| Interview Innenminister

Thomas de Maizière: Olympische Bewegung „nicht unerheblich“ beschädigt

Bundesinnenminister Thomas de Maizière hat die olympische Bewegung ungewöhnlich hart kritisiert. Wegen der Doping-Debatte schwebe über den ersten Spielen in Südamerika eine „schwarze Wolke“, wie der CDU-Politiker im Interview mit dem Sport-Informations-Dienst (SID) erklärte.
SID/alex

Das Staatsdoping in Russland beschäftigt die ganze Welt. Der deutsche IOC-Präsident Thomas Bach wird hart für die Entscheidung der IOC-Exekutive kritisiert, die russischen Sportler in Rio nicht komplett auszuschließen oder sie zumindest unter neutraler Flagge starten zu lassen. Wie bewerten Sie den Fall?

Thomas de Maizière:

Der Fehler war, dass die Dinge zu spät angepackt wurden. Insoweit verstehe ich auch die Kritik. Hätte man das früher aufbereiten können, hätte der Sport die Kraft zur Selbstreinigung gehabt, und man wäre unter anderem nicht auf Journalisten angewiesen gewesen. Die Dinge wären früher auf den Tisch gekommen und man hätte in Ruhe entscheiden können, ob ein Ausschluss ganz Russlands geboten gewesen wäre. Ich hätte mir durchaus eine härtere Entscheidung vorstellen können. Ich verstehe aber auch die Argumente, dass es eine Unschuldsvermutung für die Sportler geben muss. Es gibt Sportarten, da spielt Doping nicht so eine große Rolle, und wir sehen außerdem auch, dass es bei anderen Nationen erstaunliche Leistungssteigerungen gibt. Deswegen sollte man das Thema nicht nur auf Russland reduzieren. Der wichtigste Punkt ist für mich jedoch, dass wir die Bekämpfung von Doping mit den Olympischen Spielen in Rio nicht beenden, sondern dass die bitteren Lektionen zu einer dauerhaften Aufklärung und möglicherweise strukturellen Veränderungen führen.

Es gab in den vergangenen Tagen auch neue Berichte über Versäumnisse im Anti-Doping-Kampf in Brasilien und Kenia. Welche Rolle spielen diese Fälle?

Thomas de Maizière:

Die schlechte Nachricht ist natürlich, dass so die gesamten Spiele in Misskredit geraten, zumindest in manchen Sportarten. Die gute Nachricht ist aber, dass jetzt sehr skeptisch beobachtet wird. Es gibt jetzt einen Druck auf Aufklärung wie selten zuvor, diesen Druck sollte man nutzen.

Wie sehr haben die Entscheidungen und Diskussionen der vergangenen Wochen die olympische Bewegung beschädigt?

Thomas de Maizière:

Nicht unerheblich. Wir haben natürlich die Diskussion gehabt, ob Olympische Spiele nicht zu groß und zu teuer sind. Wir haben auch die Diskussion, ob es genügend Nachnutzungskonzepte gibt. Ist ein Land wie Brasilien im Stande, so etwas durchzuführen? Diese Diskussionen sind üblich, die hatten wir in anderer Form beispielsweise auch in Peking oder bei der Fußball-WM. Hinterher hat sich meistens herausgestellt, dass es trotzdem großartige Spiele waren. Das deutet sich ja jetzt auch an, was Organisation und Stimmung angeht. Aber das Dopingthema liegt wie eine dunkle Wolke über den Olympischen Spielen. Das sollte genutzt werden, damit im Nachgang ein reinigendes Gewitter erfolgt.

Ist Thomas Bach noch der richtige Präsident für das Internationale Olympische Komitee?

Thomas de Maizière:

Natürlich. Er ist gewählt, er hat eine große Reformagenda angestoßen, und er möchte jetzt auch strukturelle Veränderungen im Anti-Doping-Kampf und bei der WADA. Alles das sind richtige und wichtige Vorschläge.

Claudia Pechstein hat Bach den Rücktritt nahegelegt, Robert Harting hat ihn als 'Teil des Dopingsystems' bezeichnet und generell hart attackiert. Haben Sie Verständnis für diese beiden Sportler, die zu den bekanntesten und erfolgreichsten Deutschlands gehören?

Thomas de Maizière:

Robert Harting kenne ich seit einigen Jahren sehr gut. Er ist ein selbstbewusster, erfolgreicher Sportler. Und ehrlich gesagt sind wir als Politiker es ja auch gewohnt, harte Kritik auszuhalten. Und ein Sportfunktionär muss das auch aushalten können.

Glauben Sie wie Thomas Bach auch, dass das Welt-Anti-Doping-System und die WADA komplett neu ausgerichtet werden müssen?

Thomas de Maizière:

Ich glaube, dass es jetzt nicht nur um die Sportverbände, die Sportpolitik und deren Einfluss geht, sondern darum, dass auch überlegt werden muss, wie der Kampf gegen Doping durch die Sportorganisationen verbessert werden kann - international, aber auch in einzelnen Ländern. Das ist sicher ein wichtiger Vorschlag.

In Rio de Janeiro wurden russische Sportler wie die überführte Doping-Sünderin Yuliya Jefimova von ihren Konkurrenten ausgegrenzt und verbal hart attackiert. Haben Sie Verständnis, dass Sportler nicht mehr mit und gegen Betrüger antreten wollen?

Thomas de Maizière:

Ja. Man muss sehen, dass so etwas in früheren Zeiten totgeschwiegen wurde. Sportler wussten früher schon, wen sie im Verdacht haben, sie taten aber so, als merkten sie es nicht. Sie wussten schon, wer sich verändert hat. Das ist jetzt vorbei. Das ist eine schwierige Phase, durch die der internationale Sport durch muss. Ein Reinigungsprozess ist immer mühsam, doch der findet jetzt statt.

Der Deutsche Olympische Sportbund wäre in Rio mit der London-Ausbeute von 44 Medaillen schon sehr zufrieden - Sie auch?

Thomas de Maizière:

Ich habe schon vor dem Beginn der Olympischen Spiele gesagt, dass ich keine Zielvorgabe mache, sondern dass ich mit Interesse höre, dass der Sport selbst eine macht. Sie bezieht sich auch nicht genau auf 44, sondern auf eine Größenordnung von London und Peking. Ich habe das unterstützt und will das nicht von außen kommentieren. Jeder Satz von mir würde dann gleich mit der Reform der Spitzensportförderung in Verbindung gebracht werden. Der DOSB und wir sind uns einig, dass wir das nicht in Verbindung bringen wollen. Wir wollen niemanden verunsichern, und die Reform soll auch erst nach den Olympischen Spielen auf die Schiene gesetzt werden. Deswegen will ich dazu während des laufenden Wettbewerbs nichts sagen. Wir wissen ja auch, dass Olympia Geschichten schreibt. Manchmal ist das Ausscheiden aufgrund einer Verletzung etwas, dass sich in die Herzen brennt - vielleicht mehr als ein erwarteter erster oder zweiter Platz. Manchmal hat man Glück oder Pech, ob es eine Bronzemedaille oder ein vierter Platz ist. Am Ende ruckelt sich das schon zurecht.

Sie haben das Thema Spitzensportreform bereits angerissen. Welche Auswirkungen hat das Rio-Ergebnis noch auf die Pläne, die das Bundesministerium des Inneren gerade mit dem DOSB verhandelt?

Thomas de Maizière:

Sicher keine kurzfristigen. Das, was wir jetzt beschließen wollen, hat sicher eine Umsetzungsperiode von zehn bis zwölf Jahren. Wenn wir jetzt bei der Erkennung und Förderung des Nachwuchses etwas ändern wollen, dann dauert es acht oder zwölf Jahre, bis sich das im olympischen Zyklus auswirkt. Aber natürlich werden wir sehen können, ob bestimmte Sportarten einen Weg in die richtige Richtung machen oder nicht. Deswegen wird das Ergebnis von Rio im internationalen Umfeld sicher Teil der Auswertung für die Spitzensportreform werden.

Am 21. September kommt es zur nächsten Sitzung mit dem DOSB. Glauben Sie, dass der Zeitplan eingehalten werden kann und die Reform wie geplant Mitte Oktober vorgestellt wird?

Thomas de Maizière:

Wir sind sehr weit vorangekommen. Es gibt viele Punkte, die schon gemeinsam sind, einige Punkte sind noch offen, etwa die Frage der wissenschaftlichen Begleitung. Aber das Grundkonzept steht. Ich rechne damit, dass wir im Zeitplan bleiben.

Wenn man noch weiter in die Zukunft schaut: Der DOSB überlegt, eine mögliche neue Olympiabewerbung in Angriff zu nehmen. Inwieweit halten Sie solche Gedankenspiele angesichts von drei gescheiterten Bewerbungen in den vergangenen fünf Jahren und der Krise der olympischen Bewegung für sinnvoll?

Thomas de Maizière:

Was soll ich in einem Interview dazu sagen? Wenn ich sagen würde, dass ich mir eine Bewerbung vorstellen kann, dann macht der Sport-Informations-Dienst eine Meldung: 'Innenminister denkt über neue Olympia-Bewerbung nach'. Das wäre jetzt falsch. Wenn ich sagen würde, dass wir uns nach den Erfahrungen nie und nimmer für Olympische Spiele bewerben sollten, dann folgt: 'Minister schließt Zukunft mit Olympia aus'. Beides wäre falsch. Ich finde es richtig, dass wir jetzt mal ein bisschen Gras über die Dinge wachsen lassen. Und wenn wir dann neu überlegen, dann sollten wir es alle gemeinsam tun. Und anders, als es bisher der Fall war.

Dafür gibt es aber keinen Zeitplan?

Thomas de Maizière:

Nein. Ich rate auch davon ab, dass wir dafür Zeitpläne aufstellen. Die Ablehnung hat natürlich auch mit der Frage zu tun, ob so etwas noch zeitgemäß ist. Es hat auch etwas mit einer gewissen Grundskepsis der Bevölkerung in Deutschland gegen Großprojekte zu tun. Auch mit schlechten Erfahrungen, dass Kosten nicht eingehalten werden und dass sich die Dinge verzögern. All das müssen wir etwas grundsätzlicher diskutieren. Erst dann kann auch Olympia in Deutschland wieder auf die Tagesordnung kommen."

Quelle: Sport-Informations-Dienst (SID)

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