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Markus Rehm - Pionier der Paralympics-Athleten

Die Deutschen Meisterschaften in Ulm haben eine Reihe von Titelträgern hervorgebracht, die noch nie zuvor in der Aktivenklasse ganz oben auf dem Treppchen nationaler Meisterschaften gestanden haben. Wir stellen neue Gesichter, Aufsteiger und alte Bekannte vor. Heute: Markus Rehm (TSV Bayer 04 Leverkusen).
Jan-Henner Reitze

Markus Rehm

TSV Bayer 04 Leverkusen
22.08.1988
1,85
75 kg

Weitsprung
Paralympics Sieger 2012
Weltmeister T44 2013
Weltmeister F44 2011
Europameister T44 2014
Junioren-Weltmeister F44 2010
Deutscher Meister 2014

Dieser Tag war ein ganz großer für den Athleten Markus Rehm: Als erster Unterschenkel-amputierter Weitspringer nahm er bei den Deutschen Meisterschaften teil. Ein Wettkampf, auf den sich der 26-Jährige akribisch vorbereitet hatte der ihm und der Szene in Erinnerung bleiben wird, besonders der vierte Versuch. Auf 8,24 Meter flog der Paralympics-Sieger und ließ damit die gesamte Konkurrenz hinter sich, auch den beherzt kämpfenden Christian Reif (LC Rehlingen; 8,20 m), der mit sechs Sprüngen jenseits der Acht-Meter-Marke den in der Breite besten Wettkampf seines Lebens machte.

Gelegenheit, seinen neuen paralympischen Weltrekord zu genießen, blieb Markus Rehm allerdings nicht. Anstatt seiner Leistung rückte eine andere Frage in den Mittelpunkt: Wie geht der Leistungssport der Nicht-Behinderten mit paralympischen Athleten um? Markus Rehm ist der erste von ihnen in Deutschland, der Nichtbehinderte in einem gemeinsamen Wettkampf hinter sich gelassen hat.

Wertung in Zukunft getrennt

Bisher ist noch nicht endgültig geklärt, ob und unter welchen Umständen eine gemeinsame Wertung möglich ist. Da derzeit nicht ausgeschlossen werden kann, dass technische Hilfsmittel paralympischen Athleten einen Vorteil verschaffen, hat der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) erst einmal entschieden, einen gemeinsamen Start zu ermöglichen, die Wertungen aber getrennt zu halten.

Um langfristig eine Antwort auf die Frage nach Vergleichbarkeit der Leistungen zu finden, wünscht sich Markus Rehm eine gemeinsame Suche mit Wissenschaft, dem Deutschen Behindertensportbund (DBS) und dem Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV). "Wir haben ein gemeinsames Ziel: Einen fairen Sport", sagt der 26-Jährige, der in den vergangenen Wochen mit diplomatischem Geschick noch ein weiteres Talent unter Beweis stellte.

Vorbild über den Sport hinaus

Sein Sieg von Ulm vermittelt eine Botschaft, die über das Sportliche hinausgeht. Ein Mensch, der seinen Unterschenkel verloren hat, kann trotzdem den Nicht-Behinderten davonfliegen. Das beeindruckte auch zahlreiche Integrations- und Nachwuchsprojekte, die sich in diesem Bereich engagieren und in Markus Rehm den optimalen Repräsentant sehen. Er wird von Anfragen überhäuft, die er – auch wenn sie ihn überzeugen - lange nicht alle annehmen kann.

Auch in seinem Halbtags-Beruf als Orthopädie-Mechaniker wollen mehr Kunden am liebsten von ihm betreut werden, und der Weitspringer freut sich über seine Vorbildfunktion. "Es ist toll, dass ich zeigen kann, dass ein Handicap nicht bedeutet, dass es nur noch bergab geht", erklärt der leidenschaftliche Wakeboarder.

Die Diskussion um seinen zukünftigen Status in Wettkämpfen der Nicht-Behinderten und die Aufgaben, die durch seine gewonnene Symbolkraft zusätzlich auf die Tagesordnung gerückt sind, führen dazu, dass es im Leben von Markus Rehm im Moment um mehr geht, als seine persönlichen Ziele. Er nimmt diese Aufgabe an. Damit ist die Chance eröffnet, dass seine Pionierarbeit nachhaltige und zukunftsweisende Folgen hat.

Vom Wakeboard in die Weitsprung-Grube

Dass Markus Rehm seiner paralympischen Konkurrenz, die übrigens das gleiche Material zur Verfügung hat, um einen Meter voraus ist, verdankt er nach eigenen Angaben "einer hervorragenden Unterstützung meiner Trainerin und sicher auch dem Trainingsfleiß und Talent." Schon bevor er mit 14 bei einem Wakeboard-Unfall seinen rechten Unterschenkel verlor, stillte der leidenschaftliche Sportler seinen Bewegungshunger auch mit Leichtathletik. Von den erlernten koordinativen Fähigkeiten profitierte er bei seinem späteren Einstieg in die Leichtathletik als Leistungssport.

Mit dem Weitsprung begann Markus Rehm, nachdem der TSV Bayer 04 Leverkusen 2009 auf ihn als Unterschenkel-amputierten Wakeboarder aufmerksam wurde. Auch durch seinen folgenschweren Unfall ließ sich der 25-Jährige nicht von dieser Sportart abbringen. Neben Koordinationsfähigkeit brachte Rehm eine große körperliche Fitness mit, so dass es vor allem noch um das Erlernen der Technik und die Professionalisierung des Trainings ging. Das nahm Trainerin Steffi Nerius in die Hand.

Die funktionierende Teamarbeit und professionellen Trainingsbedingungen am Standort Leverkusen halfen auf dem Weg nach oben. Auch ein immer länger werdender Anlauf trug zur Leistungsentwicklung bei, die über die Ausnahmestellung unter den paralympischen Athleten mittlerweile bis in Top-Weitenbereiche der Nicht-Behinderten geführt hat.

Großes Ziel Paralympics in Rio

In Zukunft wird sich Markus Rehm weiterhin gerne mit der nicht-behinderten Konkurrenz messen - außerhalb der Wertung, so lange international keine anderen Regeln in Kraft treten. Nach dem Vorbild seines Starts beim ISTAF in der abgelaufenen Saison hofft der Leverkusener auf weitere Startgelegenheiten bei internationalen Meetings.

Ob er bei den Deutschen Meisterschaften antreten wird, ist noch nicht sicher. "Die Wettkampfplanung für 2015 läuft noch und muss auch darauf abgestimmt werden, dass die WM der Sportler mit Handicap erst im Oktober ist", erklärt der zweimalige Goldmedaillengewinner dieser Meisterschaften. Das große Ziel sind die Paralympics 2016 in Rio de Janeiro (Brasilien).

Auf dem Weg dorthin möchte Markus Rehm seine Leistung von Ulm mit weiteren Acht-Meter-Flügen bestätigen. Gleichzeitig hat er auch eine neue Marke im Hinterkopf: 8,50 Meter.Ein Ansporn, weiter an sich zu arbeiten. Sich mit einer Leistung endgültig zufrieden geben, das passt zu keinem Leistungssportler. Grenzen hat sich Markus Rehm noch nie gesetzt, nicht als er seinen Unterschenkel verlor und nicht als er die paralympische Konkurrenz um Längen abhängte. Warum sollte er jetzt also damit anfangen?

Das sagt Trainerin Steffi Nerius
Markus ist ein sehr disziplinierter, ehrgeiziger, hundertprozentiger Athlet. Er ist mündig, denkt mit, ist aber auch fähig, Anweisungen im Training umzusetzen und einfach auszuführen. Als Trainer kann man sich keine bessere Zusammenarbeit wünschen. Er ist ein Ausnahmetalent. Bester Beweis dafür ist, dass andere Athleten mit der gleichen Behinderung einen Meter weniger weit springen. Mit seinen Leistungen hat er auch meine Erwartungen schon mehrmals übertroffen. Seinen Weltrekord aus dem Jahr 2013 mit 7,95 Metern habe ich zum Beispiel als perfekten Sprung gesehen. Deshalb habe ich auch versucht, Markus darauf vorzubereiten, dass es eventuell nicht gleich wieder so weit geht. In diesem Jahr ist er aber mehrfach an diese Leistung herangekommen, so dass ich in Ulm auf acht Meter gehofft hatte. 8,24 Meter haben mich dann aber wieder einmal überrascht. Das war ein sensationeller Tag, eine sensationeller Sprung, eine sensationelle Leistung.

 

 

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