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Maria Purtsa – Energiegeladen, emotional und ein bisschen eigenwillig

Olympia-Verschiebung, EM-Absage, viel Unsicherheit, dann aber doch Deutsche Meisterschaften in Braunschweig. Im Jahr 2020 war coronabedingt vieles anders. Hervorgebracht hat der Sommer dennoch wieder neun DLV-Athleten, die ihren ersten nationalen Einzeltitel bei den Erwachsenen gewonnen haben. Wir stellen sie vor, heute Dreispringerin Maria Purtsa (LAC Erdgas Chemnitz).
Jan-Henner Reitze

Maria Purtsa
LAC Erdgas Chemnitz

Bestleistung:

Dreisprung: 13,67 Meter (2020)

Erfolge:

Deutsche Meisterin 2020

In diesem sechsten Versuch gelang es Maria Purtsa loszulassen. Ohne verbissen daran zu denken, wie nah der mögliche erste DM-Titel ist, nutzte die Dreispringerin Anfang August in Braunschweig ihren abschließenden Versuch und steigerte ihre Tagesbestweite auf 13,65 Meter. Damit überholte sie die bis dahin führende Jessie Maduka (ART Düsseldorf; 13,57 m), die wiederum in ihrem sechsten Versuch nicht mehr zulegen konnte.

Nicht nur die Weite, die nur zwei Zentimeter unter ihrer einen Monat zuvor aufgestellten Bestweite lag, sondern auch die innere Einstellung, mit der die 25-Jährige zu ihrer ersten nationalen Goldmedaille flog, stehen für ein neues Level, das sie auf verschiedenen Ebenen in ihrer Karriere erreicht hat.

Die kontinuierliche Arbeit in der Trainingsgruppe von Harry Marusch in Chemnitz, etwa mit Verbesserungen in Schnelligkeit und Technik, zahlt sich immer mehr aus. Auch mental war es eine Herausforderung, nach vielen Jahren im Dreisprung eher als Spätzünderin in der nationalen Spitze anzukommen. Hinter dieser Entwicklung steckt ein langwieriger Lernprozess, in dem die Chemnitzerin auch ein paar Umwege gegangen ist. Ohne diese Umwege wäre sie aber nicht die Leistungssportlerin, die sie heute ist.

Dreisprung auf internationalem Niveau ein frühes Fernziel

Schon in ihrer Kindheit in Cossebaude bei Dresden steckte Maria Purtsa voller Energie, ging zum Tennis oder Turnen. Als Zweitklässlerin folgte sie ihrem Bruder dann ins Leichtathletik-Training und hatte schnell große Ziele. „Andere Mädchen wollten Prinzessin werden, ich wollte Olympiasiegerin werden“, erzählt die Sächsin. „Lustigerweise auch schon damals im Dreisprung. Meine ersten Trainer beim TSV Cossebaude, Peter Belger und Enrico de Schultz, haben gesagt, diese Disziplin könnte einmal etwas für mich sein, weil ich gut springen und Hürden laufen konnte.“

Bis sie sich an der technisch und körperlich anspruchsvollen Disziplin versuchte, feilte die damalige Schülerin aber noch einige Jahre als Mehrkämpferin an Grundlagen und Zubringerleistungen, nach der Grundschule auf der Sportschule in Dresden, verbunden später auch mit einem Vereinswechsel zum Dresdner SC 1898. Gemeinsam mit Trainerin Claudia Marx, die auch noch wenig Erfahrung damit hatte, tastete sich das Duo an den Dreisprung heran. „Wir haben zum Beispiel Bildreihen von Sprüngen von Katja Demut angeschaut“, erinnert sich die heutige Deutsche Meisterin, die in ihrem ersten Wettkampf-Jahr in der neuen Disziplin als U18-Athletin im Jahr 2011 bei 11,58 Metern landete.

In den weiteren Jugend-Jahren gelang eine Verbesserung bis auf 12,70 Meter, diese Leistung brachte 2014 gleichzeitig Bronze bei der Jugend-DM in Wattenscheid in der U20, nach Silber ein Jahr zuvor (12,22 m) in Rostock. Weil sie nach dem Abitur die Sportkarriere weiter verfolgen und an der TU dort ihr gewünschtes Fach Psychologie studieren konnte, war der Wechsel nach Chemnitz fast schon eine logische Entscheidung. Außerdem blieben Heimat und Familie, bis heute eine wichtige Unterstützung, in der Nähe. Ihre Wahlheimat ist der Dreispringerin ans Herz gewachsen. „Chemnitz ist vor allem eine klasse Sportstadt und viel offener als viele denken. Nicht umsonst sind wir hier auch Kulturhauptstadt Europas 2025 geworden.“

Sich ausprobieren, um den richtigen Fokus zu finden    

In ihren U23-Jahren sammelte Maria Purtsa unter Anleitung von Harry Marusch mit zweimal Silber und einmal Bronze weitere Medaillen auf nationaler Nachwuchsebene und profitierte von ihrer Trainingsgruppe um die Deutschen Hallenrekordler Kristin Gierisch und Max Hess (beide LAC Erdgas Chemnitz). Im Sommer 2017 ging es erstmals über die 13-Meter-Marke und das gleich konstant. Vorläufiger Höhepunkt der ersten drei Jahre im Trikot des LAC Erdgas Chemnitz waren 13,30 Meter als Fünfte bei den Deutschen Meisterschaften in Erfurt.

Neben dem eigenen Training betreute die Studentin damals auch eine Kindergruppe. „Das hat einfach Freude gemacht und ich wollte über den Tellerrand hinausblicken.“ Dieser Drang nach Neuem führte auch zur Bewerbung um ein Sport-Stipendium für einen Aufenthalt in den USA. Auch wenn diese Idee bei ihrem Trainer auf keine Begeisterung stieß, verbrachte die Chemnitzerin ab Herbst 2017 ein Semester in Cincinnati im Bundesstaat Ohio. „Es war eine tolle persönliche Erfahrung und ich habe aus der Zeit viel mitgenommen“, erzählt die angehende Psychologin, die aktuell ihre Masterarbeit schreibt. „Aber mit den Trainingsbedingungen kam ich nicht gut zurecht. Ich brauche doch eher das Individuelle und eine kleine Gruppe.“

"Was will ich eigentlich?"

So endete das Abenteuer USA vorzeitig und nicht nur mit der Erkenntnis, dass sie sich in ihrer Chemnitzer Trainingsgruppe wohler fühlt. Auch anhaltende Rückenprobleme und Zweifel an der eigenen Leistungsfähigkeit bescherten 2018 ein sportlich verlorenes Jahr. Diesem Tief entsprang aber auch Positives. „Ich habe mich noch einmal gefragt: Was will ich eigentlich? Will ich diesen sportlichen Weg gehen?“, erzählt die DLV-Athletin. „Ich habe eingesehen, dass ich nicht überall Energie reinstecken kann, und begonnen, das Leben eines Leistungssportlers zu leben, für den Regeneration essentiell ist.“

Dankbar ist die 25-Jährige dafür, dass ihr Umfeld sie immer darin unterstützt hat, ihre eigenen Erfahrungen zu machen. „Niemand hat gesagt: Maria, du darfst das nicht. Sondern: Probiere es aus und lerne daraus.“ So war es möglich, den eigenen Weg zu finden, hinter dem sie hundertprozentig steht.

Grenzenloser Jubel bei Hallen-DM 2019

Mit neuem Fokus arbeitete sich Maria Purtsa aus ihrem Tief heraus und kam stärker zurück als je zuvor. Ihre Freude darüber ist auf diesem Video festgehalten. Bei der Hallen-DM 2019 landete sie im sechsten Versuch bei der neuen Bestleistung von 13,46 Metern und sicherte sich damit Bronze und ihre erste DM-Medaille bei den Aktiven. Schon bevor die Weite auf der Anzeigetafel stand, feierte die Dreispringerin ihre Leistung ausgelassen und riss das Publikum in der Arena Leipzig mit.

„Dieser Moment war eine riesige Erleichterung. Ich war ganz unten. Verletzung, Krankheit, und habe mich nicht getraut zu springen. Und dann habe ich kontinuierlich an mir gearbeitet und wurde dafür belohnt“, erinnert sie sich. „Ich bin emotional, das kommt dann einfach ungeplant von selbst aus mir heraus.“

Die konzentrierte Trainingsarbeit brachte weitere Fortschritte in den Zubringerwerten, es brauchte aber auch Zeit sich bewusst zu machen, auf einem neuen Level anzukommen. „Beispielsweise in der Hallensaison 2020 wäre auch schon mehr drin gewesen, da habe ich es aber noch nicht zusammenbekommen.“ Etwas überraschend blieben Schnelligkeit oder Kraft in der Vorbereitung auf den Sommer trotz Corona-Krise stabil, obwohl die Dreispringerin wochenlang keinen Zugang zu Trainingsanlagen hatte und Einheiten auf den Feldweg verlegen mussten. Auch mental war die Bereitschaft für die nächste Steigerung da, die Bestleistung und DM-Titel einbrachte.

14 Meter rücken näher            

Der eingeschlagene Weg wird im laufenden Aufbautraining weiterverfolgt. Neben neuen Verbesserungen und der Stabilisierung der Zubringerleistungen steht die Technik im Mittelpunkt. „Ich darf den Fuß beim Springen nicht hinter die Hüfte setzen, sondern muss ihn mehr unter das Knie setzen. Daran arbeiten wir mit Mehrfachsprüngen“, so die Deutsche Meisterin, die dank Unterstützung des Vereins und des Olympiastützpunktes im aktuellen Lockdown-Light Zugang zur Leichtathletik-Halle hat.

Der Kindheitstraum vom Olympiasieg ist zwar noch ein ganzes Stück entfernt, aber der Anschluss an die internationale Spitze langsam in Reichweite. Die 14 Meter sind dafür die Eintrittskarte. „Wir arbeiten weiter akribisch. Natürlich kann ich mir keinen bestimmen Tag vornehmen, an dem diese Marke fallen soll. Alles kommt, wenn es sein soll. Ich höre nicht auf, dafür zu arbeiten und daran zu glauben.“

Was es heißt, für den Sport alles zu geben und auch manches unterzuordnen, hat Maria Purtsa mittlerweile gelernt. Und auch das Vertrauen in sich selbst, eine besondere Leistung in einem besonderen Moment einfach passieren zu lassen, ist gewachsen. Das hat der sechste Versuch bei den Deutschen Meisterschaften in Braunschweig bewiesen.

Das sagt Bundestrainer Charles Friedek:

In den vergangenen Jahren hat sich Maria, unter der fachkundigen Anleitung von Harry Marusch in Chemnitz, stetig weiterentwickeln können. Neben Kristin Gierisch, Neele Eckhardt und Jessie Maduka war sie zuletzt immer eine Anwärterin auf eine Top-3-Platzierung und hat sich so zu einer festen nationalen Größe etablieren können. Die weitere Steigerung auf 13,67 Meter sowie der Titelgewinn in Braunschweig sind vor dem Hintergrund der eingeschränkten Corona-Vorbereitung auf Feldwegen sehr bemerkenswert.

Maria teilt das Schicksal vieler Horizontalspringer, die besten Sprünge sind entweder ungültig oder am Balken war zu viel Luft. Die Leistungsverbesserungen in diesem Jahr sind auf eine sehr viel stabilere Technik zurückzuführen. Insbesondere der Jump, also der letzte Teilsprung, hat sich verbessert und führt nun aufgrund der Flugparabel zu einer effektiveren Landevorbereitung. Insgesamt lässt sich ihr Verbesserungspotenzial mit gelungenen Sprüngen aus noch mehr Anlaufgeschwindigkeit beschreiben.

Maria ist ein emotionaler Mensch, der sehr konsequent und fokussiert arbeitet, um seine hochgesteckten Ziele zu erreichen. Ich gehe davon aus, dass sie sich weiter steigern kann. Vielleicht gelingt es ihr im kommenden Jahr an der 14-Meter-Marke zu kratzen. In jedem Falle würde ich sie als eine Kandidatin für die Europameisterschaften 2022 in München sehen.

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