| Porträt

Amanal Petros: Ein Flüchtling aus Eritrea wird zur deutschen Lauf-Hoffnung

Eritrea, Äthiopien, Bielefeld. Das waren die Stationen im Leben von Amanal Petros. Fast sechs Jahre nach seiner Ankunft in Deutschland feiert der 22-Jährige seinen ersten deutschen Meistertitel bei den Erwachsenen und seinen Realschul-Abschluss. Ein Beispiel, wie Sport Integration fördern kann.
Christian Ermert

So intensiv wurde wohl selten ein dritter Platz bei einer Team-EM bejubelt: Amanal Petros (SV Brackwede) hatte in Lille verbissen gekämpft um diese neun Punkte, die er zum deutschen Mannschaftssieg beitrug. Als er es geschafft hatte, zog er sein Nationaltrikot in Richtung Fernsehkamera und deutete einen Kuss auf den Bundesadler an. Die Szene aus dem Juni verdeutlichte schon, wie sehr er sich darüber freut, in Deutschland und ganz besonders in der Leichtathletik-Szene eine neue Heimat gefunden zu haben.

Vor fast sechs Jahren war er als Asylbewerber in Deutschland gelandet. Mit 16 und ganz allein. Seine Familie hatte er damals in Äthiopien zurückgelassen. Seine Mutter lebt immer noch immer in dem ostafrikanischen Land nahe der Grenze zu Eritrea. Als Amanal Petros zwei Jahre alt war, flüchtete sie dorthin aus dem Nachbarland. In den 1990er-Jahren herrschte Krieg zwischen Eritrea und Äthiopien. In Eritrea sind Menschenrechtsverletzungen immer noch an der Tagesordnung.

Der Einsamkeit davon gelaufen

Im Januar 2012 kam Amanal Petros in Deutschland an. Er wurde in Bielefeld untergebracht. Und fühlte sich erstmal sehr einsam. Er fing an zu laufen, um der angespannten Atmosphäre in seiner engen Unterkunft wenigstens zeitweise zu entkommen. Später unterstützten seine Pflegeeltern die Idee, ihn in einem Verein anzumelden. Und auch Amanal Petros war begeistert davon. „Der Sport hat es mir nicht nur erleichtert, die Sprache zu lernen. Die Kontakte mit den Deutschen waren auch wichtig, um Mentalität und Kultur zu verstehen.“

Und das scheint ihm außerordentlich gut gelungen zu sein. Schon drei Jahre nach seiner Ankunft in Deutschland hat er die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten, dieses Jahr hat er seinen Realschul-Abschluss gemacht, seit ein paar Tagen ist er Bundeswehr-Soldat. Zurzeit absolviert Amanal Petros die Grundausbildung in Hannover, danach wechselt er zur Sportfördergruppe und wird seinen Lebens- und Trainingsschwerpunkt nach Bochum-Wattenscheid an den dortigen Olympiastützpunkt verlegen. Sein Training wird weiterhin von Thomas Heidbreder gesteuert, die Betreuung vor Ort übernimmt Tono Kirschbaum.

Seit dieser Woche bei der Bundeswehr

Der Start in der Bundeswehr war allerdings nicht leicht. Nur einen Tag, nachdem er bei den Deutschen Meisterschaften über zehn Kilometer in Bad Liebenzell seinen ersten nationalen Titel bei den Erwachsenen geholt hatte (<link video:17810>zum Video), musste er in Hannover antreten. Routine und Dienst auf Befehl lösten Glücksgefühle und Euphorie ab. Um fünf Uhr ist Wecken, erst nach 17 Uhr bleibt Zeit fürs Training. Doch Amanal Petros zieht es durch. Ist in der ersten Woche Bundeswehr auch schon mal 20 Kilometer nach Dienstschluss gelaufen. Schließlich ist die Saison für ihn noch nicht vorbei. Er will in der U23 zur EM im Crosslauf, die am 10. Dezember in Samorin (Slowakei) stattfindet.

An solche Starts für Deutschland hat er sicher nicht gedacht, als er als Asylbewerber seine ersten Versuche im Sportverein machte. Mit Fußball fing er an, aber seine beim Straßenkick in Äthiopien errungenen Fähigkeiten überzeugten weder ihn selbst noch seinen Trainer. Also wechselte er zu den Leichtathleten. Und dort entdeckte man schnell das Talent des mittlerweile 22-Jährigen, der zwar im äthiopischen Hochland aufgewachsen und jeden Tag sechs Kilometer zur Schule gelaufen ist, aber vom Leistungssport eines Haile Gebrselassie oder Kenenisa Bekele weit, weit weg war.

Vier U23-DM-Titel in einem Jahr geholt

Sein erstes Zehn-Kilometer-Rennen absolvierte er in Deutschland: Die Zeit von 35 Minuten und ein paar Sekunden war ziemlich gut für sein Alter, aber auch noch nicht Spitzenklasse. Was wirklich in ihm steckt zeigte er ab 2015. Bei der Cross-EM holte er Bronze, die nationalen U23-Titel gewann er über 5.000 Meter, im 10-Kilometer-Straßenlauf und im Cross. Diesen Hattrick wiederholte er nicht nur 2016 – mit dem Sieg über 10.000 Meter fügte er noch einen weiteren Erfolg hinzu.

Sein bestes Jahr erlebte er allerdings 2017. Amanal Petros verbesserte seine Bestzeiten über 5.000 Meter (13:37,20 min) und 10.000 Meter (29:15,62 min) und holte schließlich in Bad Liebenzell über zehn Kilometer auf der Straße (29:01 min) seinen ersten Aktiven-Titel. Dafür ist er dieses Jahr in Trainingslagern schon bis zu 200 Kilometer pro Woche gelaufen. Und damit ist auch schon klar, wo er sich selbst in ein paar Jahren sieht: Auf der Marathon-Distanz. Nach einem Start über 5.000 oder 10.000 Meter bei der EM 2018 in Berlin peilt er die klassische Distanz schon bei den Olympischen Spielen 2020 in Tokio (Japan) an – natürlich mit dem Adler auf der Brust.

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