| Ziel Olympische Spiele

Carolin Dietrich startet nach Tapetenwechsel ihren letzten Angriff

Carolin Dietrich hat Nachholbedarf. Schon vor sechs Wochen ist die Hürdensprinterin in die Vorbereitung auf 2016 eingestiegen. Im Sommer war sie nach ihrem Comeback in der Halle nicht mehr in Erscheinung getreten - es passte einfach nicht. Das hat sich nach einem Tapetenwechsel geändert: Die 30-Jährige ist nach Leipzig gezogen, wird fortan von Jan May betreut und steuert dem Endpunkt ihrer Karriere entgegen: den Olympischen Spielen in Rio.
Pamela Ruprecht

Es ist so etwas wie die letzte Mobilisierung in ihrer leistungssportlichen Karriere. Carolin Dietrich hat ihren Horizont genau abgesteckt: Die Olympischen Spiele in Rio (Brasilien) sollen ihr letztes großes Ziel sein. Selbst ein Olympiasieg würde daran nicht mehr rütteln, scherzt sie. Ihre größten Erfolge waren bisher EM-Bronze in Barcelona (Spanien) und der Hallen-EM-Titel in Paris (Frankreich) 2011, erzielt unter ihrem Mädchennamen Nytra. Ihre Bestzeit aus dem Jahr 2010 steht bei 12,57 Sekunden.

Mit 12,59 Sekunden ist Cindy Roleder (SC DHfK Leipzig) im WM-Finale von Peking (China) zur Silbermedaille gestürmt. „Da habe ich gesehen, was alles möglich ist“, sagt Carolin Dietrich gebannt. Die Mannheimerin will es auch nochmal wissen. Sie ist aus privat-beruflichen Gründen nach Leipzig gezogen und wird nach langer Zusammenarbeit mit Bundestrainer Rüdiger Harksen nun vom Bundestrainer der Männer Jan May gecoacht.

Neuer Trainingsort Leipzig

„Wir waren uns einig, dass es schwierig wäre, wenn Rüdiger mir nur Pläne schickt“, erklärt sie die Entscheidung des Trainerwechsels. Sie braucht jemanden am Platz, der flexibel auf ihren Trainingszustand reagieren kann. Mit Jan May ist ein kompetenter Trainer an dem Ort, an dem ihr Mann eine gute Anstellung als Fußball-Trainer bekommen hat. Auch die Hürdensprinterin hat beim RasenBallsport Leipzig einen Teilzeit-Job in der Geschäftsstelle bekommen, mit der Aussicht auf Vollzeit nach ihrem "Projekt Rio".  

Als Projektmanagerin im Bereich „Corporate Social Responsibility“ hat Carolin Dietrich ein erstes Nachwuchsturnier organisiert und ist mit Leidenschaft bei der Sache. Prämisse für den Stellenantritt war eine gute Vereinbarkeit von Beruf und Leistungssport. Ihr Arbeitgeber kommt ihr entgegen. Sie hat bei ihrem Halbtags-Job die Option auf Home Office und flexible Arbeitszeiten. Angepasst an die Belange des Leistungssports. „Ich habe echt gar keine Probleme, das zu vereinbaren“, sagt sie. Im Gegenteil: Sie liebe die Abwechslung zwischen Kopf- und Körperarbeit.

Dazu versammelt die Austragungsstadt der Deutschen Hallenmeisterschaften 2016 eine Reihe von Spitzen-Hürdensprintern wie Erik Balnuweit und Alexander John. „So hat das Gesamtpaket mit allem gepasst“, sagt eine zufriedene Carolin Dietrich.

Intensive Hallensaison geplant

Der Hürdensprinterin steht ein straffes Programm bevor. Nach der ausgefallenen Sommersaison soll es eine Hallensaison mit mehreren Rennen geben. Im Vergleich zu den anderen Athleten ist sie in der Vorbereitung sechs Wochen voraus. Denn: Carolin Dietrich wollte in diesem Jahr auch die kleinsten Schwächen von Grund an aufarbeiten und braucht dringend Wettkampf-Feeling.

An die 60 Meter Hürden hatte sie sich 2015 wieder herangetastet. Eine Zeit von 8,17 Sekunden hatte gezeigt, dass es wieder in die „richtige Richtung“ geht. Bei der Hallen-DM im Februar schrammte sie als Vierte am Podest vorbei. Bis Ende April konnte sie anschließend gut trainieren, bekam dann aber Fußprobleme. Damit konnte sie in den Einheiten nicht die Belastung fahren, die sie gebraucht hätte, um auch draußen schnell zu rennen. Die 100 Meter Hürden verlangen dem Körper noch einmal mehr ab.

„Das gleiche Desaster wie 2013, dass ich 13,50 und 13,70 laufe, wollte ich dann doch nicht wieder haben.“ Also ließ sie den Sommer weg. Der mit dem Umzug nach Leipzig ohnehin „chaotisch“ und „actionreich“ genug war. Lieber entspannt in der neuen Heimat mit der Olympiavorbereitung anfangen. Nach momentanem Stand startet sie aber weiter für die MTG Mannheim.

Veränderungen im Training

Mit dem Trainerwechsel sind einige Änderungen verbunden. „Es gibt viel neuen Input. Es tut meinem trainingserfahrenen Körper gut, ein paar neue Reize zu setzen“, sagt Carolin Dietrich, deren operierte Fersen momentan keine Beschwerden machen („Ich hoffe, dass sie die nächsten 300 Tage auch nicht rumzicken.“). Viereinhalb Jahre war sie die Methoden von Rüdiger Harksen gewohnt. Wie das neue Training anschlägt und was dabei rauskommt, weiß sie deshalb selbst noch nicht. Das Ergebnis ist „eine Überraschungstüte.“  

Welche Zeit sie laufen muss, um ins olympische Finale einzuziehen, hat das neue Trainer-/Athletin-Gespann auf dem Schirm. Das Ziel ist, in Rio Zeiten zwischen 12,70 und 12,80 Sekunden zu laufen. Das hat in den letzten Jahren immer fürs Finale gereicht. Und dass dort Dinge passieren können, die man nicht planen kann, hat Cindy Roleder gezeigt. Der Anspruch von Carolin Dietrich ist hoch: „Ich will nicht einfach nur laufen, sondern ich will sprinten.“

Feilen an der Schwungbein-Technik

Danach kann das Kapitel Leistungssport zu Ende gehen. Die Olympiateilnehmerin von London (Großbritannien) will noch einmal Wettkampf-Atmosphäre auf großer Bühne erleben, bevor Beruf und Privatleben vollends in den Mittelpunkt rücken sollen. Ihre Motivation für dieses letzte Jahr ist groß.

Während die anderen Leipziger Hürdensprinter noch im Urlaub waren, stand Carolin Dietrich schon in der Halle. Momentan arbeitet sie intensiv an ihrem Schwungbein bei der Hürdenüberquerung. Mit dieser Technik-Umstellung will sie körperschonender ihr Potenzial ausschöpfen. Ob die Umstellung funktioniert, wird sich zeigen. Sie war zehn bis 15 Jahre mit ihrer alten Technik unterwegs. Was im Training läuft, muss dann auch erst mal im Wettkampf klappen.

Die Fähigkeit, ihre Trainingsleistung auf den Punkt abzurufen und die Routine, die sie sonst von sich im Startblock kannte, fehlte Carolin Dietrich 2015 nach der langen Pause in der Halle. Fragen vor dem Rennen tauchten im Kopf auf, die früher keine Rolle für die Hürdensprinterin spielten: „Wie fühlt sich mein Körper an? Wie ist die Bahn? Wie ist die Stimmung? Wer läuft mit mir?“ Um die Gedanken über die Rahmenbedingungen auszublenden, braucht sie einfach viele Rennen. Der Grundstein für ein letztes Jahr Vollgas ist gelegt.

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