche lag ich noch mit Fieber im Bett“, erklärte er damals kurz nach dem Wettkampf. „Es kam endlich der langersehnte Ausrutscher nach oben. Da ist der Knoten geplatzt“, interpretiert er heute. Bei seinem WM-Debüt legte er mit gültigen Versuchen über 2,17 und 2,22 Meter einen guten Start hin, musste bei 2,26 Metern dann allerdings den Wettkampf beenden, auch wenn der zweite Sprung vielversprechend war. „Ich glaube, ich war fast zu locker drauf. Eigentlich hat alles gepasst, der zweite Sprung über 2,26 Meter war bombastisch, der war eigentlich hoch drüber“, erklärte Mateusz Przybylko.

2016: Das Olympia-Debüt

Zwar machten ihm Fußbeschwerden zu schaffen. Dennoch verteidigte Mateusz Przybylko seinen Deutschen Hallen-Meistertitel bravourös. Und im ersten Wettkampf unter freiem Himmel legte er gleich eine Punktlandung hin. Er überflog im ersten Versuch die 2,29 Meter, die Höhe, die für die Teilnahme an den Olympischen Spielen in Rio (Brasilien) gefordert war. Bei Olympia konnte er sich jedoch nicht für das Finale qualifizieren.

2017 begann vielversprechend: Der erneute deutsche Hallen-Meistertitel und Platz sieben bei der Hallen-EM in Belgrad waren sozusagen nur die Ouvertüre. Ende Juni startete der Extraklasse-Hochspringer einen buchstäblichen Höhenflug. Zunächst bewältigte er bei einem internationalen Militär-Wettkampf auf der NATO-Airbase im rheinland-pfälzischen Ramstein als Sieger 2,30 Meter und hakte damit die WM-Norm für London ab.

2017: Aufstieg in die Weltklasse

Drei Tage später stieg er in Bottrop mit einer Steigerung auf 2,35 Meter in die erste Reihe der weltbesten Hochspringer auf. Mit der Leistungsexplosion katapultierte sich Mateusz Przybylko an die zweite Stelle der Weltjahresbestenliste. Analysen ergaben, dass sein Körperschwerpunkt an diesem Tag bei 2,40 Meter lag – drei Zentimeter höher als der deutsche Rekord von Carlo Thränhardt aus dem Jahr 1984 (2,37 m).

Nicht nur Dirk Lewald vom gastgebenden LC Adler Bottrop war aus dem Häuschen: „Mateusz ist ein fantastischer Typ. Ich habe noch keinen Sieger gesehen, der sich nach dem Wettbewerb in dieser Herzlichkeit beim Kampfgericht bedankt. Einfach ein sehr sympathischer Kerl“, sagte der Orga-Chef. „Da bin ich fast umgefallen", kommentierte sein früherer Trainer Georg Cadek. „Gut für die Leichtathletik, dass Mateusz mit dem Fußball nicht ganz so gut umgehen konnte wie seine Brüder."

Bei den Weltmeisterschaften übersprang er zunächst die geforderte Qualifikationshöhe für das Finale von 2,31 Metern. Im Wettkampf erreichte er diese Höhe jedoch nicht nochmals und errang mit einer übersprungenen Höhe von 2,29 Metern den fünften Platz - die beste deutsche WM-Platzierung im Hochsprung seit acht Jahren, seit Raúl Spank 2009 in Berlin die Bronzemedaille gewonnen hatte.

2018: Erste internationale Medaille - ein Traum ging in Erfüllung

In Dortmund feierte Mateusz Przybylko seinen vierten deutschen Hallen-Meistertitel in Folge und steigerte seine Hallenbestleistung um einen Zentimeter auf 2,30 Meter. In Birmingham (Großbritannien) holte er bei den Hallen-Weltmeisterschaften mit 2,29 Metern Bronze – seine erste internationale Medaille. Ein Traum ging in Erfüllung.

„Die Eigenschaften, die er mitgebracht hat, haben wir versucht evolutionär weiterzuentwickeln, die größten Fehler zu vermeiden, ihn in die Lage zu versetzen, seine Stärken zu nutzen“, veranschaulicht sein Trainer Hans-Jörg Thomaskamp.

Insbesondere betont der Coach die kämpferischen Qualitäten seines Athleten. „Zum Diamond League-Meeting in Eugene musste er alleine reisen, hatte sich vorher in Garbsen eine kleine Knochenprellung geholt. Deshalb haben wir in der Vorbereitung auf Eugene keinen einzigen Trainingssprung gemacht. Dass er dann für fast eine Woche dort alleine hinfährt, mit Jetlag und allem was dazugehört, und dann noch im Wettkampf alles rausreißt, indem er im dritten Versuch noch eine 2,26 Meter abliefert, fand ich sehr beeindruckend.“

2018: „Geiles Event“ vor Augen

Die Vorbereitung auf die Heim-EM in Berlin (6. bis 12. August) läuft auf Hochtouren. „Ich hoffe, dass das Stadion voll sein wird. Meine Familie wird komplett da sein. Es wird sicher ein geiles Event“, sagt Mateusz Przybylko, der sich in zehn Jahren um 32 Zentimeter gesteigert hat. Aber die Höhe ist nicht die einzige Veränderung. „Ich bin erwachsener geworden, entspannter. Man wächst ja schließlich an seinen Aufgaben“, bekennt der Sportsoldat.

„Viel anders machen würde ich nicht, es hat ja funktioniert. Mit 16 war ich ja noch nicht so gut wie andere Athleten, von denen man schon lange nichts mehr hört. Ich habe mich kontinuierlich gesteigert und gehöre jetzt zu den Weltbesten. Ich kann behaupten, dass ich stolz bin auf das, was ich erreicht habe.“ Sein Trainer stimmt dem zu und weckt Hoffnungen: „Wenn jetzt noch die entsprechende Form und die technische Stabilität dazu kommt, haben wir noch nicht seinen höchsten Sprung gesehen.“

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