| Olympiasieger im Interview

Thomas Röhler: „100 Meter sind nicht die Grenze“

Olympiasieger. Mit persönlicher Bestleistung von 91,28 Metern die Nummer eins in der Welt. Thomas Röhler vom LC Jena ist unbestritten der weltweit beste Speerwerfer des Jahres. Im Interview mit leichtathletik.de verrät der 25-Jährige, wie er nach den Europameisterschaften in Amsterdam, wo er durch eine Verletzung gehandicapt nur Fünfter wurde, vor dem Fernseher wieder in Olympia-Form gekommen ist. Und erklärt, warum auch die 100 Meter für ihn nicht die Grenze seiner Leistungsfähigkeit darstellen.
Christian Ermert

Thomas Röhler, zuletzt haben wir Sie nicht mit dem Speer in Aktion erlebt, sondern als Sie zusammen mit Filmstar Matthias Schweighöfer und 700 Läufern aus dem Nike Run Club übers Tempelhofer Feld in Berlin gelaufen sind. Ganz so schnell wie der Schauspieler, der immerhin fünf Kilometer deutlich unter 25 Minuten geschafft hat, waren Sie allerdings nicht …

Thomas Röhler:

… ich laufe ja auch als Speerwerfer nicht viel. Klassische Laufeinheiten, um die Ausdauer zu verbessern, gibt es bei mir kaum. Dazu setzen wir eher Spiele ein. Ich nutze längeres Laufen fast nur als eins von mehreren Mitteln um kleinere Schwierigkeiten – wie beispielsweise verhärtete Rückenmuskeln – schnell wieder in den Griff zu bekommen.

Sie kommen grade aus der Saisonpause. Heißt Pause für Sie gar kein Sport? Oder geht’s ohne Bewegung nie?

Thomas Röhler:

Ich pflege weiter einen aktiven Lebensstil, fahre zum Beispiel viel Mountainbike, das kann ich in der Saison nicht machen. Ich nutze das Fahrrad als Verkehrsmittel, gehe damit aber auch auf die Trails rund um Jena.

Sie wirken auch als Olympiasieger komplett geerdet. Hat die Goldmedaille von Rio Ihr Leben gar nicht verändert?

Thomas Röhler:

Es ist mehr los. Ich habe mehr Termine, mehr Anfragen, aber insgesamt ist das positiver Stress. Ich besuche viele Schulen, bin für das Projekt „Bewegte Schule“ aktiv, bei dem es darum geht, Schulen durch eine kind-, lehrer- und lerngerechte Rhythmisierung des Unterrichts zu verändern. Durch bewegte Pausen, durch bewegte und beteiligende Organisationsstrukturen, durch Öffnung der Schule nach außen, durch vernetztes Denken. Dabei stehe ich den Kindern dann für eine Fragerunde zur Verfügung und mache auch schon mal Sport mit ihnen.

Und wie beliebt ist die Leichtathletik bei den Schülern?

Thomas Röhler:

In der Schule hat unser Sport einen größeren Stellenwert als später im Leben. Die Leichtathletik bringt die Grundarten der Bewegung in eine messbare Form. Und deshalb ist sie sehr wichtig für den Sport-Unterricht. Eigentlich müssten sich die Kinder wundern, dass sie in der Schule so viel Leichtathletik machen, dann aber doch recht wenig Leichtathletik im TV sehen.

Sie mussten vor Ihrem Triumph in Rio einen großen Rückschlag verkraften, als Sie mit einer Saison-Bestleistung von 91,28 Metern nach Amsterdam gereist sind und als EM-Fünfter mit nur 80,78 Metern wieder nach Hause fuhren. Wie haben Sie es geschafft, das so schnell wegzustecken, dass Ihnen nur sechs Wochen später in Rio mit 90,30 Metern der ganz große Wurf gelang?

Thomas Röhler:

Einfach „wegstecken“ konnte ich das nicht. Dafür war die Verletzung zu schwer, die in Amsterdam eine bessere Leistung verhindert hat. Es war ein Muskelbündelriss am Rücken, der seine Zeit brauchte um auszuheilen. Ich habe zwischen Amsterdam und Rio fast das gesamte Techniktraining absolviert, indem ich mir Videos vom Speerwerfen angeschaut habe. Ich konnte ja die gesamte von der Verletzung betroffene Körperseite nicht zum Speerwerfen einsetzen. Das nennen wir „ideomotorisches Training“, dabei passiert alles mental.

Und das hat funktioniert, wie das Resultat von Rio zeigt.

Thomas Röhler:

So ein Training funktioniert nicht von einem auf den anderen Moment. Man muss es über einen längeren Zeitraum üben. Es geht dabei darum, dass man die Bilder von gelungenen Würfen von sich selbst, aber auch von anderen Werfern, sieht und gleichzeitig die richtigen Nervenimpulse vom Gehirn zu den entsprechenden Muskeln gesendet werden – aber ohne dass dies in Bewegung umgesetzt wird. Ich nutze diese Form von Training regelmäßig seit Jahren. Mein Körper kennt das und wir haben es in der Verletzungs-Phase intensiviert.

So blieb Ihre Technik stabil, ein Kraftwerfer sind Sie ja eher nicht …

Thomas Röhler:

… der Speer wiegt ja nur 800 Gramm. Da musst du explosiv sein, und nicht extrem viel Kraft haben. Klar, eine gewisse Grundstärke braucht man auch, um den leichten Speer zu beschleunigen, aber die kann in jeder Größe von Muskel stecken. Massiv aussehen muss das jedenfalls nicht.

Gibt es jetzt schon Pläne für 2017?

Thomas Röhler:

Es kribbelt schon wieder. Ich freue mich schon auf die WM in London, aber erst mal aufs Training, gar nicht sehr aufs Speerwurf-Training, sondern auf all‘ das, was mich zuletzt so stabil gemacht hat und was im Herbst und Winter im Mittelpunkt steht: Turnen, Slackline, alle möglichen Sprungübungen. Da habe ich Lust drauf und das soll mich noch mal ein Stück besser machen.

Viel Luft nach oben bleibt aber nicht mehr. Immerhin sind Sie mit 91,28 Metern schon der zweitbeste Deutsche mit dem aktuellen Speermodell und zum 21 Jahre alten deutschen Rekord von Raymond Hecht (92,60 m) fehlt nicht mehr viel.

Thomas Röhler:

Der deutsche Rekord ist die nächste Etappe, die ich im Kopf habe. Der ist nicht so weit weg. Da geht was.

Denken Sie auch schon mal an die 100 Meter, die Uwe Hohn vor über 30 Jahren um 4,80 Meter mit dem alten Speer übertroffen hatte?

Thomas Röhler:

Da muss ich meinen Trainer [Anm. d. Red.: Harro Schwuchow] zitieren, der immer betont, dass es nur physikalische Grenzen gibt. Und die liegen für den Speerwurf nicht unter 100 Metern. Wenn ich im Training zu der Erkenntnis komme, dass 100 Meter nun wirklich nicht gehen, hebt er mahnend den Zeigefinger und sagt: „Lass das mal ruhig offen im Kopf.“ In Rio bin ich schon so rangegangen, dass ich mir gesagt habe: „Du kannst 100 Meter weit werfen.“ Wenn es dann nur 90 werden, ist es ja gar nicht schlimm. Und so beschränke ich mich mental nicht.

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