Die erfolgreichste Stabhochspringerin der Geschichte ist bereit: Yelena Isinbayeva träumt nach einer Babypause vom Comeback bei Olympia 2016 in Rio des Janeiro. Aufgrund der vorläufigen Suspendierung des russischen Verbands nach dem Doping-Skandal in der russischen Leichtathletik kann die 33-Jährige aber vielleicht gar nicht starten. Der Schritt des Internationalen Leichtathletikverbands IAAF sei "unfair", klagt sie im Interview der Deutschen Presse-Agentur (dpa).
Yelena Isinbayeva, bei den Winterspielen 2014 in Sotschi waren Sie "Bürgermeisterin" des Olympiadorfes. Wegen der internationalen Dopingstrafe gegen russische Sportler könnten Sie nun aber für die Spiele im August in Rio gesperrt sein. Wie sehen Sie diesen Kontrast?
Yelena Isinbayeva:
Das sind zwei verschiedene Geschichten. Bürgermeisterin des Olympiadorfs zu sein war eine der größten Erfahrungen meines Lebens. Ich konnte mit Gästen aus aller Welt sprechen und ihre Kultur und Meinung kennenlernen. Die heutige Situation in der Leichtathletik kann ich nur als sehr kompliziert, uneindeutig und unfair bezeichnen. Ich hoffe, dass bis zu den Sommerspielen alles wieder gut sein wird und ich für mein Land antreten kann.
Sie könnten theoretisch unter der Fahne des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) starten. Schließen Sie das für Rio aus?
Yelena Isinbayeva:
Im Moment sehe ich das nicht. Noch einmal: Ich hoffe, dass die russischen Leichtathleten wieder zugelassen werden und gemeinsam unter der russischen Flagge in Brasilien auftreten werden.
Ist Ihnen persönlich das Thema Doping schon einmal begegnet?
Yelena Isinbayeva:
Seit 20 Jahren fülle ich ein Formular der WADA [Welt-Anti-Doping-Agentur] aus, auf dem ich für die nächsten drei Monate für jeden Tag meinen Aufenthaltsort angebe. Täglich muss ich eine Stunde einplanen, wo mich ein WADA-Mitarbeiter besuchen kann, um einen Test zu machen. Das ist Teil meines tägliches Lebens geworden.
Waren Sie überrascht, wie massiv die Dopingvorwürfe des Internationalen Leichtathletikverbands IAAF gegen Russland sind?
Yelena Isinbayeva:
Ja, ich war schockiert. Ich habe den Eindruck, man wollte eine Entscheidung treffen, ohne die Details zu prüfen. Ich denke, dass die Leichtathleten, die keinen Bezug zum Skandal und nie ein Problem mit der WADA hatten, weiter trainieren, antreten und als sportliches Vorbild für die Jugend fungieren sollten. Jene Sportler aber, die Gesetze verletzt haben, sollen die Konsequenzen tragen. Man muss hier genau abgrenzen. Doping ist ein Problem auf der ganzen Welt. Deswegen muss man es gemeinsam lösen. Ich persönlich bin tief getroffen. Aber ich glaube, dass wir bald wieder antreten können.
Braucht die russische Leichtathletik Reformen?
Yelena Isinbayeva:
Man muss sich ständig verbessern. Sicherlich wird der russische Leichtathletikverband alle Empfehlungen der IAAF und der WADA erfüllen, damit unsere Sportler wieder zugelassen werden.
Wären Sie bereit, ein Amt zu übernehmen – vielleicht sogar als Vorsitzende eines reformierten russischen Verbands?
Yelena Isinbayeva:
Das ist ziemlich schwer zu sagen. Im Moment kann ich Ihnen aber sicher sagen: Ich bin bereit, für Russland in Rio anzutreten.
Sie sind mehrfache Olympiasiegerin und Weltrekordlerin. Welche sportlichen Ziele haben Sie noch?
Yelena Isinbayeva:
Mein Hauptziel ist heute, mein ganzes Potenzial zu zeigen und so viele Weltrekorde wie möglich zu erreichen. Ich spüre, dass ich es kann! 2016 wird mein letztes Jahr im Hochleistungssport sein. Als Höhepunkt kommen die Olympischen Spiele in Rio und hoffentlich eine Goldmedaille. Sie merken schon, ich habe viel vor. Mein zweites Ziel: Ich habe 2013 die Charity Foundation Yelena Isinbayeva gegründet, die das Leben von Kindern aus schwierigen Verhältnissen verbessern will. Wir bauen Sportplätze und organisieren Wettbewerbe. Sport hat mein Leben sehr positiv verändert, ansonsten gäbe es dieses Interview gar nicht. Jetzt möchte ich anderen diese Chance geben.
Wie schwer war es, nach einer Babypause zurückzukommen?
Yelena Isinbayeva:
Ich wusste, dass eine Zeit kommen wird, in der es um alles oder nichts geht. Diese Entscheidung zu treffen war nicht leicht. Aber ich hatte Unterstützung durch meine Familie, durch Freunde und Trainer. Das Schlimmste waren die ersten vier Monate, muss ich gestehen. So nach einem halben Jahr ging es wieder. Heute kann ich kaum glauben, dass es mir so schwer fiel.
Sie sind in Wolgograd aufgewachsen. Das frühere Stalingrad gilt für Deutsche als Schicksalsstadt. Die deutsche Mannschaft spielt vielleicht bei der Fußball-WM 2018 dort. Was würde Deutsche erwarten?
Yelena Isinbayeva:
Unsere Gäste werden ein friedvolles, freundschaftliches und liebenswürdiges Wolgograd antreffen. Seit vielen Jahren sind wir mit unseren deutschen Partnerstädten Köln und Chemnitz im Austausch. Erst vor kurzem war eine deutsche Delegation mit Minister Frank-Walter Steinmeier bei uns. Er sagte: "Die Menschen von Stalingrad sind nicht nur Helden, weil sie vor 70 Jahren mit ihrem Blut die Wende im Krieg erzwungen haben. Sie sind auch Helden, weil sie uns bis heute zum Frieden ermahnen." Ich bin sicher, dass ihnen unsere Stadt gefällt.
Welche Erfahrung haben Sie selbst mit Deutschen?
Yelena Isinbayeva:
Oh, ich bin oft in Deutschland und habe dort viele Freunde. Deutschland hat sehr starke Stabhochspringerinnen, aber unsere Konkurrenz ist rein sportlich. Wir kommen menschlich sehr gut klar. Wissen Sie, was mir in Deutschland besonders gut gefällt? Die Pünktlichkeit, Genauigkeit. Und dass man zu seinem Wort steht.
Quelle: Deutsche Presse-Agentur (dpa)