| Interview der Woche

Stauß und Wentz: "Leichtathletik allein kam nie infrage"

Es war ein Dialog der Zehnkampf-Generationen: Der Vize-Weltmeister von Rom 1987, Siggi Wentz (54), Chefarzt einer Orthopädischen Klinik im Schwarzwald, und der aktuelle Deutsche Meister René Stauss (27; LAV Stadtwerke Tübingen) trafen sich beim Trainer-Symposium in Schwäbisch Gmünd und diskutierten vor 180 Gästen über die Königsdisziplin der Leichtathletik, ihre berufliche Laufbahn aber auch über die aktuellen Doping-Enthüllungen in Russland.
Ewald Walker

Siggi Wentz, wie ist Ihr Bezug zur Leichtathletik heute?

Siggi Wentz

Ich hatte in den 90er-Jahren zusammen mit Christian Schenk noch eine enge Verbindung mit der Mehrkampf-Szene. Dann ist der Draht durch meine Tätigkeit als Arzt etwas abgerissen. Durch meine Kinder bin ich dann wieder stärker in der Leichtathletik drin gewesen. Jetzt sind beide erwachsen und es ist wieder ruhiger geworden um den Sport.

René Stauss, Sie sind im August erstmals Deutscher Meister geworden. Vermutlich dreht sich bei Ihnen momentan sehr viel um den Sport …

René Stauß:

Ich konnte mein Hobby Sport zum Beruf machen. Das ist für mich deshalb so bedeutsam, weil meine Mutter, als ich mit dem Sportstudium begonnen habe, noch erstaunt fragte: „O Bua, was willsch au mit dem Sport später amol mache?“

Sie haben gerade eine hauptamtliche Stelle als Bildungsreferent beim Württembergischen Leichtathletik-Verband begonnen. Was bedeutet dies für Ihre Zehnkampfambitionen?

René Stauß:

 Ich arbeite morgens beim WLV und gehe abends vom Schreibtisch direkt gegenüber in die Leichtathletik-Halle in Stuttgart. Das sind ziemliche ideale Bedingungen.

Warum sind Sie Zehnkämpfer geworden?

René Stauß:

Da steckt der Reiz dahinter, in vielen Disziplinen gut zu sein. Man versucht Verschiedenes zu trainieren und möglichst alles zu können.

Und wie war es bei Siggi Wentz?

Siggi Wentz:

Als 14-Jähriger bin ich erstmals genau in diese Halle in Schwäbisch Gmünd gekommen, in der wir jetzt stehen. Ich bin über die Schüler-Hürden gelaufen, die ich mir viel höher vorgestellt hatte, und prompt bin ich auf die Nase gefallen. Ich habe dann fast alles ausprobiert, auch Hammerwerfen und Crosslauf. Dabei habe ich mich ausgetobt. Nach ein paar ersten Mehrkämpfen bin ich dann mit Freunden ins Trainingslager mitgefahren und so praktisch in den Zehnkampf hineingerutscht.

Manche sprechen derzeit von einer Renaissance im deutschen Zehnkampf. Sehen Sie das auch so?

Siggi Wentz:

Zunächst kann ich sagen, dass mein Herz natürlich immer noch am Zehnkampf hängt. Natürlich gab es immer schon solche Wellenbewegungen in der Szene. In den 60er-Jahren gab es mit Willi Holdorf, Kurt Bendlin, Hans-Joachim Walde große Zehnkämpfer. Dann war es eher ruhiger, bis in den 80er-Jahren mit Guido Kratschmer, Jürgen Hingsen und mir wieder viel los war. Dann kamen Frank Busemann und Paul Maier in den 90er-Jahren. Derzeit haben wir mit Arthur Abele, Kai Kazmirek, Michael Schrader, Rico Freimuth und Pascal Behrenbruch wieder eine starke Truppe die zeigt, dass Konkurrenz das Geschäft belebt.

Sie haben Anfang der 90er-Jahre das „Zehnkampf-Team“ mit gegründet, das bis heute existiert. Was war da der Hintergrund?

Siggi Wentz:

Ich war nie ein Freund des Verbandes und stand deshalb früh auf eigenen Beinen. In den Wendezeiten von 1990 habe ich unter anderem mit Christian Schenk das Zehnkampf-Team gegründet. Wir hatten die Idee, zwei Teams aus Ost und West zu vereinen und vor allem auch die Doping-Vergangenheit aufzuarbeiten. Wir wollten zudem etwas für die jungen Athleten tun. Nach wenigen Jahren hatten wir rund zwei Millionen Sponsorengelder akquiriert und diese in die jungen Zehnkämpfer gesteckt.

Ist Zehnkampf eigentlich mehr Last oder Lust?

Siggi Wentz:

Im Erfolg hat man die Schmerzen verdrängt, wenn‘s nicht so lief, tat eben alles weh. Ein bisschen verrückt muss man sicher sein, wenn man Zehnkämpfer werden will. Aber insgesamt gilt: entweder man hat‘s, oder man hat‘s nicht. Ich bin oft morgens als Erster im Stadion gewesen und habe abends als Letzter den Schlüssel am Tor umgedreht.

René Stauß:

Auch bei mir überwiegt die Lust am Zehnkampf klar. Die Last gibt es in Form von Verletzungen.

Sie hätten ja anstelle der Zehnkampflaufbahn Ihr Glück auch als Hochspringer mit einer Bestleistung von 2,18 Meter versuchen können…

René Stauß:

Ich habe meine Ziele aufgegeben, in Richtung 2,25 Meter zu kommen, da mir das einseitige Sprungtraining Verletzungsprobleme bereitet hat. Ich konnte nur noch mit Schmerztabletten trainieren, das kann es ja nicht sein.

Stichwort Tabletten und damit zur aktuellen Dopingdiskussion mit den Enthüllungen aus Russland. Ihre Bestleistung steht bei 7813 Punkten – könnten da nicht ein paar „spezielle“ Tabletten helfen, schnell über die 8.000 Punkte-Marke zu kommen?

René Stauß:

Ich möchte meine Bestleistungen ehrlich erbringen. Ich bin doch sehr geschockt, was da an die Öffentlichkeit gekommen ist. Ich glaube aber nicht, dass das Problem nur ein russisches ist.

Siggi Wentz:

Ich bin schockiert, wie Athleten als Marionetten fungiert haben.

Haben bzw. hatten Sie eigentlich ein Vorbild unter den Zehnkämpfern?

Siggi Wentz:

Nein.

René Stauß:

Ich habe nicht ein einzelnes Vorbild, aber ich bastle mir sozusagen mein Vorbild aus vielen Athleten zusammen. Der Weltrekordler Ashton Eaton, der Ex-Weltmeister Trey Hardee sind Vorbilder für mich, aber auch Arne Gabius ist für mich als Läufer ein Vorbild oder auch mein direkter Konkurrent Kai Kazmirek.

Sie kommen beide aus dem Bereich des Württembergischen Leichtathletik-Verbandes, der ja eine besondere Zehnkampftradition aufweist ….

Siggi Wentz:

... neben vielen Athleten hat sich in den 80er-Jahren Bernhausen als legendärer Ort für Zehnkämpfe entwickelt. Da wurden Wettkämpfe mit sehr viel Liebe fürs Detail organisiert. Wenn man als Athlet hingekommen ist, hat man gespürt, dass da was vorbereitet war. Und dann ging‘s einfach ab. (Anm: 1980 erzielte Guido Kratschmer mit 8.667 Punkten Weltrekord, Siggi Wentz erzielte 1983 mit 8.762 Punkten dort seine Bestleistung als Zweiter (!) hinter Jürgen Hingsen, der den Weltrekord auf 8.825 Punkte steigerte. Punkte nach neuer Wertung.)

Sie sind beide ein Beleg dafür, dass Leistungssport und Ausbildung bzw. Beruf durchaus vereinbar sind. Welche Ansprüche Ihrerseits stecken dahinter?

Siggi Wentz:

Für mich wäre nie Leichtathletik allein infrage gekommen. Zudem kann man in diesem Sport nicht viel verdienen. Und: Es gibt ein Leben nach dem Sport. Während des Studiums hat mir der Sport manchmal Probleme bereitet. Später hat mir schon mal ein Oberarzt angesichts meiner in der Leichtathletik erworbenen Zielstrebigkeit und Disziplin den Erfolg als Chefarzt einer Klinik zugetraut.

René Stauß:

Ich bin derselben Ansicht. Als Sportler hat man hohe Ziele, da ist die persönliche Einstellung wichtig, um beides zu bewerkstelligen. Da gilt für mich das Motto: „Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg“.

Welche Rolle spielt eigentlich der Trainer beim Zehnkampf?

Siggi Wentz:

(schaut lachend zu seinem früheren Trainer Fred Eberle hinüber) Mein Trainer hat sich besonders dadurch ausgezeichnet, dass er es so lange mit mir ausgehalten hat. Ich stelle mir den Trainerjob gerade im Zehnkampf sehr schwierig vor.

René Stauß:

Ein Trainer im Zehnkampf muss sehr vielseitig sein. Er muss in allen Bereichen – sportlich und menschlich – kompetent und ein Vorbild sein.

<link>Quelle: Leichtathletik - Ihre Fachzeitschrift

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