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Falk Wendrich kämpft sich aus dem Schatten zurück ins Licht

Falk Wendrich (LAZ Soest) ist eines der größten deutschen Hochsprung-Talente. Unbekümmert und selbstbewusst war er schon als 17-Jähriger Vize-Weltmeister der U20 geworden. Doch dann wurde es ruhig um ihn – bis er sich 2017 mit reihenweise 2,20-Meter-Sprüngen wieder zurückmeldete. Die Krönung: 2,29 Meter und Universiade-Gold. Was ist dazwischen passiert? Der heute 22-Jährige hat uns offen seine Geschichte erzählt, in der der Sport lange nicht die Hauptrolle spielte.
Silke Bernhart

„Was für ein Kerl“, staunten die Eurosport-Experten Siggi Heinrich und Dirk Thiele nicht schlecht und schüttelten schmunzelnd den Kopf. Es war 2012, bei den U20-Weltmeisterschaften in Barcelona (Spanien). Gerade hatte sich Hochspringer Falk Wendrich als Gesprächspartner verabschiedet. Äußerst selbstbewusst und wortgewaltig hatte der damals 17-Jährige auf sein Finale zurückgeblickt und Ziele für die Zukunft formuliert, bei denen sich andere wohl eher auf die Lippen gebissen hätten. In dem Moment aber klangen sie so authentisch wie realistisch. 2,24 Meter – deutsche U18-Bestleistung und Silber. Wer hätte da keine rosige Zukunft vorhergesagt?

Doch es war eine persönliche Bestmarke, die fünf Jahre Bestand haben sollte. Und ein Erfolg, den Falk Wendrich nicht als ersten nennt, wenn er darüber spricht, auf welche Leistung er besonders stolz ist. Die U20-Weltmeisterschaften in Eugene (USA) zwei Jahre später schießen ihm direkt in den Kopf. „2,15 Meter in der Qualifikation. Da war ich mit den Gedanken ganz woanders“, erinnert er sich. „Und dann 2,20 Meter im Finale. Das war eigentlich meine größte Leistung. Das war pure Willenskraft.“

Strampeln, ohne vorwärts zu kommen

Denn was auch immer er in den Jahren nach dem Überraschungs-Coup von 2012 auch versuchte: Die Leichtigkeit von einst war verflogen. Und zwar nicht, weil Falk Wendrich nicht mit dem Druck der Erwartungen umgehen konnte. „Mein Selbstbewusstsein habe ich nie verloren, ich wusste immer, dass ich es kann“, sagt er. Aber er fühlte sich oft kraftlos. Mit einem großen Gefühl der Leere im Magen, das sich auch mit den Mahlzeiten nicht legte. Manchmal war der Körper wie gelähmt. Taub. Unfähig, die Kommandos umzusetzen, die der Kopf an die Gliedmaßen schickte.

Eine Szene macht die Probleme des Athleten auch für Außenstehende greifbar. Regelmäßig stehen für Falk Wendrich Bergsprünge am Möhnesee auf dem Trainingsplan. 25 Kilometer entfernt vom Heimatort Soest. Eine Strecke, die er stets mit dem Fahrrad bewältigt. Doch lange war schon der Weg dorthin eine pure Qual. „Ich habe wie wild in die Pedale getreten“, erklärt Falk Wendrich. „Aber ich bin nicht vorwärtsgekommen.“ Hin und wieder begleitete ihn sein Vater. „Der ist im normalen Tempo vorweg gefahren. Ich wollte hinterher und konnte nicht.“

Zu Beginn ahnte er es, heute hat er die Gewissheit: Falk Wendrich litt unter Depressionen. Der 22-Jährige spricht offen über die schwere Zeit, manchmal sogar mit ein wenig Selbstironie – vielleicht auch, weil ihm so lange nicht zum Lachen zumute war. Die Tränen waren in den vergangenen Jahren sein ständiger Begleiter. „Am Anfang war es mir unangenehm, irgendwann dann nicht mehr“, sagte er über die Momente, in den er vor anderen das Weinen nicht unterdrücken konnte.

Hilfe von der Robert-Enke-Stiftung

Eine erste psychologische Behandlung brach Falk Wendrich im Jahr 2014 zwar noch ab („Das war mir irgendwie suspekt“), doch er suchte weiter nach Wegen der Besserung und wurde schließlich auf die Robert-Enke-Stiftung aufmerksam. Ins Leben gerufen im Andenken an den Fußball-Torwart, der sich 2009 aufgrund von Depressionen das Leben nahm, widmet sich die Stiftung unter anderem der Erforschung und Behandlung von Depressionskrankheiten.

Ende 2015 meldete sich Falk Wendrich bei der Stiftung, begann anschließend auch mit der Einnahme von Anti-Depressiva. Schon 2016 ging es ihm wieder „richtig gut“. Am Ende des Jahres folgte ein Rückschlag. Aber seit 2017 hat der junge Hochspringer keine Symptome mehr. Ob schließlich die Medikamente geholfen haben? „Die Depression ist einfach gekommen. Und dann war sie wieder weg“, sagt er, „ich weiß nicht wieso.“

„Es war einfach scheiße“

Davon, dass die schwere Zeit ihn auch weitergebracht habe, ihn hat stärken und reifen lassen, will Falk Wendrich nichts wissen. „Das war einfach scheiße“, sagt er gewohnt deutlich. „Ich bin nicht verbittert. Aber ich hätte sehr gut darauf verzichten können!“ Auch will er den hohen Druck im Leistungssport nicht heranziehen als Ursache für seine Probleme. „Der Anteil von Depressionserkrankungen ist unter Spitzensportlern nicht höher als in der Normalbevölkerung“, erklärt er.

Der junge Mann hat sich intensiv mit dem Thema beschäftigt und leistet mit seiner Offenheit nun selbst Aufklärungsarbeit. „Es kann jeden treffen“, sagt er und ist froh, dass sich immer mehr Menschen trauen, mit dem Thema nach außen zu treten. Sie tragen wie er selbst dazu bei, dass Depressionen nicht mehr als Schwäche abgestempelt werden.

Rückhalt von Familie und Trainerin

Was bleibt ist die Erkenntnis, wie sehr er sich auf sein Umfeld, auf seine Familie und Freunde, verlassen kann. „Sie lieben mich auch, wenn ich nicht gut im Sport bin“, weiß Falk Wendrich. Das haben sie ihm gesagt. Aber er hat es ohnehin gespürt. Eine gute Freundin, eine Krankenschwester, hat ihm zugehört. Die Familie hat ihn aufgefangen. Er ist zurück ins Elternhaus gezogen, arbeitet halbtags im heimischen Küchen-Fachgeschäft, treibt parallel in Bochum sein Studium in „Management und Economics“ voran.

Und dann ist da auch noch seine Trainerin Brigitte Kurschilgen. Falk Wendrich trainiert bei ihr, seit er 16 ist. Auch sie war zeitweise hilflos, ratlos und verzweifelt, weil es ihrem Schützling nicht besser gehen wollte. Aber sie hat immer in ihn vertraut, ebenso wie Falk Wendrich in sich selbst.

„Als ich im Juni in Bühl 2,26 Meter gesprungen bin, haben wir auf dem Rückweg im Auto den Song ‚Back from the Edge‘ angemacht. Und dann ganz laut aufgedreht“, berichtet er. „Mittlerweile sind wir gut befreundet“, beschreibt er das Verhältnis. „Wir unternehmen auch außerhalb des Sports Dinge gemeinsam. Wenn ein Wettkampf gut war, kocht sie für mich – und sie kann sehr gut kochen!“

Eine perfekte Saison

Der Wettkampf in Bühl war in der Saison 2017 das erste Ausrufungszeichen. Falk Wendrich fühlte sich so gut, dass er 2,28 Meter ausließ und sich nicht chancenlos an der WM-Norm von 2,30 Metern versuchte. Acht Wettkämpfe mit 2,20 Metern und mehr absolvierte er in den vergangenen vier Monaten – ebenso viele wie in den fünf Jahren zuvor insgesamt. Das i-Tüpfelchen: Gold mit 2,29 Metern bei der Universiade in Taipeh. Bei 2,31 Metern fiel die Latte nur ganz knapp. „Das wäre das i-Tüpfelchen auf dem i-Tüpfelchen gewesen“, lacht Falk Wendrich, ergänzt aber prompt: „Eigentlich war es so, wie es gelaufen ist, perfekt!“

Denn jetzt ist die Motivation groß wie nie zuvor, eine der magischen Marken im Hochsprung zum Greifen nah und damit wohl auch die Qualifikation für die Heim-Europameisterschaften 2018 in Berlin. „Ich freue mich auf drei Monate hartes Training – ich muss viele, viele Sprünge aufholen, die ich in den vergangenen Jahren verpasst habe“, sagt Falk Wendrich, der auch mit einer Hallensaison plant. Es soll die Basis werden für den nächsten Schritt im Sommer – eine Basis, die ihm 2017 fehlte, weil er die Hallensaison ausgelassen hatte.

„Träume immer noch davon, der Beste der Welt zu sein“

Auch privat hat der 22-Jährige neuen Rückhalt: Seit Juni ist Falk Wendrich mit Disziplinkollegin Imke Onnen (Hannover 96) liiert. Gemeinsam waren sie schon 2011 beim Europäischen Olympischen Jugendfestival (EYOF) im Einsatz. Im Trainingslager in Monte Gordo (Portugal) haben sie sich 2017 noch einmal neu kennengelernt und viele gemeinsame Interessen festgestellt.

„Ich genieße das Leben so, wie es ist“, sagt Falk Wendrich. Und dann meint man auf einmal, wieder mit dem unbekümmerten, optimistischen und fröhlichen Teenie von einst zu sprechen, dem die Welt zu Füßen liegt. „Ich habe die gleichen Träume wie mit 15“, sagt er. „Ich will immer noch der Beste der Welt sein.“ Und wieder muss man schmunzeln. Und wieder denkt man: Klar, wieso eigentlich nicht?

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