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Hildegard Falck-Kimmich: Weltrekord-Revolution vor 50 Jahren

Genau vor 50 Jahren am 11. Juli 1971 blieb 800-Meter-Läuferin Hildegard Falck-Kimmich in Stuttgart als erste Frau unter zwei Minuten. Ein Jahr nach diesem Weltrekord wurde sie 1972 in München Olympiasiegerin und ist damit bis heute eine Legende.
Ewald Walker

Es waren zwei Sternstunden auf zwei Stadionrunden, für die 800-Meter-Läuferin Hildegard Falck-Kimmich einst sorgte. Vor genau 50 Jahren bei den Deutschen Meisterschaften im Stuttgarter Neckarstadion, an jenem tropisch-heißen 11. Juli 1971, hielt die Leichtathletik-Welt den Atem an. Am Vorabend hatte sich Hildegard Falck-Kimmich im Sporthotel hinter dem Stuttgarter Neckarstadion zum Schlafen zwischen Schuhkartons in die von ihrem Ausrüster angemieteten kühlen Kellerräume gelegt.

Tags darauf im Finale der Deutschen Meisterschaften bog Hildegard Falck-Kimmich mit großem Vorsprung auf die Zielgerade ein. Die Zuschauer auf der Tribüne sprangen auf, der Stadionsprecher hatte die historische Dimension dieses 800-Meter-Rennens erst hinter der Ziellinie bemerkt: Weltrekord in 1:58,45 Minutne! Hidegard Falck war als erste Frau der Welt unter zwei Minuten geblieben und hatte den alten Rekord um zweieinhalb Sekunden verbessert. Die schwäbische Gemütlichkeit geriet in diesem Moment aus den Fugen, die Leichtathletik-Welt hatte eine Revolution erfahren.

Ohne Plan, ohne Tempomacherin: einfach losgelaufen zum Weltrekord

„Ich lief im Ziel gegen eine Kamerawand, das war natürlich ein tolles Gefühl“, erinnert sich die damals 22-Jährige im grünen Trikot des VfL Wolfsburg. Die Leichtathletik-Welt stand Kopf ob dieses epochalen Einschnitts. Sie sei einfach losgelaufen, ohne Plan, ohne Tempomacherin, die es damals noch nicht gab. Mit ihrer Zeit von Stuttgart 1971 hätte Falck-Kimmich bei der letzten WM in Doha Bronze gewonnen, bei sämtlichen Deutschen Meisterschaften bis heute den Titel.  

Doch schon wenige Wochen später war die Überfliegerin auf dem Boden der Tatsachen gelandet. Ein Sturz („Da wurde bereits mit Ellbogen gearbeitet“) verhinderte bei den Europameisterschaften in Helsinki (Finnland) mögliches EM-Gold. Im Olympiajahr war Falck-Kimmich bei den Deutschen Meisterschaften in München lediglich Zweite geworden, eine zweite Sternstunde war nicht unbedingt zu erwarten.

Olympiasiegerin am „goldenen Sonntag“ für die deutsche Leichtathletik

Es folgte ein Moment, den eine Sportlerin nie vergisst. 800-Meter-Finale bei den Olympischen Spielen im eigenen Land. „Ich konnte im Mittelfeld mitlaufen und bin dann auf der Zielgeraden durch eine Lücke vorgeprescht“ erinnert sich der Blondschopf.

Ein Jahr nach dem Weltrekord also der Olympiasieg, an einem Sonntag, der mit den Olympiasiegen des Speerwerfers Klaus Wolfermann und des Gehers Bernd Kannenberg zum „goldenen Sonntag“ aus bundesdeutscher Sicht wurde, und der im „Klassenkampf“ zwischen DDR und Bundesrepublik eine bedeutende Rolle spielte. „Ich sah meinen Sport aber nie in Verbindung mit diesem politischen Kampf“, betont die in Breisach bei Freiburg lebende Ausnahmesportlerin.

Während Weltrekorde in der Leichtathletik heute vom Weltverband mit 60.000 US-Dollar honoriert werden, waren für Hildegard Falck-Kimmich die materiellen Entlohnungen bescheiden. Zu Hause im niedersächsischen Nettelrede spielte die Feuerwehrkappelle in einem Gasthaus für die Olympiasiegerin auf, es gab ein Armband, sechs Sektgläser, einen 400 Mark-Bekleidungsgutschein und eine geprägte Medaille. Die Goldmedaille hat sie bis heute in einem Banksafe hinterlegt.

Freundschaften wichtiger als Geld

Materiell brachten ihr die Erfolge nicht viel ein, dafür umso mehr sozialen Gewinn. „Ich hatte durch den Sport viele Menschen und Länder kennengelernt und Freundschaften geknüpft“, schätzt sie andere Werte. Die Freundschaften mit den anderen Olympiasiegerinnen wie Heide Rosendahl und Annegret Richter oder der Olympiazweiten Rita Wilden zählen bis heute. Noch wertvoller: Hildegard Falck-Kimmich hatte im Olympischen Jugenddorf 1968 in Mexiko ihren späteren Mann kennengelernt.

Die Olympiasiegerin und Weltrekordlerin kam aus einem bescheidenen Umfeld. Ihre ersten Tempoläufe absolvierte sie in Ackerfurchen bei Nettelrede. Viele haben es bedauert: Bereits mit 25 Jahren beendete die beste 800-Meter-Läuferin ihrer Zeit ihre Karriere. Wichtiger als der Sport war der Realschullehrerin die finanzielle Absicherung im Beruf. Und weil sie wusste, dass damals bereits gedopt wurde, sah sie sportlich keine Chance mehr.

„Ich bin glücklich mit meinem Leben“

Zwölf Jahre nach dem Stuttgarter Paukenschlag rannte Jarmila Kratochvilova (Tschechoslowakei) auf der Bahn des Münchner Olympiastadions, dort wo Falck-Kimmich Olympiasiegerin wurde, im August 1983 mit 1:53,28 Minuten zum bis heute gültigen, ältesten Weltrekord in die Leichtathletik-Bücher.

Dreimal die Woche geht Hildegard Falck-Kimmich laufen („Laufen tut man lebenslang“). Zuletzt war sie als Zuschauerin bei den Europameisterschaften 2018 und den Deutschen Meisterschaften 2019 im Berliner Olympiastadion. „Ich bin glücklich mit meinem Leben“, lautet ihre Lebensbilanz, auch dank zweier Sternstunden.   

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