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Sandi Morris: Anflug auf eine neue Ära

Stabhochspringerin Sandi Morris (USA) hat am Freitag beim Abschluss der Diamond-League-Serie in Brüssel (Belgien) als dritte Athletin der Geschichte fünf Meter übersprungen – Meeting-Rekord bei der 40. Auflage der Veranstaltung zum Gedenken an den jung verstorbenen belgischen Mittelstreckler Ivo van Damme. Ein Rekord mit Ansage und für Sandi Morris Durchgangsstation zu einem noch höheren Ziel.
Ivo Koken

Zwölf Jahre ist es her, da erklang in der belgischen Hauptstadt Brüssel die russische Hymne und Yelena Isinbayeva stand mit Freudentränen in den Augen auf dem Podium. Zuvor hatte die damals 22-Jährige das Publikum im altehrwürdigen König-Baudouin-Stadion mit einem Satz über 4,92 Meter in Ektase versetzt – Weltrekord. Ein Jahr später legte sie an gleicher Stelle einen Zentimeter drauf. Der Meeting-Rekord von  4,93 Metern hatte elf Jahre Bestand.

Zu lange, meint Sandi Morris (USA). Zur letzten Station der Diamond League reist die Olympia-Zweite mit dem klaren Ziel an, die Bestmarke des Memorials van Damme zu überbieten und damit gleichzeitig ihre persönliche Bestleistung weiter nach oben zu schrauben. Auch diese steht seit Juli bei 4,93 Metern. Vor knapp zwei Monaten flog die 24-Jährige in Houston (USA) an die Spitze der Weltjahresbestenliste und so hoch wie keine US-Amerikanerin unter freiem Himmel je zuvor.

Im Klub der Fünf-Meter-Springerinnen

In Brüssel steigt Sandi Morris nun erst bei 4,52 Meter in den Wettkampf ein und handelt sich direkt einen Fehlversuch ein. Im Anschluss lässt sie keine Höhe mehr aus, nimmt nach einem weiteren X bei 4,76 Metern weitere Versuche mit zu 4,82 Meter. Sie möchte nicht schon wieder gegen Olympiasiegerin Ekaterini Stefanidi (Griechenland) verlieren, die den Sieg im Rennen um den begehrten Diamanten zu diesem Zeitpunkt bereits sicher hat. Das Duell spitzt sich zu bis zur Höhe von 4,92 Meter. Morris fliegt im ersten Versuch drüber, Stefanidi ist raus.

Sandi Morris will jetzt mehr. 5,00 Meter liegen auf, sie hebt ab und die Stange wackelt. „Ich habe die Latte berührt und gedacht, dass der Versuch ungültig war. Aber dann habe ich das Publikum jubeln gehört und dachte nur noch ‚Oh mein Gott‘“, sagt Morris später und spult den Sprung vor dem inneren Auge erneut ab. „Danach hat mich mein Trainer gefragt, ob ich aufhören möchte oder den Weltrekord auflegen lasse. Was für eine Frage. Natürlich nehme ich da meine drei Versuche!“

Weltrekord im Visier

Nach bereits zwölf Sprüngen fühlt sich die Vize-Hallen-Weltmeisterin von Portland (USA) aber müde und scheitert schließlich dreimal an 5,07 Meter. Der perfekte Sprung, er ist in Brüssel noch nicht dabei. Davon ist Sandi Morris überzeugt und erklärt: „Ich bin erst die dritte Athletin, die jemals über fünf Meter gesprungen ist. Es ist eine riesige Ehre und unglaublich cool, dass ich jetzt zum Klub der Fünf-Meter-Springerinnen gehöre.“

„Ich glaube, dass es gut war, den Weltrekord nicht jetzt schon zu brechen. So habe ich ein Ziel für nächstes Jahr“, blickt Morris angriffslustig voraus. „Mein nächster Schritt wird es jetzt sein, mich an längere Stäbe heranzuarbeiten. Ich springe im Moment mit einer Stablänge von 4,45 Metern. Wenn ich einen 4,60er Stab springen kann, wird mich das sehr viel näher an den Weltrekord bringen. Dafür trainiere ich und ich glaube, dass ich ihn nächstes Jahr in mir habe.“

Stabbruch kein Hindernis

Dass sie in diesem Jahr überhaupt noch zu großen Höhenflügen ansetzen kann, stand zu Beginn der Saison auf der Kippe. Beim Meeting in Ostrava (Tschechien) im Mai brach ihr Stab, und die blonde Modellathletin zog sich einen Knochenbruch im linken Handgelenk zu. Ein Schreckmoment. Doch noch größer war die Sorge, dass die Verletzung nicht rechtzeitig bis zu den US-Trials ausheilen und die Olympischen Spiele in Rio (Brasilien) schließlich ohne sie stattfinden würden.

„Mein Arzt hat mir gesagt, dass ich Geduld haben muss und meine Verletzung nach sechs Wochen ausgeheilt sein wird.“ Sieben Wochen war Zeit bis zu den Trials. „Also habe ich meinen linken Arm in dieser Zeit nicht belastet, mein Training angepasst und keinen Stab in die Hand genommen. Bei den Trials habe ich noch einen Schmerz gespürt, bis Rio war aber wieder alles gut“, blickt die Silbermedaillen-Gewinnerin auf ihre ersten Olympischen Spiele zurück. Höhengleich mit der als Favoritin gehandelten Griechin Ekaterini Stefanidi musste sie sich dort nur knapp geschlagen geben.

Durchbruch im vergangenen Jahr

Bereits als Kind ließ die heute 24-Jährige ihr leichtathletisches Können aufblitzen und wurde im Schulsport schließlich zum Stabhochsprung geführt. Während ihrer High-School-Zeit sammelte sie schnell Erfolge und erhielt ein Stipendium an der University of North Carolina. Doch der Wechsel brachte eine Lebensumstellung mit sich, mit der Sandi Morris zu kämpfen hatte. „Ich war nicht fokussiert genug, kam mit so viel Freiheit nicht zurecht und fühlte mich verloren“, sagt sie.

Ein weiterer Wechsel sollte Abhilfe schaffen: Morris ging zu ihrem neuen Trainer Bryan Compton nach Arkansas, wo sie im Mai 2015 ihr Studium im Bereich Broadcasting (TV und Radio) abschloss. „Er ist genau das, was ich in meinem Leben gebraucht habe“, rechnet sie dem Coach den Hauptanteil an ihrem Aufstieg an. Dieser führte im Jahr 2015 zum großen Durchbruch, zur Steigerung um 21 Zentimeter auf eine Bestleistung von 4,76 Metern und bis zum vierten Platz bei der WM in Peking (China). Das Nationaltrikot zu tragen, habe sie weiter beflügelt, schwärmt Morris.

Zweitbeste US-Amerikanerin

Das erklärt, warum sie auch 2016 immer weiter in neue Sphären vordringen konnte. Bis zu besagtem Sprung in Houston (USA) im Juli und nun gar zu fünf Metern. „Nach meinem Sprung über 4,93 Meter wurde ich oft gefragt, ob das nun ein neuer Rekord für mein Land sei. Aber ich weiß es selbst nicht und die Verantwortlichen wohl auch nicht. Sie müssen das jetzt entscheiden. Das ist noch in Arbeit”, fasst Sandi Morris schmunzelnd das Problem zusammen, dass ihre Landsfrau Jenn Suhr ihre Bestmarke von 5,03 Metern unter dem Hallendach erzielte – Hallen-Weltrekord.

Draußen im Freien ist jedoch keine US-Amerikanerin jemals höher gesprungen als die stets lächelnde Frohnatur Sandi Morris. Der Frage nach Trennung von In- und Outdoor-Listen könnte sie im nächsten Jahr ganz aus dem Weg gehen. Nämlich dann, wenn sie ihr Ziel erreicht und so hoch springt, wie keine Frau vor ihr. Es scheint nur eine Frage der Zeit, bis sie Yelena Isinbayeva auch ihren bedeutsamsten Rekord abjagt und der Ära nach der russischen Überfliegerin ihren Stempel aufdrückt. Der Weg dorthin ist eingeschlagen.

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