| Rückspiegel

Mein Moment 2018 – Die letzte Hürde

Kaum zu fassen: Das EM-Jahr 2018 ist schon fast Geschichte! So vieles ist passiert in den vergangenen Monaten. Manches scheint schon so weit weg, anderes ist präsent, als wäre es gestern passiert. Wir wollen das Jahresende dazu nutzen, auf Highlights zurückzublicken. Aus einer ganz persönlichen Perspektive, für die in all unseren News und Geschichten bisher kein Platz war. Heute im Fokus: Ein ganz normaler Arbeitstag bei den U18-Europameisterschaften in Györ (Ungarn).
Pamela Lechner

Das Leichtathletik-Jahr 2018 war viel zu ereignisreich, um nur einen bestimmten Moment auszuwählen. Es sind vielmehr ganz viele tolle Momente, die sich in meine Erinnerung gebrannt haben. Eine meiner Stationen, die ich 2018 ins Herz geschlossen habe und mit voller Leidenschaft angegangen bin, waren die U18-Europameisterschaften in Györ (Ungarn). Auf meiner Reise mit der DLV-Nationalmannschaft durfte ich binnen einer Juli-Woche erleben, was es heißt, nicht nur als Sportler, sondern auch als Redakteurin alles zu geben.

Die Pressetribüne für die Medienvertreter befand sich im wunderschönen, bunten Stadion in Györ direkt an der 100 Meter-Bahn kurz vor dem Zieleinlauf. Ich saß wie jeden Tag neben Steven Mills, dem netten Kollegen vom Europaverband EAA, der sich an einem Vormittag den Kaffee über seinen neuen Laptop kippte. Nicht weit rechts von mir: das Kommentatoren-Duo von Eurosport, das mit Übertragungsproblemen kämpfte.

In der aktuellen Wettkampf-Berichterstattung ist meist keine Zeit dafür, das niederzuschreiben, was man als Journalist in den Augenblicken des sportlichen Erfolges alles wahrnimmt – die Stimmung, die Emotionen, die Power der Bewegungen. Oder das andere Extrem: Man hat das, worüber man schreiben muss, gar nicht gesehen. Weil oftmals viele Wettbewerbe gleichzeitig stattfinden und man nur an einem Ort sein kann – in dem Fall auf der Pressetribüne.

Ein Regenbogen an Emotionen

Alles, was vor mir passierte, sah ich sehr gut. Besonders den Weitsprung-Wettbewerb der männlichen Jugend und die Tücken des Brettes, das man treffen musste. Nick Schmahl (TSV Heiligenhafen) erwischte den Balken im zweiten Versuch perfekt und wurde zusätzlich vom Wind angeschoben (+2,7 m/sec). Als seine Weite – 7,60 Meter – auf der Anzeigetafel erschien, sprang und jubelte der damals 16-Jährige vor Freude über die ganze Bahn. Die Weite sollte Gold wert sein.

Der zweite DLV-Weitspringer Jaron Boateng (ART Düsseldorf) wollte dagegen einfach das Brett nicht treffen. Egal, was er in Absprache mit seinem Trainer Ralf Jaros auch versuchte, der eigentliche Mehrkämpfer verschenkte jedes Mal kostbare Zentimeter. Es blieb trotz Steigerung im sechsten Durchgang auf 7,19 Meter der vierte Platz, dabei hatte er doch bestimmt „brutto“ eine Medaillen-Weite gezeigt. Wie unfair, dachte ich mir. Aber so sind die Regeln.

Es war nicht das einzige Finale der U18-EM, in dem es aus DLV-Sicht Freude und Enttäuschung gleichzeitig gab. Diese Emotionen brachte einen Tag vorher auch der Verlauf des 200 Meter-Finals mit den zwei deutschen Favoriten Daniel Regenfuß (LG Langen) und Alexander Czysch (VfB Stuttgart) hervor. Ich traute meinen Augen nicht, als Daniel 20 Meter vor dem Ziel auf Siegeskurs liegend ins Straucheln geriet – zum Glück war es Alexander, der an ihm vorbeizog. Gold und Silber für das DLV-Team! „Wir sehen das als Doppelsieg“, sagte Daniel Regenfuß als fairer Verlierer gefasst nach dem Rennen.

Raus aus dem Stadion, nur wie?

Auch dieser Tag war im Kasten, die Erfolge auf allen Online-Kanälen verbreitet. Wie immer gehörte ich zu den Letzten, die das Stadion bei Dunkelheit verließen. Ich musste mich beeilen, den letzten Shuttle zurück zum Uni-Gelände zu bekommen, wo die Teams aller Nationen untergebracht waren. Noch fünf Minuten bis zur Abfahrt, ich musste nur noch den Einlaufplatz links neben dem Stadion überqueren und wenige Meter bis zur Bushaltestelle zurücklegen. Im Handy hatte ich eine Menge Videos und Fotos für Instagram, die ich auf der Rückfahrt gleich noch posten wollte. Doch dann kam etwas, mit dem ich gar nicht gerechnet hatte.

Das Tor am Ende des Einlaufplatzes war verschlossen. Es war zwei Meter hoch und ich hatte noch dazu Sommerschuhe an und keine Turnschuhe. Die ersten Versuche, beladen mit schwerem Rucksack das Eisentor, rechts und links mit Gitterzäunen umgeben, zu überqueren, scheiterten. Es schien fast aussichtslos. Aber es wartete der letzte Bus und ich wusste, ich muss in der nächste Minute da jetzt rüber, egal wie, sonst stehe ich nachts im Nirgendwo von Ungarn.

Also nahm ich alle Kräfte zusammen, krallte mich mit den Füßen zwischen die schmalen Gitter und schaffte es irgendwie über den Zaun und das Tor. Der Bus stand noch da und nahm mich als einzigen Fahrgast mit. Luxus. Und ich konnte die Fotos und Videos der Medaillengewinner jetzt posten. Man lernt in diesem Job, sich die Zeit nach Minuten einzuteilen und der Plan geht fast immer auf.

Perspektiv-Wechsel

So auch im Berliner Olympiastadion. Als die Heim-Europameisterschaften vorbei waren, die letzten Zuschauer das Stadion längst verlassen hatten und wir unsere Texte fertig getippt hatten, hatten wir die Ehre, auch einmal auf der blauen Weltrekord-Bahn zu stehen. Wir trafen uns am 100 Meter-Zieleinlauf zum Team-Foto der Redaktion. Kaum war das Bild geknipst, scheuchte uns ein Organisator von der Bahn. Wir hätten nichts im Innenraum zu suchen. Wie immer lief alles „just in time“.

Ich hatte gerade noch Zeit ein bisschen zu laufen – die 100 Meter-Bahn in die falsche Richtung, und drehte meinen Kopf dabei durch das riesengroße, leere Stadion. Dabei bekam ich eine geringe Ahnung davon, wie es wohl sein muss, hier vor 60.000 Zuschauern zu rennen. Man musste sich wirklich als Held fühlen vor dieser Kulisse. Ein weiterer sagenhafter Moment, der alle Arbeit vergessen machte. Und den hoffentlich viele der U18-Talente einmal in einem der großen Stadien dieser Welt erleben dürfen. Welch ein Glück, dass ich sie schon früh kennenlernen durfte. Auf ihre weitere sportliche Entwicklung darf man gespannt sein!

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