| Straßenlauf-Aufsteiger

Jens Nerkamp - Mit 26 Jahren winkt das DLV-Debüt

Der deutsche Straßenlauf hat in den vergangenen Jahren einen Schub erlebt. Durch den neu geschaffenen EM-Halbmarathon rechnen sich viele die Chance auf einen Start in Amsterdam aus. Jens Nerkamp (PSV GW Kassel) hatten dabei allerdings die wenigsten auf der Rechnung. Doch nach seinen 64:06 Minuten in Berlin hat der 26-Jährige plötzlich gute Chancen auf einen EM-Start. Es wäre sein erster im Nationaldress.
Martin Neumann

Arrivierte Langstreckenläufer wie Jan Fitschen (TV Wattenscheid 01) und André Pollmächer (Rhein-Marathon Düsseldorf) haben zuletzt ihre Karrieren beendet. Doch an Talenten mangelt es der deutschen Lauf-Szene trotzdem nicht. Im Windschatten vom deutschen Marathonrekordler Arne Gabius (LT Haspa Marathon Hamburg) machen sich einige vielversprechende Läufer auf, in Zukunft für Furore zu sorgen.

Zu ihnen zählt seit dem vergangenen Sonntag auch Jens Nerkamp. <link news:46823>Der Läufer vom PSV Grün-Weiß Kassel legte beim Berliner Halbmarathon eine Steigerung um 1:47 Minuten auf 64:06 Minuten hin. Damit hat der 26-Jährige sehr gute Chancen, am 10. Juli zum deutschen Halbmarathon-Team bei der EM in Amsterdam (Niederlande) zu zählen.

Momentan deutsche Nummer vier

Schließlich waren im Qualifikationszeitraum (1. August 2015 bis 1. Mai 2016) bisher nur Arne Gabius (62:45 min), Hendrik Pfeiffer (TV Wattenscheid 01; 63:40 min) und Manuel Stöckert (SC Ostheim/Rhön; 63:57 min) schneller. Hinter Jens Nerkamp rangiert Julian Flügel (Asics Team Memmert) mit 64:17 Minuten auf Rang fünf. Und exakt fünf Läufer darf jede Nation zum in die EM integrierten „European Halbmarathon-Cup“ entsenden.

„Das ist ein Traum für mich, der in Erfüllung gehen würde“, sagt Jens Nerkamp. Schließlich wäre der EM-Start für den Germanistik-Studenten gleichzeitig die Premiere im Nationaltrikot. Auch in den Jugendklassen war er nie international dabei. Ohnehin begann für den gebürtigen Cloppenburger das Kapitel Leistungssport erst richtig im Jahr 2012.

Gesund durch den Winter

Zum Studium ging der Blondschopf damals nach Kassel und schloss sich der Trainingsgruppe von Winfried Aufenanger an. Der ehemalige Marathon-Bundestrainer brachte seinen Schützling Schritt für Schritt in die deutsche Spitze. So lief Jens Nerkamp vergangenes Jahr bei den Deutschen Meisterschaften über 5.000 und 10.000 Meter auf der Bahn sowie über 10 Kilometer und Halbmarathon auf der Straße unter die besten Zehn.

„Eine solche Konstanz hat kaum ein anderer deutscher Läufer aufzuweisen“, sagt Winfried Aufenanger. Was fehlte waren richtig gute Zeiten. Seine Hausrekorde von 14:07,28 und 29:16,77 Minuten über 5.000 und 10.000 Meter sind noch ausbaufähig. Die 64:06 Minuten von Berlin über die 21,1 Kilometer hingegen schon eine passable Marke. „Ich war den ganzen Winter über gesund und im Februar das erste Mal in meiner Karriere in einem zweiwöchigen Trainingslager“, nennt Jens Nerkamp, der Tempoläufe wenn möglich zusammen mit Vereinskamerad Ybekal Daniel Berye (Eritrea) bestreitet, die entscheidenden Bausteine Richtung Halbmarathon-Bestzeit.

In Paderborn mit angezogener Handbremse

In Albufeira (Portugal) wurde an den Umfängen und der Intensität gearbeitet. Lief er in den vergangenen Jahren nur selten mehr als 100 Kilometer in der Woche, waren es dieses Jahr bis zu 130 Kilometer in acht bis neun Trainingseinheiten. Der längste Lauf in Albufeira ging über stattliche 33,5 Kilometer. Der 26-Jähriger verkraftete das blendend.

Der 10-Kilometer-Test beim Paderborner Osterlauf (29:57 min) verlief vielversprechend, was die Zeit aber nicht unbedingt widerspiegelt. „Jens ist ein sehr ausdauerstarker Läufer. In Paderborn ist er aber ein kontrolliertes Rennen gelaufen, hat nicht das Letzte gegeben“, sagt Coach Winfried Aufenanger. Schließlich war alles auf den Berliner Halbmarathon am 3. April ausgerichtet.

Marathon erst bei „interner Norm“

Dort wurden die ersten 10 Kilometer in der Gruppe in 30:10 Minuten absolviert. Jens Nerkamp vertraute auf seine „innere“ Uhr, auf die am Handgelenk schaute er nicht. Er wollte nicht ins Grübeln über vermeintlich zu schnelle Zwischenzeiten kommen. „Hart wurde es erst drei, vier Kilometer vor dem Ziel. Da ging es für mich darum, das Rennen nach Hause zu bringen“, berichtet der Kasseler.

Das gelang ihm. Zwar musste er Manuel Stöckert und Hendrik Pfeiffer nach einem eigenen Ausreißversuch noch ziehen lassen. Doch die Team-EM-Norm von 64:45 Minuten unterbot er klar. Das Duo vor ihm wird am 24. April beim Düsseldorf-Marathon versuchen, noch die Olympia-Norm von 2:14:00 Stunden zu unterbieten. Für Jens Nerkamp sind die 42,195 Kilometer hingegen noch kein Thema. Dazu fehlt ihm – wie er selbst sagt – noch die „interne Norm“: „Wenn ich 28:30 Minuten über 10.000 Meter laufe, bin ich schnell genug für den Marathon. So lautet die Vorgabe meines Trainers.“

EM als Motivationsschub

Für den 26-Jährigen, der nebenbei als Laufcoach im betrieblichen Gesundheitsmanagement arbeitet, wäre der Amsterdam-Start ohnehin schon eine Auszeichnung mit Sternchen und ein weiterer Beweis, dass das neue Halbmarathon-Format bei der EM für viele Läufer der zweiten Reihe ein entscheidender Motivationsschub sein kann.

Zwar kann Jens Nerkamp noch aus dem EM-Team verdrängt werden, doch dann müssten in den kommenden drei Wochen zwei Läufer schneller sein. „Philipp Pflieger traue ich das bei der Halbmarathon-DM in Bad Liebenzell durchaus zu. Aber dann wäre ich ja auch noch die Nummer fünf“, schaut der Student voraus auf das für ihn entscheidende Rennen am 23. April.

Über einen Start ihres Sohnes am 10. Juli in Amsterdam würden sich Jens Nerkamps Eltern besonders freuen. Sie sind bei vielen Rennen dabei und unterstützen den Filius. Und von Cloppenburg bis Amsterdam sind es lediglich 270 Kilometer.

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