| Porträt

Julian Weber nähert sich der internationalen Bühne

Einer hat es diesen Sommer geschafft, sich im Schatten zweier Speerwurf-Überflieger an die deutsche Spitze zu pirschen. Julian Weber übertraf zum ersten Mal die 80 Meter, die Eintrittskarte zu einem Leistungsbereich von dem internationale Aktiven-Normen nicht mehr weit sind. Noch dazu holte sich der U20-Europameister im ersten Jahr bei den Männern DM-Silber in Ulm. Dabei hatte er zwischen 12 und 16 Jahren ganz auf Handball gesetzt.
Pamela Ruprecht

Die Augen von Bundestrainer Boris Obergföll sahen Mitte Juni in Wesel einen Speer bei 80,22 Meter einstechen – das Wurfgerät eines aufstrebenden jungen Athleten. Seine damals neue Bestleistung und das Knacken der 80 Meter brachten Julian Weber den Deutschen U23-Titel. Ohne Erwartungen nach Verletzungsproblemen angereist, frisch aus dem „Wohlfühltraining“ ohne Intensitäten, wo er viel Zeit am See verbracht und relaxt hatte, ging er in den Wettkampf.

Der Mainzer war hoch motiviert, nach körperlichen Beschwerden wieder am Start sein zu können. Im Januar zog er sich bei der Volleyball-Abiturprüfung einen Außenmeniskusriss am rechten Knie zu. „Aber die 15 Punkte habe ich bekommen“, fügt Weber hinzu. Nach der Operation schlichen sich aufgrund eines Gleitwirbels Rückenschmerzen im Trainingslager in Kienbaum ein. Statt harter Saisonvorbereitung standen Stabilitätsübungen und „Wellnesstraining“ auf dem Programm. „Die Voraussetzungen für Wesel waren eigentlich nicht so optimal.“

Top-Leistungen trotz symmetrischer Knieverletzungen

Dass er mit Verletzungen umgehen kann, sie ihn nicht an Höchstleistungen hindern, hatte der 20-Jährige bereits im vergangenen Jahr bei den U20-Europameisterschaften in Rieti (Italien) demonstriert. Vor der Qualifikation verletzte er sich vor Ort im Training. Ein Riss im Außenmeniskus, am linken Stemmbein, wie sich später herausstellte. Er trat die Vorrunde mit „brutal getaptem“ Knie  („Beugen und Strecken ging nicht mehr so gut“) und verkürztem Anlauf an. Doch Weber ist hart im Nehmen: Gleich im ersten Versuch gelang ihm mit 77 Metern der Einzug ins Finale.

Dort ging es erneut mit Kniebandage in den Wettkampf. Ein Tag zuvor war ihm noch Flüssigkeit entfernt worden, die Schmerzen waren weniger geworden. Wieder mit verkürztem Anlauf lief es gut. Nur der Ukrainer Maksym Bohdan hatte ihm  im ersten Versuch seine Weltjahresbestleistung weggeschnappt. Es musste etwas passieren: Julian Weber stellte sich im fünften Durchgang ganz nach Gefühl „irgendwo weiter hinter“ und ging mit längerem Anlauf in den Abwurf. Das Resultat: die bis dahin beste Weite seines Lebens (79,68 m) bedeutete den Sieg.

Drittbester ewiger U20er, drittbester Aktiver diesen Sommer

Weiter haben in Deutschland jemals nur zwei Teenager geworfen: Till Wöschler (LAZ Zweibrücken) und Ex-Weltmeister Matthias de Zordo (SC Magdeburg) halten mit 82,52 Meter gemeinsam den U20-Rekord. Bei seinem Triumph in Wesel und den Deutschen Meisterschaften in Ulm in diesem Jahr war Weber auch noch 19 Jahre. Eine weitere Steigerung auf 80,72 Meter brachte ihm im Donaustadion die Silbermedaille.

Team-Europameister Andreas Hofmann (MTG Mannheim; 86,13 m) musste dem Deutschen Jugendmeister von Rostock den Vortritt lassen. In der DLV-Bestenliste findet sich Julian Weber hinter den beiden Überfliegern Hofmann und Thomas Röhler (LC Jena) auf Position drei wieder. „Nie gedacht“ hatte er vor der Saison, dass er bei dem starken Männerfeld so weit vorne landen kann. Durch Trainingsänderungen in der Vorbereitung auf den nationalen Höhepunkt wurde er die Rückenschmerzen los und insgesamt schnellkräftiger.

Die EM-Norm für Zürich (Schweiz; 82,50 m) war sein Traumziel gewesen. In Ulm machte ihm der Wind einen Strich durch die Rechnung. Der Deutsche Meister und Diamond League Sieger Thomas Röhler (87,63 m) meinte nach dem Wettkampf, vier Meter Gegenwind hätten die Speerweiten stark gedrosselt. „Ich hatte ein richtig gutes Gefühl bei den Würfen, die hätten auch weiter gehen können“, sagt deshalb auch Weber. Das internationale Parkett muss noch warten.

Von der Leichtathletik zum Handball zum Speerwurf

Dass Julian Weber Talent zum Werfen hat, kristallisierte sich schon früh heraus. In der Altersklasse M11 gewann er 2005 bei den World Juniors Games in Hamburg das Ballwerfen mit 54 Metern. Später steigerte er sich auf 65,50 Meter. Zur selben Zeit hatte er seine erste Begegnung mit dem Speer, die „gleich schon gut“ lief. Bald sollte aber erstmal vier Jahre Schluss sein mit der Leichtathletik.

Handball war angesagt. Weber kommt aus einer Handballer-Familie. Sein älterer Bruder spielt in Balingen dritte und gelegentlich erste Bundesliga, seine Schwester Oberliga. Gelernt haben die Geschwister beim gleichen Trainer wie schon ihr Vater. So konzentrierte sich der Deutsche Vize-Meister in seiner Jugend ganz auf den Handballsport.

Dass er mit 16 Jahren wieder zum Speerwerfen kam, hat er einem Telefonanruf zu verdanken. Sein Leichtathletik-Trainer der ersten Stunde und Vater seines besten Kumpels, Stephan Kallenberg, fragte, ob er nicht Lust hätte, noch am selben Tag spontan auf einen Wettkampf zu fahren, und „Bock auf werfen“ hätte. Julian Weber hatte Lust und auf Anhieb die Quali für die Deutschen U18-Meisterschaften.

Trainer Vater seines besten Kumpels

Handball spielte er nach wie vor weiter. Als er sich 2012 bei einem Spiel einen Trümmerbruch am rechten Daumen zuzog, fiel der geplante Wechsel zu einem größeren Verein ins Wasser. Der Deutsche Vize-Meister beendete nach 13 Jahren den Mannschaftssport. „Das Verletzungsrisiko war zu hoch“, der Wunsch, im Speerwurf immer besser zu werden, größer.

Seine Leistungsentwicklung zeigt, dass die Zusammenarbeit mit Trainer Stephan Kallenberg funktioniert. Im ersten U18-Jahr warf er mit dem 700-Gramm-Speer 65 Meter, 2012 bereits 71 Meter. Und als der Speer um 100 Gramm schwerer wurde, ging es schnurstracks auf die 80 Meter zu. „Mein Trainer ist für mich der Beste“, sagt Julian Weber über seinen Coach. Kallenberg kümmert sich um alles, obwohl er nicht viel Zeit hat. Hauptberuflich führt er eine Anwaltskanzlei. Weber ist mit dem Sohn seines Trainers, Zehnkämpfer Christian Kallenberg, befreundet und fliegt auch mit ihnen in den Urlaub.

Der Trainingsalltag von Julian Weber ist abwechslungsreich. Er trainiert entweder mit der Mainzer Zehnkampftruppe von Kallenberg, in Einzeleinheiten mit seinem Trainer oder alleine. Normalerweise hat er drei- bis viermal in der Woche trainiert, vor der Deutschen hat er zum Substanzaufbau forciert und sein Pensum auf  zweimal täglich geschraubt. In dieser Größenordnung soll es auch im Herbst weitergehen, wenn sein erster Bundeswehrlehrgang vorbei ist. 

An Technik gefeilt

Seit September ist er Mitglied der Sportfördergruppe. Die Nummer sechs der U23 in Europa kann sich nun voll aufs Training konzentrieren, ohne finanzielle Sorgen zu haben. „Besser kann es für einen Sportler nicht sein.“ Zum Auftakt stand die Schießwoche auf dem Programm. Da er relativ treffsicher war, kam er nicht oft dran. „Ich habe fünf Minuten geschossen und bin zehn Stunden rumgestanden“, erzählt er. Nicht gerade das, was jemand ausfüllt, der in seiner Freizeit ständig in Bewegung ist, etwa beim Beach-Volleyball oder Basketball.

Mit den optimierten Trainingsbedingungen will der Athlet vom USC Mainz den Winter durchtrainieren und ein längeres Trainingslager in Südafrika mitnehmen. Potential für die Zukunft sieht er vor allem in den Kraftwerten. „Kraftmäßig bin ich ‘ne Wurst gegenüber den anderen.“ Auch technisch gibt es immer noch was zu feilen. Wenn gleich er sich in dieser Saison erfolgreich eine gerade Wurftechnik angeeignet hat. Arm und Oberkörper dreht er vor dem Abflug des Speers nicht länger ein, das Wurfgerät verkantet nicht mehr so leicht und sein Rücken wird geschont.

Mix aus Lockerheit und Fokussierung

Ziel für nächstes Jahr ist es, zur U23-EM nach Tallinn (Estland) zu reisen und dort unter die Top Fünf zu kommen. Aber er weiß: „Die Konkurrenz ist zur Zeit ziemlich stark in Europa. Das wird nicht einfach.“ Daneben lockt die WM-Qualifikation für Peking (China). Vielleicht rutscht ihm einer raus, wenn alles passt. An Ehrgeiz und Wille mangelt es jedenfalls nicht. „In einer Millisekunde alles reinzusetzen, was der Körper bietet, seine ganze Kraft und alles, was man monatelang trainiert hat“, das kickt ihn beim Abwurf.

Dennoch ist Julian Weber vor großen Meisterschaften „ziemlich locker drauf“ - seine mentale Stärke. Der Stimmungsunterschied sei im Vergleich zum Training nicht sehr groß. Schon dort ist er voller  Motivation. Im Wettkampf steigen Fokus und Konzentration nochmal an. Alles andere blendet er aus, ziemlich aus: „Meistens muss ich nach dem Wettkampf fragen, was eigentlich so abgegangen ist, wer wievielter geworden ist“, lacht er. Doch bahnt sich ein Grund zum Kontern an, bekommt er das mit.

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