| Interview

Dr. Clemens Prokop: "Athleten sind keine Maschinen"

Der Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) Dr. Clemens Prokop hat in einem Interview mit der Deutschen Presse-Agentur (dpa) seine Kritik am Internationalen Olympischen Komitee (IOC) und seinem Präsidenten Dr. Thomas Bach erneuert. Der Verzicht auf den Komplett-Ausschluss Russlands von den Rio-Spielen hält der DLV-Präsident weiterhin für falsch. "Das IOC hat viel an Glaubwürdigkeit im Kampf gegen Doping eingebüßt", sagte er. Und auch Bach hätte einen schweren "Imageschaden" erlitten. Ferner hat sich Prokop unter anderem zur Spitzensportförderung geäußert.
dpa/ps

Dr. Clemens Prokop, hat es Ihnen gefallen, dass Russlands Leichtathleten nicht dabei waren?

Dr. Clemens Prokop:

Die Leichtathletik war hier mit der glaubwürdigste Sportverband. Ich halte die Entscheidung des Internationalen Olympischen Komitees, Russland nicht komplett von den Spielen auszuschließen, nach wie vor für falsch. Das IOC hat viel an Glaubwürdigkeit im Kampf gegen Doping eingebüßt.

IOC-Präsident Thomas Bach verteidigt weiter die Entscheidung, Russland nicht komplett wegen Staatsdopings von den Rio-Spielen ausgeschlossen zu haben, weil man dem einzelnen Athleten gerecht werden muss.

Dr. Clemens Prokop:

Ich sage ganz offen: Auch der Präsident des IOC hat einen schweren Imageschaden erlitten. Die Ankündigung von härtesten Sanktionen und die fast folgenlose Hinnahme von Betrugsvorgängen bei Olympischen Spielen passen nicht zusammen. Das IOC muss ganz klar seine Politik verändern, sie muss an den Interessen des Sports ausgerichtet werden und nicht vordergründig nach politischen Interessen. Sonst wird der Sport in eine krisenhafte Situation kommen.

Der Leichtathletik-Weltverband IAAF zeigte Härte und verbannte Russland von den Rio-Spielen...

Dr. Clemens Prokop:

Ich freue ich mich über die klaren Positionen, die die IAAF und deren Präsident Sebastian Coe bezogen hat. Das ist vorbildhaft für alle anderen Sportarten. Ich würde mir wünschen, dass sich das IOC und sein Präsident Dr. Thomas Bach ein Beispiel daran nimmt.

Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) hat bereits erklärt, dass das Ziel, 44 Medaillen wie in London 2012 zu gewinnen, nicht zu erreichen sein wird. Ist das schlimm? Ist der deutsche Sport weiter im Niedergang?

Dr. Clemens Prokop:

Erstmal muss man abwarten, welche Verbände die Medaillen gewinnen und welche nicht. Es zeichnet sich mit Rückblick auf die Olympischen Spiele seit der Wiedervereinigung ein kontinuierlicher Rückgang ab. Ich will die sportliche Leistungsfähigkeit nicht nur am Maßstab der Medaillenzahl bewerten, aber es ist ein Grund, darüber nachzudenken, ob die Spitzensportförderung wirklich optimal ist.

Deshalb soll es ja eine Leistungssportreform geben. Haben Sie den Eindruck, es geht nicht in die richtige Richtung?

Dr. Clemens Prokop:

Der Prozess ist im Gange, und ich halte ihn für richtig und sinnvoll. Man muss sich aber auch einig sein, was die Kriterien sein sollen. Allein die Produktion von Medaillen würde ich nicht als allein selig machenden Maßstab ansehen.

Es gibt Kritik, dass die Reform im stillen Kämmerlein ausgebrütet wird. Ist der Prozess zu wenig transparent?

Dr. Clemens Prokop:

Die Kommunikation ist steigerungsfähig. Tatsächlich kenne ich nur rudimentäre Linien der Reform. Ich würde mir wünschen, dass die Fachverbände, die sie nicht nur umsetzen, sondern auch in die Verantwortung genommen werden sollen, sich stärker in den Prozess einbringen können.

Die Reform soll mittel- und langfristig Durchschlagskraft entwickeln und zielt auf die Spiele 2024 bis 2028. Stehen deshalb erst einmal magere Jahre an?

Dr. Clemens Prokop:

Es wird einen kontinuierlichen Übergang geben. Ich gehe davon aus, dass Strukturen nicht schlagartig zerstört werden. Deshalb glaube ich nicht, dass das Leistungsniveau langsam auf null gehen wird. Wenn man es schafft, die positiven Seiten des bestehenden Systems mit neuen Komponenten zu kombinieren, könnte es das Gegenteil bewirken und die Ergebnisse verbessern. Allerdings beginnt im Herbst die Planung für das kommende Jahr.

153 Millionen Euro gibt es vom Bund pro Jahr für den Spitzensport. Muss da mehr dazu kommen?

Dr. Clemens Prokop:

Ich glaube, mit mehr Geld kann man mehr machen. Da kann ich für die Leichtathletik sprechen. Aus den Spielen in Peking 2008 sind wir mit einer Medaille herausgekommen, haben eine Erhöhung der Fördermittel erhalten und konnten uns schlagartig verbessern. Allerdings wäre es ein Irrglaube, die Mittel beliebig zu erhöhen und es kommt mehr Erfolg raus. Die Athleten sind keine Maschinen, in die ich oben Geld reinwerfe und unten kommen Medaillen raus.

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