| Interview

Clemens Prokop: "Mit großem Optimismus in die kommende Saison"

Der Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) Dr. Clemens Prokop zeigte sich im Gespräch mit der Fachzeitschrift "Leichtathletik" (Mittwochsausgabe) nach dem sportpolitisch brisanten Jahr 2016 optimistisch. Wie er die Strukturreformen des Weltverbandes IAAF, die Spitzensportreform und die Aussichten für das DLV-Team bewertet, erzählte der Verbandschef im Interview.
Daniel Becker

Clemens Prokop, der Olympia-Ausschluss russischer Leichtathleten, eine IAAF-Strukturreform, eine nationale Leistungssportreform und Doping-Enthüllungen am laufenden Band – 2016 war aus sportpolitischer Sicht ein bewegtes Jahr. Sind die Weichen insgesamt richtig gestellt, damit es 2017 etwas ruhiger zugehen kann?

Clemens Prokop:

Ich glaube, dass aufseiten der IAAF mit der Strukturreform und den eingeleiteten Maßnahmen viel geschehen ist. Der Weltverband ist auf der richtigen Spur. Jetzt geht es darum, die Strukturen richtig umzusetzen und Stück für Stück die verlorene Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen. Insofern bin ich – auf die Leichtathletik bezogen – sehr optimistisch. Einfach nur enttäuscht bin ich momentan allerdings vom IOC. Hier wird die Diskussion um die Rückgewinnung der Glaubwürdigkeit völlig unzureichend geführt.

Kurz vor Weihnachten haben Sie in einem Gastbeitrag in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ IOC-Präsident Dr. Thomas Bach attackiert und dessen Argumentation gegen einen Kollektivbann Russlands infrage gestellt. Glauben Sie, dass ein Kurswechsel des IOC unter aktueller Führung überhaupt vorstellbar ist?

Clemens Prokop:

Es geht nicht um Personen, sondern es geht um Inhalte. Wenn die Regel 59 der IOC-Charta ausdrücklich die Möglichkeit vorsieht, bei Verstößen gegen den WADA-Code ein Nationales Olympisches Komitee zu suspendieren, dann frage ich mich: Wann soll dieser Schritt erfolgen, wenn nicht nach dem zweiten McLaren-Report, der ganz neue Dimensionen des Dopingbetrugs ans Licht gebracht hat? So scheint diese Sanktion nun wirklich nur auf dem Papier zu existieren. Ich kann nur hoffen, dass die zuständigen Gremien des IOC möglichst rasch dazu übergehen, eine glaubwürdige Sportpolitik zu betreiben.

Spüren Sie in dieser Forderung ausreichende Unterstützung von anderen Verbänden?

Clemens Prokop:

Ich habe auf den Beitrag in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ sehr viel internationale Unterstützung erfahren und wünsche mir, dass viele derjenigen, die mich mit ihren Kommentaren unterstützt haben, dies auch selbst laut und deutlich nach außen tragen würden. Ich wünsche mir, dass das IOC spürt, dass es eine breite Kritik gegen die aktuell betriebene Sportpolitik gibt.

Haben Sie insgesamt das Gefühl, dass Ihre deutlichen Stellungnahmen im vergangenen Jahr Gehör gefunden und die Stellung des DLV im internationalen Verbund gestärkt haben?

Clemens Prokop:

Basierend auf den Reaktionen, die ich erhalten habe, muss ich sagen, dass unsere Position international vernommen und offensichtlich auch von vielen geteilt wird. Allerdings haben sich diejenigen, die unsere Position nicht teilen, vermutlich auch nicht gemeldet. Wenn ich jetzt sagen würde, dass es keinen Widerspruch, sondern nur Unterstützung gegeben habe, wäre das sicherlich nicht die ganze Realität. Denn natürlich haben sich nicht alle 209 Mitgliedsverbände der IAAF bei mir gemeldet.

IAAF-Präsident Sebastian Coe stand zu Beginn des Jahres noch unter starker Kritik, scheint sich nun aber, nicht zuletzt durch die durchgedrückte IAAF-Reform, freigeschwommen zu haben. Entwickelt er sich trotz einer auch weiterhin mit Vorsicht zu betrachtenden IAAF-Vergangenheit immer mehr zum richtigen Mann für die Zukunft?

Clemens Prokop:

Sebastian Coe hatte am Anfang Startschwierigkeiten. Ich denke da zum Beispiel an seine höflich gedachte, aber in der Wirkung missglückte Lobeshymne auf Lamine Diack unmittelbar nach seiner Wahl. Ich habe aber auch den Eindruck, dass er sich nun freigeschwommen hat. Er präsentiert sich als unabhängiger Kopf, der klare Ziele im Kampf gegen Doping und Korruption verfolgt und diese ganz oben auf seine Agenda gesetzt hat. Damit widmet er sich zentral genau den Themen, die wir wirklich brauchen, um den Sport wieder aus dem Sumpf zurückzuführen. Ich glaube, er hat im Laufe seiner Präsidentschaft stark an Kontur und Eigenständigkeit gegenüber dem IOC gewonnen. Es bleibt für mich völlig unverständig, dass Coe als Präsident des Leichtathletik-Verbands – der Kernsportart der olympischen Bewegung – nicht automatisch im IOC ist. Auf der anderen Seite war es ihm meiner Meinung nach aber gerade dadurch möglich, eine sehr eigenständige Position zu beziehen – gerade, was den Ausschluss der russischen Leichtathleten von den Olympischen Spielen betrifft. Ich weiß nicht, ob ihm das so gelungen wäre, wenn er gleichzeitig Loyalitätspflichten dem IOC gegenüber gehabt hätte.

Ein großes nationales Thema der letzten Monate war die nun beschlossene Leistungssportreform. Die Befürchtung, dass es eine zu starke Fixierung auf den Erfolg geben wird, haben Sie auch nach dem Beschluss Anfang Dezember bekräftigt. Sehen Sie dennoch Punkte, in denen Sie beispielsweise die deutschen Langstreckenläufer, deren Medaillenchancen auch in Zukunft aller Wahrscheinlichkeit nach sehr gering bleiben werden, beruhigen können?

Clemens Prokop:

Wir haben ja in Deutschland auch Langstreckenläufer, die international Medaillenpotenzial bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen haben. Als ein Beispiel nenne ich Gesa Felicitas Krause. Wir haben auch Talente, die auf dem Weg dorthin sind. Ich glaube, dass wir uns auch in einer Disziplingruppe wie dem Langstreckenlauf, die für uns international schwieriger darzustellen ist als beispielsweise einige Disziplinen im technischen Bereich, gut behaupten können. Wir müssen uns aber sicherlich alle an die neuen Gegebenheiten gewöhnen und abwarten, wie sich die Leistungssportreform am Ende wirklich umsetzen lässt, und uns auf die neuen Prozesse und Bewertungskriterien einlassen. Grundsätzlich bin ich aber bei keiner Disziplingruppe skeptisch, auch die Sprinter haben beispielsweise in den Staffeln sowohl bei den Männern als auch bei den Frauen konkrete Medaillenchancen. Insgesamt bin ich eigentlich ganz optimistisch.

Vor allem haben Sie die Kommunikation von DOSB und Innenministerium gegenüber den Einzelverbänden kritisiert, die nicht ausreichend in den Findungsprozess involviert gewesen seien. Wie viel Einfluss konnten Sie und damit auch der DLV letztlich wirklich nehmen?

Clemens Prokop:

Keinen wirklich großen Einfluss. Das Zeitfenster, das am Schluss für eine echte Diskussion zur Verfügung stand, war viel zu eng bemessen. Ende September sind die Fachverbände erst über die Inhalte informiert worden, und am 3. Dezember fand bei der Mitgliederversammlung bereits der Beschluss über die Annahme des Konzeptes statt. Eine echte inhaltliche Einbindung der Fachverbände hat nach meinem Gefühl nicht stattgefunden. Es bestand zwar noch die Chance, Einwände vorzubringen, aber eine differenzierte Diskussion, nach deren Ende grundlegende Veränderungsprozesse hätten stattfinden können, war schon rein zeitlich nicht mehr möglich.

Hätte es Ihrer Meinung nach eine stärkere Welle der Kritik geben müssen? Oder waren allen Einzelverbänden letztlich die Hände gebunden, weil Innenminister Thomas de Maizière angekündigt hatte: Mehr Geld gibt es nur, wenn die Reform umgesetzt wird?

Clemens Prokop:

Genau. Die gesamte Leistungssportreform stand unter dem Damoklesschwert: Wie wird der Bund den Leistungssport künftig finanzieren? Die Positionierung von Bundesinnenminister Thomas de Maizière war eindeutig, weswegen der Bewegungsspielraum der Fachverbände relativ klein war.

Teilen Sie die Meinung von Martin Engelhardt, Präsident der Deutschen Triathlon Union, man müsse aufpassen, dass es keinen „Staatssport“ gibt?

Clemens Prokop:

Der Staat ist in Deutschland ganz klar der größte Sponsor im Leistungssport. Das beginnt bei der Finanzierung der Fachverbände im Leistungssport und setzt sich fort über die Stellen, die Sportler unmittelbar bei Bundeswehr und Bundespolizei besetzen. Wir müssen aber aufpassen, dass der Staat am Schluss nicht auch die Inhalte einseitig festlegt, dass die inhaltliche Autonomie des Sports gewahrt wird. Das ist der entscheidende Punkt, durch den wir uns vom Staatssport im eigentlichen Sinne unterscheiden.

Zum Abschluss ein Blick auf die anstehenden sportlichen Highlights. Mit welchen Erwartungen und Gefühlen blicken Sie auf das Leichtathletik-Jahr 2017 mit dem Höhepunkt der WM in London (Großbritannien)?

Clemens Prokop:

Ich freue mich sehr auf die Weltmeisterschaften in London. Da kommen Erinnerungen an die Olympischen Spiele 2012 hoch, bei denen eine fantastische Atmosphäre geherrscht hat. Ich glaube, das war für jeden, der dabei war, unvergesslich. Ich hoffe, das wird bei den Weltmeisterschaften ähnlich sein. Aus sportlicher Sicht denke ich, dass der eine oder andere Athlet Wiedergutmachung für die Olympischen Spiele in Rio betreiben wird, wo ja doch die ein oder andere Enttäuschung entstanden ist. Ich bin davon überzeugt, dass gerade die Athleten, die ihre eigenen Vorstellungen in Rio nicht verwirklichen konnten, mit großem Engagement in London auftreten werden. Deshalb glaube ich, dass wir uns erwartungsvoll und mit großem Optimismus auf die kommende Saison freuen können.

Wie wichtig ist Ihnen ein besseres Abschneiden im Medaillenspiegel?

Clemens Prokop:

Der Medaillenspiegel war für mich noch nie das Maß aller Dinge. Entscheidend ist, wie die Athleten ihr Potenzial verwirklichen können. Ein klassisches Beispiel ist Gesa Felicitas Krause, die bei den Olympischen Spielen in Rio Deutschen Rekord [9:18,41 Minuten über 3.000 Meter Hindernis; Anm. d. Red.] gelaufen und damit „nur“ Sechste geworden ist. Das war eine fantastische Leistung, über die ich absolut glücklich bin. Wenn jemand sein Bestleistungspotenzial verwirklicht, ist das für mich das entscheidende Kriterium für ein erfolgreiches Abschneiden. Und wir haben eben auch einige Athleten, für die – wenn dieser Faktor eintritt – ganz automatisch große Chancen auf eine Medaille bestehen.

<link>Quelle: Fachzeitschrift "Leichtathletik"

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