Am Ende hat für Homiyu Tesfaye nur eine kurze Sekunden-Sequenz gefehlt, dann wäre der 22 Jahre alte Streckenrekord von Carsten Eich beim Paderborner Osterlauf und damit auch der deutsche 10-Kilometer-Rekord Geschichte gewesen. Mit der Zeit von 27:51 Minuten sorgte der Frankfurter 1.500-Meter-Spezialist nach der kleinen Enttäuschung bei der Hallen-EM in Prag (Tschechien) am Samstag für einen Paukenschlag in der noch jungen Freiluftsaison. Wilfried Raatz sprach mit dem 22-Jährigen nach dem Rennen.
Herzlichen Glückwunsch zum Sieg beim Paderborner Osterlauf. Um vier Sekunden haben Sie allerdings den Streckenrekord und damit auch den Deutschen Rekord von Carsten Eich verpasst. Was überwiegt in diesem Augenblick, die Freude über den Sieg oder der Ärger über den verpassten Rekord?
Homiyu Tesfaye:
Schade, dass ich nicht gewusst habe, dass ich so dicht am Rekord war. Nach einer Durchgangszeit von 14:10 Minuten über 5 Kilometer waren wir ja auch viel zu langsam für eine Rekordzeit. Dann muss ich eben im nächsten Jahr noch einmal wiederkommen!
Wir müssen sehr lange zurückblicken, um den letzten deutschen 10-Kilometer-Sieger beim Paderborner Osterlauf auszumachen. Mit welcher Taktik sind Sie denn ins Rennen gegangen, schließlich waren einige Läufer mit Bestzeiten um 28 Minuten am Start?
Homiyu Tesfaye:
Mein Trainer hat mir eine defensive Renngestaltung empfohlen, das habe ich bis Kilometer neun eingehalten. Ich habe mich unterwegs sehr gut gefühlt, war aber zuerst erschrocken, wie viele das Tempo mithalten konnten. Dann habe ich einen langen Spurt angezogen. Ich habe mir gedacht, dass ich gegenüber dem Kenianer besser sprinten kann. Auf den letzten 400, 500 Metern musste ich einfach alles geben! Ich bin vielleicht am klügsten gelaufen. Das ist das, was mein Trainer auch von mir fordert.
Ist es nicht ungewöhnlich, dass ein ausgewiesener Mittelstrecken-Spezialist, der gerade erst in der Halle seine Weltklasse unter Beweis stellen konnte, kurze Zeit später über 10 Kilometer auf der Straße ebenfalls eine Weltklasseleistung abliefern kann?
Homiyu Tesfaye:
Ich war drei Wochen lang in Kenia! Die zehn Kilometer sollten für mich, wie auch für die gesamte Trainingsgruppe, einfach einmal ein Test sein. Ich habe in Iten viel für meine Ausdauer getan. Dabei bin ich erstmals im Training bis zu 20 Kilometer gelaufen. Es war schon hart, aber mein Trainer hat aufgepasst, dass alles im Rahmen blieb.
Es spricht natürlich für eine mentale Stärke, wenn ein Läufer drei Wochen nach der enttäuschend verlaufenen Hallen-EM in Prag mit einer derart überzeugenden Vorstellung zurückkehren kann. Oder wie bewerten Sie Ihren Start in Paderborn?
Homiyu Tesfaye:
Ich habe eine Woche gebraucht, um die Enttäuschung wegzustecken. Heute habe ich aber gezeigt, was ich wirklich laufen kann. In Prag bin ich mit einer Erkältung gelaufen und hatte im Finale etwas Husten. Aber eigentlich war ich richtig fit. Meine beiden ersten Wettkämpfe [in der Halle] waren schlecht, dann wurde es immer besser. Sonst wäre ich in Stockholm und in Wien nicht so schnell gelaufen.
Mit 27:51 Minuten gehören Sie auch über 10 Kilometer zur erweiterten Weltklasse. Heißt das vielleicht, dass wir künftig einen Homiyu Tesfaye auch auf längeren Strecken und auf der Straße sehen werden?
Homiyu Tesfaye:
Bis [zu den Olympischen Spielen in; Anm. d. Red.] Rio werde ich auf den 1.500 Metern bleiben. Bei der EM [2018] in Berlin kann ich mir gut vorstellen, 5.000 oder 10.000 Meter zu laufen. Auf der Straße fühle ich mich wohl. Ich glaube auch, dass ich irgendwann deutschen Rekord laufen kann. Warum nicht auch einmal im Halbmarathon oder Marathon!
Bleiben wir jedoch bei den Nahzielen – und betrachten wir die Konkurrenzsituation über 1.500 Meter. Welche Chancen sehen Sie auf dieser Strecke?
Homiyu Tesfaye:
Mein Saisonziel sind natürlich die Weltmeisterschaften in Peking. Da ist die Konkurrenz natürlich härter als bei einer Europameisterschaft. Ich werde versuchen, in Topform zu sein und dann schauen, was möglich ist. Aber bis dahin ist noch Zeit. Wir gehen nächste Woche für vier Wochen nach Flagstaff [USA] ins Trainingslager. Mein erstes Rennen wird in der Staffel [bei den World Relays Anfang Mai] auf den Bahamas sein. Dort werde ich [in der Medley-Staffel] die Meile laufen. Meine 1.500-Meter-Bestzeit steht seit 2014 bei 3:31,98 Minuten – und ich konnte mich in jedem Jahr um drei, vier Sekunden verbessern. 2015 kann meine Geschichte weiter gehen [lacht].
Welche Rolle spielt Maryam Jamal, die zweifache Weltmeisterin über 1.500 Meter und Olympia-Dritte, mit der Sie in Frankfurt eine gemeinsame Wohnung haben?
Homiyu Tesfaye:
Maryam ist ein Geschenk für mich! Sie ist eine Weltklasse-Läuferin, hat viel erreicht und besitzt viele Erfahrungen, die sie an mich weiter geben kann. Sie fordert mich, damit ich zusammen mit meinem Trainer noch mehr erreichen kann. Ich bin von Natur aus ein Kämpfer und setze mir immer neue Ziele. Und Maryam motiviert mich, dass ich diese Ziele auch erreichen kann.
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