| Olympische Spiele 2016

DLV-Olympia-Bilanz: Stark in der Breite, schwach in der Spitze

Die Leichtathletik-Wettbewerbe der Olympischen Spiele 2016 in Rio de Janeiro sind beendet. Viele DLV-Athleten haben mit mitreißenden Auftritten nachhaltig Eindruck hinterlassen. Doch gerade viele der deutschen Asse stachen nicht. Die Anzahl der Top-Platzierungen fiel dünn aus. So fanden Cheftrainer Idriss Gonschinska und Sportdirektor Thomas Kurschilgen für ihr Fazit kritische Worte.
Silke Morrissey

„Die Bilanz der deutschen Leichtathletik in Rio kann uns nicht zufrieden stellen“, musste DLV-Sportdirektor Thomas Kurschilgen zum Ende der Olympischen Spiele feststellen. "Wir wollen dies nicht ausschließlich an der Medaillenbilanz festmachen, aber insgesamt haben zu wenige Athleten – gemessen an ihren Vorleistungen im Saisonverlauf und ihren Positionen in den Weltbestenlisten – am Wettkampftage eine gute Leistungsperformance gezeigt."

Somit waren drei Medaillen und 73 Punkte in der Nationenwertung nicht das, was im Vorfeld als realistisch betrachtet worden war und auch nicht das, was die zuletzt so erfolgreiche Nationalmannschaft bei den Olympischen Spielen 2012 in London (Großbritannien) sowie den anschließenden Weltmeisterschaften in  Moskau (Russland) und Peking (China) gezeigt hatte. Als zweitbeste europäische Nation hinter Großbritannien konnte das deutsche Team dennoch eine Top-Sechs-Platzierung in der Wertung einbringen.

2012 gab es im Londoner Olympiastadion vor ausverkaufter und euphorischer Kulisse ein herausragendes Ergebnis von acht Medaillen, das beste seit Sydney (Australien) 2000, davon eine goldene von Robert Harting. Im zumeist nur halb besetzten Stadion von Rio trat sein jüngerer Bruder Christoph (beide SCC Berlin) als Olympiasieger in seine Fußstapfen. Er stand gemeinsam mit dem Bronzemedaillen-Gewinner Daniel Jasinski (TV Wattenscheid 01) auf dem Podium. Am letzten Wettkampf-Tag im Stadion sorgte zudem Thomas Röhler (LC Jena) mit Gold im Speerwurf für einen Abschluss, der das deutsche Team wieder jubeln ließ.

„Athleten sind keine Maschinen"

„Die Vorbereitungsprozesse einiger deutscher Topathleten gestalteten sich durch gesundheitliche Probleme nicht optimal“, erklärte DLV-Cheftrainer Idriss Gonschinska mit Blick auf die bisherigen Leistungs- und großen Hoffnungsträger David Storl (SC DHfK Leipzig), Christina Schwanitz (LV 90 Erzgebirge), Robert Harting (SCC Berlin) oder Raphael Holzdeppe (LAZ Zweibrücken).

„Ohne einen optimalen Vorbereitungsprozess kann die notwendige Leistungsstabilität nicht entwickelt werden“, führte er weiter aus. „Die Athleten wollen ihren Olympiatraum verwirklichen und arbeiten sehr hart, um wieder Anschluss zu finden. Das kostet aber auch viel Energie, die dann am Ende auch etwas fehlen kann. Athleten sind keine Maschinen.“

Aufgrund der Gefahren des Zika-Virus und anderer Infektionen sei zudem die Zeit- und Klimaanpassung erschwert gewesen: Eine geplante Tapering-Maßnahme in Brasilia wurde abgesagt. Im Vorjahr hatte das Nationalmannschafts-Trainingslager auf der Insel Jeju (Südkorea) noch als ein wichtiger Faktor zum erfolgreichen Abschneiden bei der WM in Peking beigetragen, sowohl hinsichtlich der sportlichen Vorbereitung als auch hinsichtlich der Stimmung in der Mannschaft.

Zu wenige Medaillenchancen genutzt

Unbenommen von dieser Ausgangslage stellte Idriss Gonschinska fest: „Letztlich konnten zu wenige Athleten ihr hohes Leistungspotenzial im Kontext der Saisonvorleistungen abrufen und sich in den sehr harten Konkurrenzsituationen steigern.“ Auch mehreren Leistungsträgern sei es nicht gelungen, auf den Punkt zu performen. „Es konnten zu wenige Medaillenchancen genutzt werden.“

Nach der Rückkehr nach Deutschland werden die Gründe für das Abschneiden genauer ausgewertet: „Die Ursachen für unser Abschneiden in Rio bedürfen einer differenzierten Analyse, die wir mit DLV-Cheftrainer Idriss Gonschinska in den Trainerteams in den kommenden Wochen einleiten werden“, sagte Thomas Kurschilgen. Gonschinska betonte, dass individuelle Analysen, auf Disziplinen und Athleten bezogen, notwendig seien. Ein Pauschalurteil könne es nicht geben.

Starke Leistungen hinter den Podiumsplätzen

Dass die Nationenwertung mit 73 Punkten deutlich weniger düster aussieht, liegt daran, dass viele deutsche Athleten auf den Rängen vier bis acht zum Teil großartige Leistungen zeigten. So gab es denn auch mehr als anderthalb Mal so viele Nationenpunkte wie bei den als „Debakel“ beschriebenen Spielen von Athen (Griechenland) 2004 und Peking (China) 2008.

Mit Bestleistungen präsentierten sich im Weitsprung Malaika Mihambo (LG Kurpfalz; 6,95 m) und im Zehnkampf Kai Kazmirek (LG Rhein-Wied; 8.580 Pkt) auf Tuchfühlung mit den Top Drei der Welt. Auch Hammerwerferin Betty Heidler (LG Eintracht Frankfurt) bei ihrem letzten Olympia-Auftritt und die jungen deutschen Staffel-Sprinterinnen – fast alle bei ihrer Olympia-Premiere – schrammten nur knapp am Podest vorbei.Der junge Johannes Vetter (LG Offenburg) im Speewerfen konnte sich mit überzeugender Leistung ebenfalls auf dem vielfach bezeichneten undankbaren vierten Platz einbringen.

Mit fünften Plätzen meldeten sich darüber hinaus ein starker Christopher Linke (SC Potsdam) im 20 Kilometer Gehen, Cindy Roleder (SC DHfK Leipzig) über die Hürden und Carolin Schäfer (TV Friedrichstein) im Siebenkampf zu Wort. Der deutsche Rekord über die Hindernisse brachte die Frankfurterin Gesa Felicitas Krause auf Platz sechs.

Kein „Sorgenkind des deutschen Spitzensports“

Diese Erfolge vieler junger Talente sind ein Grund, warum Thomas Kurschilgen betont, er sehe die Leichtathleten nach dem Abschneiden von Rio keineswegs als „Sorgenkind des deutschen Spitzensports“. Die großen Erfolge in den vergangenen sechs Jahren sowie die junge Altersstruktur im DLV-Team sind weitere.

„Zudem sollten anhand einer stichtagsbezogenen Medaillenbilanz keine Rückschlüsse auf die Qualität der Prozesse und die leistungssportliche Arbeit eines Spitzenfachverbands im olympischen Zyklus geschlossen werden“, betonte Thomas Kurschilgen. Es gebe keinen Grund, in Panik oder Krisenstimmung zu verfallen und die bisher langfristig erfolgreiche Arbeit auf allen Ebenen sowie die Kernstrategie und die strukturellen Überlegungen in Frage zu stellen. Zudem müssten auch die fünf hochwertigen vierten Plätze in der Medaillenbilanz beachtet werden.

Neuformierung in Richtung Berlin und Tokio

„Der Medaillenspiegel kann keine differenzierte Auskunft über die Potentiale der Athleten einer Nationalmannschaft  geben“, sagte auch Idriss Gonschinska. „Er ist mehr Ausdruck einer Momentaufnahme und Symbol eines traditionellen Wettbewerbsgedankens zwischen den einzelnen Nationen.“

Es gelte, im Anschluss an die Olympia-Analyse den Neuformierungsprozess der Nationalmannschaft einzuleiten und die Maßnahmen zur Vorbereitung auf die Heim-EM 2018 in Berlin als wichtiges Ziel auf dem Weg zu den Olympischen Spielen 2020 zu beschreiben. „Natürlich möchten wir die Bilanz von Rio bei den folgenden internationalen Meisterschaften deutlich korrigieren“, blickte Gonschinska voraus.

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