| Interview

Idriss Gonschinska: "Ich hoffe, dass die Deutsche Meisterschaft ein Leuchtturm-Projekt wird"

Der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) hat in den vergangenen Wochen intensiv an der Gestaltung einer Late Season mit Deutschen Meisterschaften unter stark veränderten Rahmenbedingungen gearbeitet. Im Interview berichtet DLV-Generaldirektor Sport Idriss Gonschinska über seine Hoffnung auf ein Leuchtturm-Projekt in Braunschweig, seine Erwartungen an diese besonderen Titelkämpfe und auch über die Entscheidung von DLV-Topathleten, ihr Glück in den USA zu suchen.
DLV/dpa

Idriss Gonschinska, Sie haben ein Konzept für Deutsche Meisterschaften ohne Zuschauer am 8./9. August in Braunschweig entwickelt. Wie aussichtsreich ist eine Bewilligung?

Idriss Gonschinska:

Wir haben das Konzept Ende vergangenen Woche an die Stadt Braunschweig und an das niedersächsische Innen- und Sportministerium verschickt. Jetzt warten wir auf die Antwort.

Wie schwierig war es, ein Konzept für eine so komplexe und vielfältige Sportart wie die Leichtathletik zu entwickeln – unter den Bedingungen der Corona-Restriktionen? Konnten Sie das Konzept der DFL für die Fußball-Bundesliga als Blaupause nutzen?

Idriss Gonschinska:

Wir orientieren uns immer auch an Konzeptionen und Strategien anderer Sportarten. Insofern haben wir uns intensiv mit dem DFL-Konzept auseinandergesetzt – und es war hilfreich. Auf der anderen Seite lässt sich ein fußballspezifisches Konzept leider nicht linear auf die Leichtathletik übertragen, weil viele Parameter nicht vergleichbar sind durch die Vielzahl der Disziplinen und ihre Besonderheiten. Letztendlich haben wir auf der Basis der anhängigen Verordnung und der Abstandsregelung einen speziellen Hygieneplan aufgestellt. Dabei haben wir ein Abstand bezogenes Zonenkonzept gestaltet, mit dem das Stadion und der Warm-up-Bereich in unterschiedliche Segmente unterteilt werden soll.

Wie sieht das speziell in den technischen Disziplinen wie Kugelstoßen, Diskuswerfen oder Stabhochsprung aus?

Idriss Gonschinska:

Erstmal muss man feststellen, dass die Leichtathletik abweichend zum Fußball keine Kontaktsportart ist. Bei den technischen Disziplinen haben wir uns auf die konsequente Umsetzung der Abstandsregelungen – Mindestabstand 2 Meter – in der Vorbereitung und im Wettkampf konzentriert. Die Besonderheit ist, dass die Athleten ihre eigenen Geräte benutzen müssen, bei den Wurfdisziplinen oder im Stabhochsprung. Zudem wird es eine Reduzierung der Teilnehmerzahl geben.

Wie viele Starter werden zugelassen?

Idriss Gonschinska:

Zehn Athleten in den technischen Disziplinen.

Wie wird bei den Laufdisziplinen verfahren: Was wird es für Spezifika geben?

Idriss Gonschinska:

Wir werden die Bahnen nicht alle besetzen, so dass wir den Zwei-Meter-Abstand einhalten. Dies gilt für die Sprintdisziplinen und die Wettbewerbe, die in Bahnen gelaufen werden. Die Bahnen werden deshalb nur zur Hälfte besetzt.

... über 1.500 Meter geht das aber nicht...

Idriss Gonschinska:

Auf der Basis der aktuellen Verordnung sind die Läufe ab 1.500 Meter nicht ins Programm der Meisterschaften integriert. Wir arbeiten aber an einer innovativen Wettkampfperspektive mit virtuellen Duellen auf Laufbändern. Außerdem haben wir vor, diese Lauf-Wettbewerbe im September in eine andere Veranstaltung zu integrieren.

Wie sieht es mit den 800 Metern aus?

Idriss Gonschinska:

Diese Strecke kann man unter veränderten Rahmenbedingungen in Bahnen laufen.

Gibt es weitere Besonderheiten?

Idriss Gonschinska:

Es wird eine dynamische Personenführung durch die ganze Veranstaltung geben. Mit deutlich mehr Kontrollen und vorgegeben Laufwegen.

Welche Art von Titelkämpfen erwarten Sie? Wird es Bestleistungen geben können, oder muss man die Leistungen als Folge der Corona-Krise relativieren?

Idriss Gonschinska:

Wir sind ein Jahr vor den Olympischen Spielen. Man kann die Vorbereitung darauf nur schwer gestalten, ohne wettkampfspezifische Reize zu setzen. Nur auf Grundlage von Fitness- und Athletik-Training hat man keine gute Ausgangslage für die Olympia-Saison 2020/21. Deshalb ist es wichtig für Athleten, sich zielorientiert auf etwas vorbereiten zu können. Es war eine der größten Herausforderungen der vergangenen Wochen, abgesehen von den Einschränkungen, nicht zu wissen: Worauf trainiere ich eigentlich? Das ist für die Motivation ein wichtiger Faktor. Zugleich hatten wir vor den Einschränkungen eine systematische Vorbereitung. Und dann haben die Athleten sehr kreative Lösungen gefunden zu trainieren. Deshalb gehe ich davon aus, dass diejenigen, die das sehr konzentriert gestaltet haben, auch leistungsfähig sein werden.

Sie rechnen also mit guten Leistungen?

Idriss Gonschinska:

Ich glaube, dass sich die Athleten bei den Meisterschaften präsentieren wollen. Die Sportart und die Athleten wollen sichtbar sein – und wir haben eine breite, komplexe TV-Übertragung. Wir werden in Braunschweig, eine Genehmigung der Veranstaltung vorausgesetzt, gute Leistungen sehen.

Von ganz normalen Meisterschaften kann man aber nicht sprechen...

Idriss Gonschinska:

Im Moment haben wir in der Gesellschaft gar nichts ganz Normales. Wir werden eine Meisterschaft haben, bei der man gewinnen will. Es wird spannende Duelle geben. Ich glaube, dass die Athleten, die die unklare Situation am besten gestaltet und gut improvisiert haben, sich gut präsentieren können.

Ist die Deutsche Meisterschaft ein Leuchtturm-Projekt für die Leichtathletik, damit sie sich auf der öffentlichen Bühne zeigen kann?

Idriss Gonschinska:

Die Präsenz und Sichtbarkeit ist für die Relevanz einer Sportart sehr richtungsweisend und notwendig. Eine Sportart muss man leben können, sie muss wahrgenommen werden. Insofern ist die Umsetzung der Late Season auch für die wirtschaftliche Handlungsfähigkeit des DLV wichtig. Deshalb hoffe ich, dass es ein Leuchtturm-Projekt wird.

Kann es Mut machen, in den Regionen auch wieder Meetings auf die Beine zu stellen?

Idriss Gonschinska:

Wir haben ein allgemeines Konzept als Empfehlung an die Partner weitergegeben, auch wenn es in den Regionen andere Rahmenbedingungen gibt. Es kann ein Signal setzen für Wettkämpfe in den Regionen.

Ein weiteres Leichtathletik-Thema hat zuletzt die Medien beschäftigt: Mit Malaika Mihambo, Konstanze Klosterhalfen und Gina Lückenkemper suchen zurzeit drei deutsche Spitzenathletinnen ihr Glück in den USA. Haben sie in Deutschland keine Chance und keine guten Trainer? Wie bewerten Sie diese Entscheidungen?

Idriss Gonschinska:

Junge Menschen wollen aus unterschiedlichen Beweggründen und über individuelle Strategien ihre Träume verwirklichen. Wir sind eine von zwei globalen Sportarten. Entsprechend ergeben sich durch die Globalisierung auch viele Interaktionen unter den Athleten und den Trainern. Zudem zählen Mobilität, Konnektivität und Individualität zu den stabilen Megatrends, die unser Leben beeinflussen. Dies berührt natürlich auch die DLV-Athleten.

Letztlich sind die drei Weltklasse-Athletinnen aus ganz unterschiedlichen Motiven angesprochen worden. Die global ausgerichteten Ausrüsterfirmen bieten mit ihrer Unterstützung sowie den zugeordneten internationalen Profi-Trainingsgruppen attraktive Rahmenbedingungen, die in einigen sehr gut zu vermarktenden Disziplinen deutlich über die Möglichkeiten des deutsche Fördersystems, gerade in unserer globalen Sportart, hinausgehen. Die Dynamik dieses Trends ist für uns neu. Wir setzen uns derzeit intensiv mit unsere Vermarktungsagentur DLM mit dieser Entwicklung auseinander und arbeiten an neuen Konzepten. Es bedarf letztlich der Unterstützung durch weitere Wirtschaftspartner für die Umsetzung der sich ableitenden Projektideen. Unbenommen dieser Entwicklung erhalten wir sehr regelmäßig Anfragen von internationalen Athleten, die gern an einem Stützpunkt in Deutschland trainieren würden.

Tut es trotzdem weh, tolle Sportlerinnen ziehen zu lassen?

Idriss Gonschinska:

Grundsätzlich wünschen wir den Athleten, dass sie ihre Ziele, Wünsche und Visionen umsetzen. Wir wünschen uns auch den mündigen Athleten. Von daher ist man mit solchen Entscheidungen konfrontiert. Die Ballung kommt plötzlich, aber es ist ein besonderes Szenario, mit dem sich neben dem DLV international auch weitere Leichtathletik-Verbände auseinandersetzen müssen.

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