| Porträt

Julian Wagner und sein Weg an die Sprint-Spitze

Bereits im Winter sorgte er als Deutscher Vize-Meister über 60 Meter in 6,59 Sekunden für Aufsehen. Doch dann verletzte sich Julian Wagner (LC Top Team Thüringen) nach einer langen Hallen-Saison im Frühjahrstrainingslager auf Gran Canaria an den Oberschenkeln. Zur Pause gezwungen arbeitete er schließlich an den richtigen Stellschrauben und kam stärker zurück als je zuvor. Mit 10,11 Sekunden sprintete er in neue Dimensionen und zugleich an die Spitze der deutschen 100 Meter-Bestenliste.
Jane Sichting

Dass er schnell ist, hat Julian Wagner schon oft unter Beweis gestellt. So sammelte er bereits in der U20 und U23 Medaillen bei Deutschen Meisterschaften sowie jeweils Silber bei der Hallen-DM 2020 und 2021. Doch mit den starken Leistungen der vergangenen Wochen habe er selbst nicht gerechnet. Schließlich musste er sich nicht nur nach einer mehrmonatigen Verletzungspause erst wieder in das Wettkampfgeschehen zurückkämpfen, sondern war mit der Doppelbelastung aus Leistungssport und seiner Ausbildung zum Mechatroniker auch mental stark gefordert.

„Das viele Bücherlesen und Lernen für die Prüfung war schon sehr belastend und stressig für mich“, erzählt er, „ich hätte nicht gedacht, dass es so anstrengend ist, die Ausbildung nebenbei zu machen“. Doch will er diese jetzt durchziehen, um sich dann ab Februar 2022 voll und ganz auf den Sport zu konzentrieren. „Vielleicht lassen sich dann noch ein paar Hundertstelsekunden rausholen, wenn ich nur noch eingleisig unterwegs bin“, sagt er und die Vorfreude auf das kommende Jahr ist ihm anzuhören.

Den Grundstein dafür hat er bereits jetzt gelegt. Mit einem phänomenalen Comeback meldete er sich Ende Juli bei einem Leichtathletikabend in München mit 10,28 Sekunden über die 100 Meter eindrucksvoll zurück. „Wir wissen jetzt einfach, was ich im Training brauche. Ich hatte viel Zeit, auf meinen Körper zu hören und kann endlich das umsetzen, woran wir gearbeitet haben“, erklärt er sich diesen Erfolg. Während sein langjähriger Trainer Gerd Jäger „die Grundsteine gelegt hat, hat mein jetziger Coach Tobias Schneider vor anderthalb Jahren begonnen, den Feinschliff zu übernehmen“.

10,00 Sekunden mit Windunterstützung

Und das hat bislang sichtlich gut funktioniert. Denn schon im August beim Meeting im Schweizer La Chaux-de-Fonds steigerte sich Julian Wagner trotz starken Gegenwindes (-1,7 m/s) auf 10,21 Sekunden – die 10,00 Sekunden aus dem Vorlauf zählten aufgrund zu starken Rückenwindes (+2,5 m/s) nicht. Und schließlich trommelte er dann am 22. August beim internationalen Meeting im luxemburgischen Schifflange furiose 10,11 Sekunden auf die Bahn: deutsche Jahresbestleitung und Platz sieben in Europa!

Angesichts der beiden Höhepunkte mit EM und WM im nächsten Jahr keine schlechten Aussichten. Eine Zeit unter 10 Sekunden, die es für einen EM-Finalplatz womöglich bedarf, traut er sich durchaus zu: „Die 10,11 Sekunden bin ich bei Windstille gelaufen. Wenn ich einen richtig guten Tag und günstigen Rückenwind habe, dann ist eine Neun vor dem Komma auf jeden Fall möglich.“ Denn Glück mit den Bedingungen hatte er bei seinen Wettkämpfen in diesem Jahr kaum. „Oftmals war zu viel Wind oder es hat geregnet. Bei keinem der Rennen waren die Bedingungen optimal – etwa mit Temperaturen um die 30 Grad und 1,5 m/s Rückenwind. Dennoch konnte ich konstant Zeiten unter 10,20 Sekunden anbieten. Das zeigt, was noch möglich ist“, sagt er.

Auch am Sonntag beim ISTAF stand er bei seinem Saisonabschluss über 100 Meter vor einer neuen Herausforderung. Gleich drei Mal wurde zurückgeschossen, erst der vierte Start gelang. „Das war auch für mich eine neue Situation. Ich denke, hier haben mir meine Erfahrungen und die Sicherheit aus den letzten Rennen geholfen, mir da nicht allzu sehr einen Kopf zu machen und ruhig zu bleiben“, erzählt er. Und weiter: „Ich habe einfach versucht, mich mental immer wieder neu aufzubauen und neu zu konzentrieren. So etwas gehört einfach dazu und nicht immer läuft alles optimal.“

Große Ziele für das Jahr 2022

Bereits mit Zieleinlauf streckte Wagner als einziger Deutscher in dem international stark besetzten Feld vor Freude die Arme zur Seite und wusste, dass es ein schnelles Rennen war. „Das war noch einmal ein sehr guter Wettkampf und es hat von vorne bis hinten alles gestimmt. Mein Ziel war es, vorne mitzulaufen. Dass ich in solch einem Feld meine Leistung aus den letzten Wochen noch einmal bestätigen konnte, freut mich sehr“, sagt er. Zudem habe er an das Berliner Olympiastadion nur gute Erinnerungen: „Dort zu laufen ist jedes Mal einzigartig. Und mit den Zuschauern war auch eine richtig gute Stimmung.“

Sichtlich zufrieden genießt der Erfurter jetzt erst einmal die Off-Season, bevor es Mitte Oktober wieder ins Training geht. „In den Urlaub geht es aber leider nicht. Denn in der Ausbildung stehen einige Prüfungen an, so dass ich nur zwischendurch mal für drei oder vier Tage in der Region unterwegs sein werde. Ich freue mich aber trotzdem, mal keinen Sport zu machen und die Freizeit zu genießen“, sagt der 23-Jährige. Auch wenn er dann im Winter den Fokus primär auf seine Ausbildung legen will, plant er mit Wettkämpfen. „Das ist ja immer auch eine gute Grundlage für die Sommersaison, denn da möchte ich dann wieder richtig angreifen“, blickt er voraus.

Junge Truppe

Dann möchte er nachholen, was er mit dem verletzungsbedingten Tokio-Aus verpasst hat: bei den Welt- und Europameisterschaften im Nationaltrikot gegen die internationale Konkurrenz laufen. Gute Chancen rechnet er sich vor allem mit der Staffel aus. „Wie sich in diesem Jahr schon gezeigt hat, sind wir eine junge Truppe an Sprintern, die sich national durchgesetzt hat. Ich denke, wenn wir als Team gut zusammenwachsen, kann man langfristig viel von uns erwarten. Wir sind in der Breite gerade sehr gut aufgestellt und alle jung und motiviert“, schätzt er die Chancen der deutschen Sprinter nach dem Genrationswechsel ein.

Auch in seiner Trainingsgruppe hat sich mit dem Deutschen Rekordhalter Julian Reus ein bisher für ihn wichtiger Bestandteil seines Trainingsumfeldes aus dem Leistungssport verabschiedet. „Es sind aber viele von unten nachgekommen und wir sind gewachsen und können alle voneinander profitieren“, sagt er. Und vielleicht gelingt es ihm sogar dank der „optimalen Bedingungen, die ich in Erfurt habe“, sein großes Ziel zu verwirklichen. „Ich halte es für möglich, in Richtung deutscher Rekord zu laufen“, sagt er und fügt lachend hinzu: „Wäre doch schön, wenn dieser in Erfurt bleibt.“

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