| EM 2014 Kommentar

Respekt in Sieg und Niederlage

Sieg und Niederlage liegen im Sport oft so nah beisammen. Das mussten auch viele deutsche Leichtathleten bei der EM in Zürich erfahren. Nicht alle Hoffnungen haben sich erfüllt. Kein Grund, den Kopf in den Sand zu stecken. Und kein Grund, das junge Team pauschal schlechtzureden. Wer genau hinschaut erkennt die Stärke der Mannschaft - und die macht Vorfreude auf die Zukunft.
Alexandra Neuhaus

Meckern gehört in Deutschland gefühlt inzwischen zum guten Ton und wer in der Öffentlichkeit steht, muss sich ohnehin mehr gefallen lassen als der Normalbürger. So verschließen sich auch die deutschen Leichtathleten nicht vor konstruktiver Kritik nach ihrem Auftritt bei den Europameisterschaften in Zürich (Schweiz), von dem sich die Öffentlichkeit und auch einige Athleten selber mehr ausgemalt hatten.

Aber: Manche Kritik, sei es in den Medien, Sozialen Netzwerken oder auch in Mails und Anrufen, die den Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) erreichen, steht in keinem Verhältnis zur wahren Leistung der Mannschaft. Denn eins kann man diesem Team nicht vorwerfen: mangelnden Kampfgeist.

„Blut auf der Bahn“

Von Waterloo ist da die Rede, vom Pleitenteam, gar Ausschlüsse mancher Athleten aus der Nationalmannschaft wurden gefordert. Polemik, die nicht nur angesichts von vier Goldmedaillen, einer silbernen und drei Bronzemedaillen geradezu lächerlich erscheint, lässt sie doch außer Acht, dass in Zürich eine Mannschaft am Start war, der viele Leistungsträger der vergangenen Jahre gefehlt haben. Eine Mannschaft, die mit 25,2 Jahren so jung war wie zuletzt bei der EM 1990 in Split (Kroatien). Eine Mannschaft, die mit 43 Endkampfplatzierungen so gut war wie seit 2002 nicht mehr. Eine Mannschaft, die aufopferungsvoll gekämpft hat – doch dafür gibt es eben oft kein Edelmetall.

Team-Kapitän Robert Harting (SCC Berlin) ist bekannt für seine markigen Sprüche. Ein Paradebeispiel dieser Eigenschaft lieferte die Überfigur der deutschen Leichtathletik auch in Zürich ab, als er seine Mannschaftskollegen bei der ersten Mannschaftssitzung beschwor. „Steckt euch hohe Ziele“, sagte er. „Und solltet ihr diese Ziele doch nicht erfüllen, so muss zumindest euer Blut auf die Bahn tropfen.“

Unangebrachte Häme

Und dieses Blut tropfte wahrhaftig. Bei manchen Athleten, wie etwa Sabrina Mockenhaupt (LG Sieg), die mit blutüberströmten Beinen als Sechste über 10.000 Meter ins Ziel kam, im wahrsten Sinne, bei dem Großteil der Mannschaft aber vor allem im übertragenen. Hürdensprinter Erik Balnuweit (LAZ Leipzig) verpasste trotz Hechtrolle ins Ziel den Einzug ins Finale knapp, sein Disziplinkollege Matthias Bühler (LG Offenburg) gar nur um den Hauch einer Tausendstel.

Frankfurts Siebenkämpferin Carolin Schäfer lief bei ihrer ersten EM um zwei Sekunden im abschließenden 800-Meter-Lauf am Podest vorbei, Weitspringerin Malaika Mihambo (LG Kurpfalz) sprang genauso weit wie die zur Bronzemedaillengewinnerin gekürte Darya Klishina aus Russland, deren zweitbester Sprung weiter war als der der 20-jähigen Deutschen. Klar, böse Zungen könnten nun wieder sagen, „knapp vorbei ist auch vorbei“, aber in welchem Verhältnis steht diese Häme zur erbrachten Leistung?

Überhaupt – die jungen Wilden: Knapp sechzig Prozent der U23-Athleten schafften den Einzug ins Finale. Bestes Beispiel: Mannheims Diskus-Queen Shanice Craft, erst 21 Jahre alt. Andere junge Athleten zahlten wiederum Lehrgeld, wie etwa Sprinterin Rebekka Haase (LV 90 Erzgebirge) beim verpatzten Staffelwechsel auf die Münsteranerin Tatjana Pinto. Aber wer hier mosert, der sollte sich vor Augen halten, dass auch ein Robert Harting bei seiner EM-Premiere 2006 krachend in der Qualifikation scheiterte.

Ehrgeizige Athleten

Seien wir ehrlich, jeder Sportler trainiert, um ganz oben auf dem Treppchen zu stehen. Und ja, in Zürich gab es in der Tat einige Enttäuschungen, das will niemand beschönigen. DLV-Präsident Dr. Clemens Prokop gestand etwa, dass sich bei der Kür nicht alle Hoffnungen erfüllt hätten. Sportdirektor Thomas Kurschilgen gab öffentlich zu Protokoll, dass sich das Team im Medaillenbereich nicht dort gezeigt hat, wo man es sich gewünscht hätte.

Und auch die Athleten selber sind ehrlich zu sich selbst und sagen gar öffentlich „Sorry“, wie etwa der ehemalige Weitsprung-Europameister Sebastian Bayer (Hamburger SV). Auch das ist Charakterstärke, die Respekt verlangt. Sie reflektieren, stellen sich der Öffentlichkeit, gehen mit sich hart ins Gericht – schließlich sind sie es auch, die für diesen einen Tag leben, die dem Sport so vieles unterordnen und die deshalb selbst am meisten enttäuscht sind, wenn es an Tag X nicht wie gewünscht läuft.

Stärke aus dem Zusammenhalt

Aber auch in Situationen wie diesen hielt das Team zusammen. Es feierte nicht nur gebührend seine Sieger, sondern pflegte etwa die Wunden an den Beinen von Sabrina Mockenhaupt, sprach den Enttäuschten gut zu und trocknete die eine oder andere Träne etwa bei einer Melanie Bauschke (LAV Olympia Berlin). Die Gemeinschaft, sie stimmt in dieser Mannschaft bestehend aus Athleten, Trainern, Ärzten und Betreuen - auch ohne eine hohe zweitstellige Zahl an Medaillen.

Es ist die Symbiose aus dem Ehrgeiz und Talent des Einzelnen und dem Gemeinschaftsgefühl im Team aus dem nach Zürich eine noch größere Stärke erwachsen kann. Denn wie lautet das Motto von Hochspringerin Marie-Laurence Jungfleisch (LAV Stadtwerke Tübingen) so passend? „Lache nicht über jemanden, der einen Schritt zurück macht. Er könnte Anlauf nehmen.“

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