| Nachruf

Der Herr der Runde: 400-Meter-Olympiasieger Lee Evans ist tot

Estadio Olimpico, Mexiko-Stadt, 18. Oktober 1968, 15.50 Uhr Ortszeit. Als Lee Edward Evans nach 400 Metern ins Ziel stürmt, hat sich sein größter Traum schon mit 21 Jahren erfüllt: Der schwarze US-Amerikaner ist Olympiasieger – und in was für einer Zeit: 43,86 Sekunden!
dpa/nw

Zweimal Olympiasieger, fast 20 Jahre lang Weltrekordler und Siege in Serie – kein anderer 400-Meter-Sprinter hat seine Mitläufer so beherrscht wie Lee Evans. Nun ist der Herr der Runde tot. Im Alter von 74 Jahren starb die Leichtathletik-Legende aus den USA nach einem Schlaganfall in der nigerianischen Metropole Lagos, teilte der nationale Verband USATF am Mittwoch mit. Evans hat immer seine Stimme als Menschenrechtsaktivist erhoben und war auch im hohen Alter noch als Trainer aktiv. Kaum zu glauben: Noch heute hält er sich in der ewigen Weltbestenliste auf Platz 13.

Der am 25. Februar 1947 im kalifornischen Madera geborene und in Fresno aufgewachsene Modellathlet schrieb 1968 bei den Olympischen Spielen in Mexiko-Stadt Geschichte: In 43,86 Sekunden blieb Evans als erster 400-Meter-Sprinter unter 44 Sekunden, gewann noch mit der 4x400-Meter-Staffel der Amerikaner Gold – und sorgte auch bei der Siegerehrung für Aufsehen: Wie zuvor seine Landsleute Tommie Smith und John Carlos bei der 200-Meter-Zeremonie protestierte er gegen die Rassendiskriminierung in den USA: Evans trug auf dem Podest eine schwarze Baskenmütze als Symbol der Black Panther.

„Es war mein bestes Rennen überhaupt. Und immer, wenn es heute mal nicht so gut läuft oder ich schlecht drauf bin, dann denke ich an diesen Tag. Das baut mich wieder auf“, hatte der Kalifornier 2007 – an seinem 60. Geburtstag – der Deutschen Presse-Agentur gesagt.

Flucht vor Farmern

„Lee Evans war einer der größten Athleten und Anwälte für soziale Gerechtigkeit“, betonte Harry Edwards, ein Begründer des Olympia-Projekts für Menschenrechte, dem auch Evans angehörte.

Teenager Evans entpuppte sich sehr schnell als Jahrhundert-Talent: In 46,6 Sekunden lief er die 400 Meter so schnell wie kein anderer Oberschüler in den Vereinigten Staaten, als 19-Jähriger bereits in 45,2 Sekunden. Neben Bestzeiten in Serie lieferte der Afroamerikaner später (s)eine traurige Erklärung dafür: „Mein Bruder und ich waren hungrig und stahlen deshalb Früchte. Wenn die Farmer mit ihren Gewehren kamen, mussten wir so schnell wie möglich davonlaufen.“

„Trainer des Jahres“ in Nigeria

1972 stand Lee Evans in München zwar noch ein letztes Mal im Olympia-Team, die US-Staffel über 4x400 Meter kam aber gar nicht zum Einsatz. Er beendete seine Karriere, nahm 1973 den Profi-Status an und machte seinen Uni-Abschluss. Seit Mitte der 1970er Jahre wirkte er als Coach in den USA und gab seine Erfahrungen in rund 20 Ländern weiter: In Nigeria wurde er 1979 sogar „Trainer des Jahres“.

Seinen Fabelweltrekord hielt Evans fast zwei Jahrzehnte lang: Erst am 17. August 1988 rannte sein Landsmann Harry „Butch“ Reynolds in Zürich (Schweiz) unglaubliche 43,29 Sekunden.

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