Philipp Corucle ist Sprinter. Ein Talent, das bei den Deutschen U20-Meisterschaften in der Halle dieses Jahr über 60 Meter Gold geholt hat. Diesmal ging es ohne Zielsprung - bei dem hatte sich der Vize-Meisters des Vorjahres 2015 in Neubrandenburg die Hand gebrochen. Wegen einer chronischen Verletzung ist der 18-Jährige gezwungen, im Training kürzer zu treten und muss deshalb auf den letzten Metern mit allen Mitteln kämpfen. Sein Traum: einmal die 100 Meter richtig durchsprinten.
Die größten deutschen Nachwuchs-Talente haben in diesem Sommer zwei Ziele: bei der U18-EM in Tiflis (Georgien; 14. bis 17. Juli) oder der U20-WM in Bydgoszcz (Polen; 19. bis 24. Juli) zu starten. Für Philipp Corucle (VfL Kirchheim-Teck) ist die U20-WM trotz seiner starken neuen 60-Meter-Bestzeit von 6,77 Sekunden aber kein Thema.
Unter seinem Vater und Trainer Micky Corucle, der den deutschen 200-Meter-Rekordler Tobias Unger (20,20 sec) coachte, will er dieses Jahr zum ersten Mal die 100 Meter unter elf Sekunden laufen. Etwas, was seinen Konkurrenten längst gelungen ist. Warum von Philipp Corucle bisher nirgends eine Zeit über die Königsdistanz der Leichtathletik zu finden ist, dafür gib es einen einfachen Grund.
Eine chronische Verletzung erschwert seit vier Jahren intensives Training: Eine Kahnbein-Entzündung an seinem rechten Fuß löste im Zusammenhang mit einem Becken-Schiefstand weitere Entzündungen aus. Tempoläufe, die für die zweite Rennhälfte notwendige Grundlage sind, waren lange Zeit nicht möglich. Stets muss Rücksicht auf den Fuß genommen werden. Viele Meter zurücklegen ist aber Voraussetzung, ein hohes Tempo auf den kurzen Sprintdistanzen durchzuhalten.
Auf dem Sprung nach Gold
„Ich muss immer schauen, dass ich die 60 Meter überhaupt schaffe“, erklärt Philipp Corucle. Mit der eingeschränkten Vorbereitung war er bei der Jugend-Hallen-DM 2015 auf den letzten zehn Metern langsamer geworden und sah in einem Hechtsprung ins Ziel die einzige Chance, die Goldmedaille zu gewinnen. Aber statt dem Titel gab es einen Handbruch und Lukas Hein (LAZ Saarbrücken) siegte im Foto-Finish (beide 6,84 sec).
2016 war Philipp Corucle erstmals beschwerdefrei. Alternative Tempoläufe auf weichem Boden machten keine Probleme. In Dortmund reichte es damit gegen starke Konkurrenten (sieben Finalisten blieben unter sieben Sekunden) auch ohne Stuntman-Einlage zu DM-Gold. Der bisher größte Erfolg in seiner jungen Karriere. Deren weiterer Verlauf hängt allerdings stark davon ab, wie sich seine körperliche Verfassung entwickelt und welche Trainingsumfänge diese erlaubt.
Unter elf Sekunden
Der nächste Schritt wäre, in einem 100-Meter-Rennen richtig durchzustarten. Vom Start bis ins Ziel hundert Prozent bringen können – was für die meisten Nachwuchssprinter völlig normal ist. „Das ist mein Ziel, endlich mal gesund die 100 Meter zu laufen. Ich weiß nicht, seit wie vielen Jahren ich die Strecke nicht normal laufen konnte.“
Ein einziges Mal rannte der U20-Athlet die 100 Meter im Wettkampf. Das war 2015 in Clermont (USA) im Rahmen eines privaten Trainingslagers. Wegen zu viel Rückenwind gingen die 11,05 Sekunden nicht in die Bestenlisten ein. Ohnehin ein Ergebnis, das seine Schnelligkeit nicht widerspiegelt. Die Nachwuchs-Sprinter, die er im 60-Meter-Finale von Dortmund hinter sich ließ, weisen alle 100-Meter-Bestzeiten von deutlich unter elf Sekunden auf: Allen voran Thomas Barthel (SC Magdeburg; 10,57 sec) und Milo Skupin-Alfa (LG Offenburg; 10,59 sec).
Vorbild Tobias Unger
Während die deutschen Top-Sprinter um Julian Reus (TV Wattenscheid 01) davon träumen, die Zehn-Sekunden-Marke zu knacken, ist es bei Philipp Corucle die Elf-Sekunden-Marke. Sein großes Vorbild: Tobias Unger. Er war der letzte DLV-Sprinter, der als Hallen-Europameister 2005 über 200 Meter einen Einzeltitel gewinnen konnte. Der mittlerweile 36-Jährige trainierte bei Micky Corucle.
„Mein Vater hat durch Tobias viel Trainererfahrung gesammelt und will das an die jüngere Generation weitergeben“, sagt Philipp Corucle, dessen Trainingspartner unter anderem der Deutsche U23-Meister über 200 Meter Raphael Müller (VfB Stuttgart) ist. Die Leichtathletik steht ganz im Fokus seiner Familie. Schon vor seiner Geburt war er im Bauch seiner Mutter, einer ehemaligen Leichtathletin, auf der Laufbahn unterwegs. „Ich bin sozusagen im Stadion geboren.“
Motivation Olympische Spiele
Im Jahr der Olympischen Spiele steigt die Motivation des Sprint-Talents. Wenn die Gesundheit mitspielt, will er eines Tages auch bei den Spielen dabei sein. Bevor er sich aber große Ziele stecken kann, muss der Körper mitmachen. Deshalb kann er auch eine Teilnahme an der U20-WM – die Norm dafür läge bei 10,52 Sekunden – nicht als Horizont ausgeben, im Mittelpunkt steht stattdessen die Vorbereitung auf die Jugend-DM in Mönchengladbach (29. bis 31. Juli).
Einen Test-Wettkampf, ob das bisherige Trainingspensum ausreichend war, bestreitet er zum Saisonauftakt in Weinheim (28. Mai). Dann will Philipp Corucle am Startblock seinen Tunnelblick aufsetzen und so schnell rennen, wie er kann. „Bis jetzt bin ich auf den letzten 40 Metern immer eingegangen, ich hoffe, dass ich den Lauf diesmal durchziehen kann.“