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Christopher Linke: Holpriger Start, erfolgreiches Ende

Nach einer durchwachsenen Saison geprägt von Verunsicherung und Zweifeln konnte Christopher Linke doch noch ein Happy End herbeiführen: Bei den Olympischen Spielen belegte er im Gehen über 20 Kilometer einen starken fünften Platz und denkt ncch lange nicht ans Aufhören. Der bald 33-Jährige peilt seine vierten Spiele 2024 in Paris an.
Sandra Arm

Der Spätsommer ist für die Athleten oft eine Zeit, um zur Ruhe zu kommen und abzuschalten. Manch einer nutzt diese Zeit, um das abgelaufene Wettkampfjahr zu reflektieren. Oder befindet sich schon wieder in der Vorbereitung. In diesem Übergang befindet sich gerade Christopher Linke (SC Potsdam). „Die Saison verlief überhaupt nicht so wie ich sie mir vorgestellt habe“, fällt der Rückblick des Gehers eher ernüchternd aus.

Begonnen bei den Deutschen Meisterschaften im Straßengehen im April in Frankfurt, als der 32-Jährige mit dem dritten Platz über 20 Kilometer eine „kleine Klatsche“ erlebte. „Das ist in den vergangenen zehn Jahren nicht vorgekommen, dass ich mal Dritter geworden bin“, sagt er spürbar enttäuscht. Erleichtert zeigte er sich über das anschließende Trainingslager in der Höhe der Sierra Nevada (Spanien) – das erste nach einem Jahr pandemiebedingter Pause. Das Gewohnte kehrte allmählich in seinen sportlichen Alltag zurück. Wenn auch „nur“ auf 2.300 Meter Höhe. „Ich habe gemerkt, als älterer Athlet brauchst du das schon. Gerade wenn man die Höhentrainingslager über die Saison gewohnt ist“, erzählt er.

Das Erfolgserlebnis blieb aber erneut aus: Bei der Team-EM der Geher im Mai im tschechischen Podebrady musste er sich erneut seinem Vereinskollegen Nils Brembach geschlagen geben. Christopher Linke wurde 13., sein Trainingspartner Zehnter. „Das war für mich das bisher schlechteste Ergebnis in Podebrady. Danach war ich extrem enttäuscht. Ich habe dort in den Jahren zuvor immer einen guten Wettkampf abgeliefert“, sagte er und begab sich auf Ursachenforschung: „Ich bin vier Tage vor dem Wettkampf aus der Höhe zurückgekehrt. Vor dem Start in Podebrady mussten wir in Quarantäne. Ich habe von der Rückanpassung nicht so profitiert. Die Kraft war da, es fehlte am Tempo.“

Zeiten stimmen ihn optimistisch

Es folgten Zweifel. „Bist du vielleicht doch zu alt?“, fragte er sich. Im Oktober 2019 hatte er seinen letzten Wettkampf bestritten. Ein knappes halbes Jahr später warf ihn die Corona-Pandemie völlig aus der Bahn, er legte ein Ruhejahr ein. Doch wie sollte es weitergehen? Die ersten Wettkämpfe in diesem Jahr brachten enttäuschende Momente. Christopher Linke grübelte, hinterfragte sich – und sah sich innerlich keinesfalls am Ende. Seine Zeiten gaben ihm die nötige Stärke. „Von Wettkampf zu Wettkampf lief es immer besser. Daraufhin habe ich mich entschlossen, beim Geher-Meeting in La Coruna in Spanien zu starten. Ich wollte es mir einfach selbst beweisen.“

Mit diesem inneren Antrieb ging er in 1:20:51 Stunde zur deutschen Jahresbestzeit. Enttäuscht zeigte er sich mit Rang elf abermals über seine Platzierung. „Das war wiederum kein gutes Ergebnis, nicht der Anspruch, den ich an mich selbst habe. Es waren Leute vor mir, die ich sonst im Griff habe. Zuversichtlich hat mich die Zeit gemacht, ich konnte mich um anderthalb Minuten steigern.“ Für den letzten Feinschliff sorgte das Trainingslager in Livigno (Italien) sowie das olympische Pre-Camp in Shibetsu (Japan). „Letzteres war für die Klimaanpassung im Grunde perfekt. Vom Aufbau hat es super gepasst. Von der Qualität habe ich in Sapporo den besten Wettkampf der Saison gezeigt“, sagt Christopher Linke.

Doha als Schlüsselerlebnis, Training in improvisierter Hitzekammer

Ebenso dazu beigetragen hat ein Schlüsselerlebnis, zwei Jahre zuvor. Im Vorfeld der Weltmeisterschaften in Doha (Katar) legte Christopher Linke eine Hitzewoche ein. Dafür wurde der Trockenraum der Kanuten am Olympiastützpunkt in Potsdam als Hitzekammer umfunktioniert. Alles improvisiert mit Geräten aus dem Baumarkt wie Wäschetrockner und Heizlüfter. Dazu mit Wasser getränkte Handtücher, um mit der abgegebenen Wärme die hohe Luftfeuchtigkeit zu erzeugen.

„Ich habe diesmal ein zehntägiges extremes Hitzetraining bewältigt. Wir haben damit versucht, den Wettkampf in Doha oder wie zuletzt in Sapporo zu simulieren. Am härtesten Tag herrschten 36 Grad und 85 Prozent Luftfeuchtigkeit. Die ersten sechs Tage bin ich in der Kammer entweder Fahrrad gefahren oder auf dem Laufband gegangen – meist für anderthalb Stunden“, berichtet er.

In der Hitzewoche vor Doha hatten zwei Ärzte der Berliner Charité das Training täglich begleitet.  Vor den Olympischen Spielen war es nur sein Mental- wie Verbandstrainer Marco Gerloff. Diese improvisierte Trainingsmethode ist nämlich nicht ganz ungefährlich. „Man musste in dieser Zeit extrem auf seinen Körper hören und auf Warnsignale achten“, weiß Christopher Linke um das Risiko der improvisierten Hitzesimulation. Dennoch erwies sie sich im Rückblick als gewinnbringend. So habe er sich auf den letzten acht Kilometern in Sapporo noch „richtig gut und ohne Schwäche gefühlt“, so dass er mit diesem Gefühl in Kopf und Beinen den Endspurt anzog, immer schneller wurde und sich nach vorne arbeiten konnte.

Sportliche Versöhnung in Sapporo

Für eine Medaille hat es erneut nicht ganz gereicht, aber mit dem fünften Platz erreichte er die nächste Top-Platzierung bei einem Großereignis. In Rio (Brasilien) vor fünf Jahren war er schon Fünfter geworden, bei der WM 2019 in Doha Vierter. Zweifelsohne lebte in seinem Inneren der Traum von einer Olympia-Medaille. Doch diese Zielsetzung wollte er nicht öffentlich äußern. „Die Saison lief einfach nicht so wie gewünscht, mir fehlte das Selbstvertrauen. Ich war selbst gespannt, wie weit ich nach vorne kommen kann.“ Nach dem holprigen Saisonstart versöhnte ihn die Olympia-Platzierung allemal. „Ich war damit sehr, sehr zufrieden. Ich habe wirklich alles gegeben und mehr war einfach nicht drin. Ich habe mir absolut nichts vorzuwerfen“, sagt er erleichtert. Er habe es sich und allen anderen bewiesen, dass man auf einen Christopher Linke am Tag X zählen kann.

Kritisch merkte er das fehlende Olympia-Feeling in Sapporo an, wohin die Geher und Marathon-Wettbewerbe aus klimatischen Gründen verlegt worden waren. Aber es gab sie dann doch, diese kleinen ganz persönlichen Momente, die Christopher Linke ein wenig den Geist der Olympischen Spiele hat spüren lassen. Wie seine Begegnung mit dem späteren zweifachen Marathon-Olympiasieger Eliud Kipchoge aus Kenia. „Mit seiner Aura hat er alle fasziniert. Er ist ein Superstar ohne Starallüren. Für mich war es ziemlich beeindruckend, nur ein paar Tische von ihm entfernt zu sitzen. Er wirkte ganz ruhig, total bescheiden und bodenständig.“

Für Christopher Linke waren es nach London (Großbritannien) 2012 und Rio 2016 die dritten Spiele. Die vierten in Paris (Frankreich) sollen 2024 folgen. „Ich mache auf jeden Fall bis 2024 weiter“, sagt er entschlossen. Dennoch weiß er, dass seine sportliche Karriere nicht unendlich ist. Daher hat der Sportsoldat auch schon konkrete berufliche Pläne für das Danach. „Ich wollte schon immer gern zur Polizei – und in den öffentlichen Dienst“, sagt er.

Premiere über 35 Kilometer: Aus der Höhe nach Leeds

Das sind seine Pläne für die Zukunft. Im Hier und Jetzt hat er die Zeit der Ruhe und des Abschaltens schon hinter sich gelassen hat. Einen neuen Reiz setzt er noch in diesem Jahr. Ende September reiste er mit Trainingspartner Johannes Frenzl ins Höhentrainingslager der Sierra Nevada.

Dreieinhalb Trainingswochen werden dann hinter ihm liegen, wenn er direkt aus der Höhe ins britische Leeds (Großbritannien) reisen und erstmals am 23. Oktober über 35 Kilometer starten wird. Es ist ein erster Reiz, ein Herantasten an die neue Strecke. Die 50 Kilometer standen bei den vergangenen Olympischen Spielen ein letztes Mal im Wettkampf-Programm. Große Erwartungen hegt er keine. „Das ist mein Einstieg und für mich wird es ein gutes Training werden. Gleichwohl überwiegt die Vorfreude. Gerade für ihn, der sich als „schneller Athlet mit guter Ausdauer“ bezeichnet. „Ich bin sehr gespannt, wie schnell es gehen kann.“

Seinen Fokus wird er weiterhin auf die 20 Kilometer richten. Die 35 Kilometer sieht er eher als Zugabe. Wenngleich er sportlich auch auf dieser Strecke um einen Startplatz für die internationalen Höhepunkte wie die Heim-EM in München und die WM in Eugene (USA) 2022 kämpfen will. Doch auch er weiß, die nationale Konkurrenz ist groß und heiß. „Wir haben so viele gute Geher, die mit um die Normen kämpfen. Im Vorfeld der Spiele hatten wir acht Normerfüller. Das spricht für unsere Disziplin und das Engagement jedes Einzelnen“, betont Christopher Linke. Gleichzeitig hofft er, dass sein Start in die neue Saison ein wenig problemloser verlaufen wird als noch im vergangenen Frühjahr.

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