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Trainer im Fokus - Tamas Kiss

Sie stehen hinter den Erfolgen der deutschen Topathleten, feilen mit ihnen an ihren Leistungen, jubeln und leiden mit ihren Schützlingen - und bleiben doch meist im Hintergrund. leichtathletik.de widmet sich in einer neuen Serie den Trainerinnen und Trainern in der deutschen Leichtathletik. Heute: Dreisprung-Bundestrainer Tamas Kiss.
Pamela Ruprecht

„Unsere Gruppe wird, glaube ich, oft von anderen Athleten beneidet, weil wir uns so gut verstehen“, sagt Hochspringerin Marie-Laurence Jungfleisch (LAV Stadtwerke Tübingen) über das Heimtraining bei Tamas Kiss am Olympiastützpunkt in Stuttgart. Seit September 2010 wird die 23-Jährige vom Dreisprung-Bundestrainer gecoacht.
 
Nicht nur für die WM-Finalistin ist die Gruppe wie eine zweite Heimat, mit der man viel Zeit verbringt, auch für Tamas Kiss. „Ich bin vollblütiger, leidenschaftlicher Trainer und habe sehr gute menschliche Kontakte zu meinen Athleten. Ich fühle mich sehr wohl in dieser Leichtathletikfamilie.“ Trainer und Athleten duzen sich. Die Basis für eine erfolgreiche Zusammenarbeit ist gegeben.

Mehr als ein Trainer

„Er ist für mich eine Person, der ich sehr vertrauen kann. Das ist wichtig für mich“, sagt Marie-Laurence-Jungfleisch über ihren Trainer. „Auf jeden Fall humorvoll und viel Verständnis“, beschreibt sie ihn weiter. „Er kann sich gut in Personen hineinversetzen und ist einfühlsam.“

Tamas Kiss legt viel Wert darauf, dass seine Athleten Training und Studium oder Ausbildung miteinander koppeln. „Die Infrastruktur muss stimmen, um die sportlichen Ziele erreichen zu können.“ Er sieht es auch als seine Aufgabe, die Athleten im Leben außerhalb des Sports zu unterstützen.

Erster Job in Nyiregyhaza

„Es ist nicht einfach den Hochleistungssport mit dem Alltagsleben zusammenzubringen. Ich brauche sehr viel Toleranz von allen Seiten“, sagt der Bundestrainer über seinen Beruf. Seine Frau, die selbst Leichtathletin war, und als Sportlehrerin arbeitet und seine zwei Töchter, 18 und 20 Jahre alt, stehen hinter ihm. Die vielen Abwesenheitsstunden habe er so erwartet, als er sich für den Beruf entschied.

„Ich wollte schon immer Trainer werden. Das war schon immer mein Wunschberuf.“ Bereits sein Vater war Trainer gewesen, Landestrainer für Mittel- und Langstreckenläufer in Ungarn. Tamas Kiss ist in Györ geboren und aufgewachsen, eine große Stadt zwischen Wien und Budapest. Sein Sportstudium zum Diplom-Trainer hat der 57-Jährige 1975 bis 1980 in Budapest absolviert. Anders als in Deutschland war das Studium sehr spezialisiert. „Wir haben vier Semester nur Sprungdisziplinen studiert.“  

Seit 1979 arbeitet Tamas Kiss als Trainer. Seine erste Tätigkeit hat er im ostungarischen Nyiregyhaza ausgeübt – in einem Club, der sehr leichtathletikorientiert war. Dort fand 1995 die U20-EM statt. Von Anfang an ambitioniert, gab es für ihn nur einen Weg: „Ich bin seit der ersten Minute nach meinem Studium hauptamtlicher Trainer.“ Ein Zweitstudium auf Lehramt für Sport und Russisch folgte 1983 bis 1987 nebenberuflich.

Wie er zu seiner Liebe fand

Als Sportler war Tamas Kiss früher im Hochsprung und Zehnkampf aktiv. Er sei dabei nur „Mittelklasse, also nichts Besonderes“ gewesen. Die Erfolge, die er als Athlet selber nicht erreichen konnte, wollte er bald als Coach anvisieren. „Ich bin ich so schnell Trainer geworden, da meine Ansprüche als Athlet höher waren, mein Talent aber eingeschränkt.“

In den 80er Jahren war es soweit: Tamas Kiss trainierte zunächst als Assistent den erfolgreichen, ungarischen Dreispringer Béla Bakosi, der 1980 Europameister in Sindelfingen wurde. 1984 übernahm er den Athleten ganz und führte ihn1988 zum Vize-Europameister-Titel in der Halle von Budapest. Bakosi war über zehn Jahre europäische Spitze, disziplinbestimmend und holte viele internationale Medaillen. „Mit ihm hat die Liebe zum Hochleistungssport angefangen. Das ist eine glückliche Situation, dass meine große Liebe auch mein Beruf ist.“

In Friedrichshafen gelandet

Nach Deutschland kam der Sprung-Trainer im Jahr 1992. Ursprünglich wollte sich Tamas Kiss nur ein bisschen in der deutschen Trainerszene umschauen – ein langfristiger Aufenthalt war nicht geplant. Doch in Friedrichshafen wurde gerade eine Trainerstelle angeboten, die er als Vereinstrainer antrat und bis zum Jahrtausendwechsel blieb.

Anschließend war er zwei Jahre als Cheftrainer von Salamander Kornwestheim engagiert, bevor er 2003 Landestrainer von Baden-Württemberg für die Sprungdisziplinen wurde. Einer seiner größten Erfolge dieser Zeit: Sein Schützling Peter Rapp (LAV Stadtwerke Tübingen) holte sich im Weitsprung zweimal den Deutschen Hallenmeister-Titel und erreichte eine Bestweite von 8,10 Meter.

Am Bundesstützpunkt in Stuttgart ist Tamas Kiss zuständig für den Dreisprung und Trainer einer gemischten Disziplingruppe. Neben Marie-Laurence Jungfleisch betreut er als Heimtrainer Dreispringer Matthias Uhrig - der Deutsche Hallenmeister von 2013 ist nach Problemen mit der Patellasehne und einer Operation im August wieder im Aufwind, Weitspringerin Lisa Steinkamp (beide LAV Stadtwerke Tübingen) - die Deutsche Hallenmeisterin von 2013, und aus dem Jugendbereich die Dreispringerin und Deutsche U18-Meisterin Isabella Marten (Stuttgarter Kickers).

Sein Weitspringer Fabian Heinle ist dabei, nach seiner Verletzung zurückzukommen. Der Sindelfinger musste sich nach einem Kreuzbandriss im Januar einer Knieoperation unterziehen. Tamas Kiss hofft, dass er spätestens nächste Saison wieder sein altes Niveau erreicht. Letztes Jahr führte er mit 7,91 Meter lange die Europäische Bestenliste der U-20 an.

Die Koordination über die drei Disziplinen geht auf. „Es gibt viele Teilelemente, die ähnlich sind.“ Das Techniktraining läuft separat, was sich über versetzte Trainingsanfänge regeln lässt.

Erste Früchte im Dreisprung

Seit 2012 ist Tamas Kiss Dreisprung-Bundestrainer. Er bildet mit dem deutschen Rekordhalter Ralf Jaros und Ex-Weltmeister Charles Friedek, die für die weibliche und männliche Nachwuchsarbeit verantwortlich sind, ein kompetentes Team. Durch engen Kontakt soll die Disziplin entwickelt werden. Sein Ziel ist es, den Dreisprung auf das Niveau zu bringen, wo er früher in Deutschland war.

Mit dem Sprungcup wurde ein neues Talentsichtungssystem ins Leben gerufen. „Wir wollen nicht mehr nur die Athleten bekommen, die von anderen Disziplinen ausgemustert werden.“ Die Bronze-Medaille von Dimitri Antonov (LAC Quelle Fürth) bei der U18-WM in Dontesk (Ukraine) und die Endkampfplatzierungen von Max Hess (LAC Erdgas Chemnitz) und Isabella Marten sind Bestätigung des langfristigen Konzeptes. „Wir haben schon kleine Zeichen, dass es aufwärts geht.“

Kurzfristig will Tamas Kiss die Dreispringerinnen, Katja Demut (LC Jena), Kristin Gierisch (LAC Erdgas Chemnitz) und Jenny Elbe (SC Dresden) weiter an die europäischen Spitze bringen. „Die erste Frucht der Arbeit war der siebte Platz von Jenny Elbe bei der Europameisterschaft in Göteburg.“ Ziel ist es, die drei Athletinnen zur EM nach Zürich (Schweiz; 12. bis 17. August) zu führen und eine gute Endkampf-Platzierung zu erreichen, um auf die Randdisziplin mehr aufmerksam zu machen. Bei den Männern gibt es noch Nachholbedarf. Doch der aktuelle Deutsche Hallenmeister Andreas Pohle (ASV Erfurt) sei immer für Überraschungen gut, auch stark Manuel Ziegler (LG Telis Finanz Regensburg).

Klare Ansagen

Zusammengefasst lautet das Projekt von Tamas Kiss: „Die Athleten des Bundeskaders und der Trainingsgruppe so weiterzuentwickeln, dass alle Seiten der Leichtathletik-Freunde zufrieden sind.“ Die beste Motivation für seine Athleten sieht er darin, klare Ziele zu formulieren und diese realistisch anzugehen. „Mit Marie-Laurence arbeite ich daran, dass sie bis oder in Rio die zwei Meter schafft und dann lassen wir uns überraschen, wofür das ausreicht.“

Im Wettkampf gibt Tamas Kiss der Deutschen Hallenmeisterin sehr viel Kraft und Sicherheit. Vor dem dritten Versuch einer entscheidenden Höhe beruhigt er sie und weist sie dezent auf Fehler hin. „Er gibt mir nur kleine technische Tipps, nicht zu viele, sonst komme ich total durcheinander“. Wenn es an der Leistung hakt, wird viel geredet. „Wir schauen dann, woran es gelegen hat und wie man das schnell wieder biegen kann. Das baut mich auf.“ Die nächste Chance hat sie schon beim nächsten Wettkampf.

Er ist niemand, der Dinge schön redet, wenn es schlecht läuft. Ehrlichkeit sei laut Jungfleisch eine wertvolle Eigenschaft von Tamas Kiss - auch, was seine eigenen Aktivitäten betrifft. „Ich würde jetzt lügen, wenn ich sagen würde, dass ich regelmäßig Sport treibe.“ Die Zeit reicht nur für sporadische, intensive Spaziergänge und gelegentliches Jogging. Den Rest überlässt der Bundestrainer seinen talentierten Springern.

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