| Neue Meister

Johannes Vetter – Hände in den Sternen, Füße auf dem Boden

Bei der DM in Erfurt haben sieben Athleten erstmals national ganz oben gestanden. Einige von ihnen gehören zu den „neuen Gesichtern“ der Szene, andere belohnten sich dafür, dass sie trotz Rückschlägen weiter an sich glaubten. Einer der neuen Meister ist gleich bis an die Spitze der Welt durchmarschiert: Speerwerfer Johannes Vetter (LG Offenburg).
Jan-Henner Reitze

<link https: www.leichtathletik.de nationalmannschaft athletenportraet athlet detail johannes-vetter>Johannes Vetter
LG Offenburg

*26. März 1993
Größe: 1,88 m
Gewicht: 105 Kilo

Speerwurf

Bestleistung: 94,44 m (2017; Deutscher Rekord)

Erfolge:

Weltmeister 2017
Olympia-Vierter 2016
WM-Siebter 2015
Vierter U23-EM 2015
Deutscher Meister 2017

Seine Titel des Jahres: Deutscher Meister, Deutscher Rekordler, Weltmeister. Seine Weiten des Jahres: Drei Wettkämpfe jenseits der 90 Meter und fünf weitere mit Würfen über die 89-Meter-Marke. Johannes Vetter ist in diesem Jahr zum zweitbesten Speerwerfer der Geschichte aufgestiegen. Durch seine außergewöhnliche Saison explodierte auch das Interesse an seiner Person. TV-Auftritte vom Morgenmagazin bis zum Tigerenten Club reihten sich aneinander, genauso wie Ehrungen.

Seine Kollegen aus dem deutschen Spitzensport wählten den 24-Jährigen zum „Champion des Jahres“, die Goldene Henne als „Aufsteiger des Jahres“ steht dafür, dass er die Aufmerksamkeit auch über die Sportfans hinaus auf die Leichtathletik lenkt. Als erster DLV-Athlet überhaupt wurde der Speerwerfer als "Europas Athlet des Jahres" ausgezeichnet. Diese Trophäe zeigt, wie hoch seine 94,44 Meter von Luzern (Schweiz) auch im Vergleich zu internationalen Top-Leistungen des Jahres in anderen Disziplinen einzuordnen sind.

Dass sein Traum-Jahr den Schritt ins Scheinwerferlicht mitgebracht hat, genießt Johannes Vetter. Gleichzeitig ist er wieder im Alltag angekommen und nimmt weniger Zusatztermine wahr, denn die Vorbereitung auf das kommende Jahr hat begonnen. „Es gilt auf dem Boden zu bleiben, sonst muss ich ihm Beton in die Füße machen“, sagt sein Trainer Boris Obergföll, der aber noch keinen Anlass sieht, in dieser Richtung aktiv zu werden. „Im Moment ist das noch nicht nötig. Johannes bleibt wie er ist. Das gefällt mir.“

Wechsel nach Offenburg leitet steilen Aufstieg ein

Der Wechsel aus seiner Heimatstadt Dresden nach Offenburg ist der Hintergrund des Aufstiegs von Johannes Vetter, der schon seit dem Jahr 2014 steil nach oben führte. Auch an der Schwelle zur absoluten Weltspitze geriet der Speerwerfer nicht ins Stocken, sondern durchschlug auch diese Grenze mit gleichbleibender Geschwindigkeit.

Möglich wurde das durch seinen Mut und seine Zielstrebigkeit, denn er ließ seine Heimat für einen Neustart in Süddeutschland hinter sich. Eine Entscheidung nicht ohne Risiko. In Dresden hatte er das Sportgymnasium besucht, 2011 mit Bestleistung (71,60 m) das Finale der U20-EM erreicht und damit die Weichen Richtung Leistungssport gestellt. Eine Ausbildung bei der Landespolizei schuf nach der Schule einen Rahmen für die Karriere und der Speer näherte sich immer weiter der 80-Meter-Marke. Rundum wohl in Dresden als sportlicher Heimat fühlte sich der Athlet allerdings nicht, deshalb entschied er sich für den Neustart bei Boris Obergföll.

Durchmarsch mit Fünf-Meter-Steigerungen

Dieser Entschluss stellte sich als Volltreffer heraus. Johannes Vetter fügte sich in Offenburg perfekt in ein bewährtes System ein, das schon zwei Speerwurf-Weltmeister hervorgebracht hatte. Mit Christina Obergföll hatte der damals 21-jährige Nachwuchsathlet eine erfahrene Weltklasse-Athletin an seiner Seite, von der er lernen konnte. Auch das seit Jahren von Boris Obergföll aufgebaute Umfeld aus Trainingskonzept, wissenschaftlicher und medizinischer Betreuung passte bestens zu Johannes Vetter.

Vor allem die kontinuierliche Verbesserung der Technik brachte Jahr für Jahr satte Fünf-Meter-Steigerungen der Bestleistung (2014: 79,75 m; 2015: 85,40 m; 2016: 89,57 m; 2017: 94,44 m) mit sich. Damit verbunden war der Durchmarsch im internationalen Geschäft von Platz sieben bei der WM 2015 über Olympia-Rang vier 2016 auf den goldenen Thron des Weltmeisters 2017.

Der Golfball als Schlüssel zum WM-Titel

Dass er sein Niveau im zurückliegenden Sommer noch einmal so stark erhöhen konnte, führen Johannes Vetter und sein Trainer Boris Obergföll besonders auf ein verstärkt geschwindigkeitsorientiertes Training zurück, das in Zusammenarbeit mit dem Team von Dr. Frank Lehmann am Institut für Angewandte Trainingswissenschaft (IAT) in Leipzig perfektioniert wird und wichtiger Bestandteil des Erfolgs des gesamten DLV-Speerwurfteam ist.

Im Saisonverlauf hat Johannes Vetter verstärkt Golf- (50 g) und Baseball-Bälle (140 g) im Training geworfen, die leichter sind als sein Wettkampfspeer (800 g) – übrigens gegen die Wand, weil einerseits der Sportplatz für Weiten um die 140 Meter zu kurz ist und ohne Rückhol- und Suchaktionen mehr Wiederholungen in kurzer Zeit möglich sind. Olympiasieger Thomas Röhler (LC Jena) setzt schon länger auf diese geschwindigkeitsorientierte Trainingsgestaltung. Auch der dritte deutsche 90-Meter-Speerwerfer Andreas Hofmann (MTG Mannheim) verfolgt diesen Ansatz.

Alle Drei sind noch nicht am Ende ihres technischen Potenzials. Und obwohl Veränderungen auf diesem Niveau für den Laien nicht mehr erkennbar sind, auf einem 90-Meter-Flug machen sie einiges aus. Das gesamte Team ist hochmotiviert, die erfolgreiche Arbeit der vergangenen Jahre fortzusetzen.

Nach Ehrungs-Marathon wieder 110 Prozent im Training

Johannes Vetter hat sich fest vorgenommen, trotz des Rummels um seine Person im Training 110 Prozent zu geben. Nachdem im vergangenen Herbst die Saison-Vorbereitung mit einem dreimonatigen Lehrgang bei der Bundeswehr in Hannover begonnen hatte, ist die auf die Athletik ausgerichtete Trainingsphase diesmal in Offenburg angelaufen. Beste Voraussetzungen, um in diesem Bereich im Vergleich zum Vorjahr gleich zum Trainingsstart eine Schippe draufzulegen.

Nach den aufregenden Wochen ist es wieder das Wichtigste gesund zu bleiben. Auch hier gibt es Optimierungspotenzial, denn im März hatten Rückenprobleme Umstellungen im Trainingsplan erzwungen. Ganz störungsfrei verlief die Vorbereitung auf den Sommer 2017 also nicht.

Um Beschwerden vorzubeugen läuft ein ständiger Austausch zwischen Trainer, Athlet und Ärzteteam. Im täglichen Balanceakt, die Belastungsgrenze des Körpers auszureizen und möglichst nach oben zu verschieben, ist es nicht einfach, zwischen Wehwehchen und Warnsignalen zu unterscheiden. Das gilt, im für Bänder und Gelenke besonders belastenden Speerwurf noch mehr als in anderen Disziplinen. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, warum Johannes Vetter nach seinem WM-Titel von einer Teamleistung gesprochen hat.

Titelsammlung noch unvollständig, Weltrekord kein allgegenwärtiges Thema

Auch wenn der Weltmeister in diesem Jahr so gefeiert wurde, gibt es mit dem Olympiasieg als längerfristigem Ziel und der anstehenden Heim-EM attraktive Ziele, für die es sich lohnt, den Fokus zu bewahren. Zumal Johannes Vetter mit seinen zwei Siegen beim ISTAF in den vergangenen beiden Jahren mit jeweils knapp 90 Metern mit Berlin schon besondere Erinnerungen verbindet.

Sein Ziel für 2018 ist es, wieder ein Niveau wie im vergangenen Sommer zu erreichen. Am schönsten wäre es natürlich, wenn sein Speer beim Jahreshöhepunkt im Berliner Olympiastadion die 90 Meter überfliegt. Auch Weiten deutlich darüber hinaus sollen wieder möglich werden. Da bei seinem deutschen Rekord keine optimalen Windverhältnisse herrschten und auch in der Technik Reserven vorhanden sind, ist eine noch größere Weite als 94,44 Meter nicht ausgeschlossen.

Einen neuen deutschen Rekord oder gar den Weltrekord (98,48 m) verbissen jagen wird der Deutsche Meister aber nicht – genauso wenig wie er die 90 Meter gejagt hat. Solche Tage wie seinen Rekord-Wettkampf in Luzern mit vier persönlichen Bestleistungen nacheinander lassen sich eben nicht planen.

Status als Nummer eins alles andere als sicher

Auch die starke Konkurrenz im eigenen Lager ist ein weiterer Grund dafür, dass Johannes Vetter sich keinesfalls auf seinen Erfolgen ausruhen darf. Die Saisonhöhepunkte lagen am Ende des Sommers und der Offenburger schritt anschließend als gefeierter Held über die roten Teppiche. Da vergisst man leicht, dass Thomas Röhler die erste Saisonhälfte 2017 dominiert und ebenfalls drei Wettkämpfe mit Würfen jenseits der 90 Meter vorzuweisen hatte.

Über den gesamten Sommer gesehen sind die Duelle der beiden Rekordwerfer 7:7 ausgegangen. Und neben den weiteren starken DLV-Athleten haben die starken Tschechen mit Bestleistungen beim Saisonhöhepunkt die nach dem Verlauf des Sommers fast logische deutsche Doppelbesetzung auf dem WM-Podest durchkreuzt.

Das hohe nationale und internationale Niveau im Speerwurf bedeutet nicht nur, dass die zurückliegenden Siege für Johannes Vetter besonders wertvoll sind. Es bedeutet aber auch, dass es für ihn besonders schwer werden wir, seine Spitzen-Position zu verteidigen. Einige Gewinner dieser Konstellation stehen schon fest: Die Zuschauer und die Leichtathletik insgesamt, die durch das Staraufgebot an Aufmerksamkeit gewinnt.

Video: <link video:17821>Johannes Vetter zum "Champion des Jahres" 2017 gekürt
Video-Interview: <link video:17170>Johannes Vetter: Meisterschaftsrekord: Bombensache"

Das sagt Bundestrainer Boris Obergföll:

Wir haben drei Jahre lang akribisch an der Technik gearbeitet. Johannes hat mit den Beinen und dem Oberkörper alles andere als optimal gearbeitet. Kleine Verbesserungen haben schon zu exorbitanten Steigerungen geführt. An der Kraft haben wir wenig gemacht. Die hätte schon im vergangenen Jahr für 90 Meter gereicht. Ob ein Athlet 190 Kilo im Bankdrücken schafft oder 230 Kilo, macht für das Werfen keinen Unterschied mehr. Es kommt auf die Feinheiten in der Technik an. Johannes ist absolut fleißig und fokussiert. Im Training muss ich ihn eher bremsen. In diesem Jahr hätte es vielleicht eine Auszeichnung weniger sein können, mit Blick auf die Frage: Welche Ziele bleiben noch? Aber es freut mich für ihn. Johannes verkauft sich prima. Er soll so bleiben wie er ist. In den nächsten Jahren geht es darum, ihn gesund zu halten und auf möglichst hohem Niveau konstant zu werfen. Wenn man mit aller Gewalt versucht, den Weltrekord zu brechen, gibt es einen Kollateralschaden. Im nächsten Jahr wird es bestimmt nicht wieder fünf Meter weiter gehen. Wir wollen die Technik verbessern und in Berlin vorne dabei sein. Langfristig heißt das Ziel Tokio. Dort geht es auch um die Position der Leichtathletik insgesamt, denn danach werden die Gelder durch den DOSB neu verteilt.

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