| Portrait

Von Eritrea in den Chiemgau – der Hindernis-Lauf des Filimon Abraham

Filimon Abraham ist ein begnadeter Läufer und ein interessanter Gesprächspartner, der Sätze sagt wie: "Anstrengung motiviert mich, sie gibt mir Hoffnung." Gleich welche Steine im Weg liegen, er läuft darüber. Einen Fuß vor den anderen, bis ganz nach oben. Das zeigt die beeindrucke Geschichte des 29-Jährigen, die die Zeitschrift "Sports Illustrated" niedergeschrieben und veröffentlicht hat.
Johannes Thalmayr / Sports Illustrated

Als er zum Ende seiner langen Reise schließlich in den bayerischen Chiemgau kam, es war im April, die Bäume und Bergwiesen grünten schon, da war er fassungslos vor Begeisterung. "Ich dachte: Das gibt’s doch nicht, so schön." Aber das ist nicht der Beginn eines Heimatfilms. So erzählt Filimon Abra­ham, ein ebenso hochtalentierter wie hochinteressantester Läufer, seine Ge­schichte. Und ja, auch sie ist unter anderem eine von der Heimat, allerdings ohne viel Schmalz, dafür mit viel Schweiß.

Filimon Abrahams alte Hei­mat ist Eritrea in Ostafrika – ein Land, in dem es, so sagt es Fili­mon selbst, "höchstens zwei Mo­nate im Jahr grün ist. Sonst im­mer trocken." Das aber ist nicht das einzige Problem dieses klei­nen Landes, in dem jeder Zweite unter der Armutsgrenze lebt. Seit 1993, kurz nach Ende des Un­abhängigkeitskrieges mit Äthio­pien, regiert eine sogenannte Übergangsregierung unter dem verkappten Diktator Isayas Afewerki. Seine Partei – die "Volksfront für Demo­kratie und Gerechtigkeit" – ist die ein­zige im Land. Afewerkis Regime zwingt die junge Bevölkerung zum Militärdienst. Wann der zu Ende geht, weiß bei Antritt keiner.

Vor knapp acht Jahren ergriff Abraham die Flucht, durch den Sudan und Liby­en und über das Mittelmeer bis nach Italien, gemeinsam mit Freunden und Bekannten, aber ohne seine Familie. Er musste weg, denn er hatte sich für sein Leben etwas anderes erträumt als den Dienst an der Waffe. Er träumte stattdessen davon, Radfahrer zu werden. "Fast jedes Wochenende", erinnert sich Abraham, „war in der Stadt eine kleinere Veranstaltung.“ Rad­fahren ist groß in Eritrea, Diktator Afewerki ein Fan. Der Star heißt derzeit Daniel Teklehaimanot, der 2015 als erster Afrika­ner das Bergtrikot der Tour de France trug.

Vom Radfahren zum Laufen

Abraham erinnert sich aber auch daran, wie er als Kind in seinem Dorf Gebrselassie und Bekele im Fernsehen sah und wie stolz sie dort waren, als ihr Landsmann Zersenay Tadese 2004 in Athen Bronze über die 10.000 Meter holte. "Das hat uns in­spiriert und geprägt." Abraham war immer sportlich, so richtig mit dem Laufen habe er allerdings erst 2010, als er bereits 18, 19 Jahre alt war, begonnen. Nach einiger Zeit war er schon wirklich gut, aber damals, sagt Abraham, "gab es einfach Sachen, die wichtiger waren als der Sport".

2014 dann besagte Flucht, die nach einigen Monaten ein Ende im bayerischen Chiemgau fand. Die ersten zweieinhalb Monate durften Abraham und seine damaligen Mitbewohner – "wir waren elf Eritreer und eine nigerianische Familie" – nicht arbeiten. Er saß im Haus, draußen wurde es Sommer. "Nach einer Woche habe ich mich gefragt, warum ich hier drin sitze, und bin raus zum Laufen." Er lernte Deutsch, und er lief, machte Praktika – als Koch und Fliesenleger – und lief.

Es dauerte nicht lange, bis man beim örtlichen Leichtathletik-Verein, der LG Festina Rupertiwinkel, auf ihn aufmerksam wurde. Bis letztes Jahr war das sein Verein, für den er Erfolg um Erfolg einfuhr, bis er Anfang dieses Jahres zur LG Telis Finanz Regensburg wechselte. Allein im vergangenen Jahr gewann er unter anderem in Rekordzeit von 2:24:48 Stunden den Trail-Marathon am thüringischen Rennsteig und den Nations Cup des Berglauf-Weltverbandes im italienischen Chiavenna. Letzteres war Abrahams allererstes Rennen für den Deutschen Leichtathletik-Verband, denn seit 2020 hat er auch die deutsche Staatsbürgerschaft. Kletter-Ass Alexander Huber unterstützte ihn bei seiner Einbürgerung.

„Die Anstrengung motiviert mich, sie gibt mir Hoffnung"

Anruf bei Filimon Abraham, er befindet sich im Höhentrainingslager in Iten, Kenia. Was ihm das Laufen gibt? "Gute Frage", sagt Abraham. "Das Laufen ist für mich wie ein Freund. Es ist Freude, Motivation und Hoffnung. Die Anstrengung motiviert mich, sie gibt mir Hoffnung für das, was kommt." Er habe nicht gedacht, dass er in Deutschland mit dem Laufen weitermachen könne. Er dachte: "Hauptsache ankommen und erstmal mein Leben sortieren."

Aber er lief nicht nur äußerst erfolgreich, er machte auch eine Ausbildung zum Schreiner (sein Gesellenstück: eine Pokalvitrine). Nach wie vor arbeitet er neben dem Laufen in Teilzeit bei einer Lampenfirma, wenn er gerade nicht im Trainingslager ist.

Abraham, der bislang vor allem im Berglauf und über 10 Kilometer (Bestzeit: 28:47 Minuten) beziehungsweise im Halbmarathon (Bestzeit: 1:03:39 Stunden) glänzen konnte, hat sich für das Jahr 2022 den Marathon auf der Straße vorgenommen. Er möchte im August bei den European Championships für Deutschland an den Start gehen. Die Norm liegt hierfür bei 2:14:30 Stunden. Laufen will er sie beim Hamburg-Marathon – am kommenden Sonntag.

Quelle: Sports Illustrated

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