| Berlin 2008 - Berlin 2018

Unsere Zeitreise mit... Gesa Krause: Trainer Wolfgang Heinig erinnert sich

Steigen Sie ein und schnallen Sie sich an. Wir nehmen Sie mit auf eine Zeitreise. Eine Reise, die im Sommer 2008 bei den Deutschen Jugend-Meisterschaften im Berliner Olympiastadion beginnt. Eine Reise, die im Sommer 2018 bei den Europameisterschaften im Berliner Olympiastadion ihren Höhepunkt finden soll. Berlin 2008 – Berlin 2018. Gestern und Heute. Now and then. In dieser Woche ist Ihre Reiseleiterin: Gesa Felicitas Krause. Heute übernimmt jedoch ihr langjähriger Trainer Wolfgang Heinig.
Alexandra Dersch

Gesa Felicitas Krause ist das Gesicht des deutschen Hindernislaufens, für manche gar schon das weibliche Gesicht der deutschen Leichtathletik. Die 25-Jährige, die für den Silvesterlauf Trier startet, wurde mit 15 Jahren bei der Jugend-DM im Berliner Olympiastadion Deutsche Meisterin über 1.500 Meter. Heute, zehn Jahre später, hält sie den deutschen Rekord über 3.000 Meter Hindernis, ist Europameisterin und WM-Dritte über diese Strecke.

Derjenige, der die letzten zehn Jahre ganz eng an ihrer Seite war, der ihren Weg maßgeblich mitgestaltet hat, ist Wolfgang Heinig. Im Interview blickt der Erfolgstrainer zurück auf die letzten zehn Jahre, zeichnet das Bild eines jungen Mädchens mit starkem Willen hin zu einer beeindruckenden jungen Frau nach und macht doch deutlich: Trotz aller bisherigen Erfolge, es sind noch Träume offen.

Wolfgang Heinig, kurz nach der Jugend-DM 2008 im Berliner Olympiastadion kam Gesa Felicitas Krause als damals 15-jährige in Ihre Trainingsgruppe nach Frankfurt. Was war das für ein Mädchen, das Sie damals kennenlernten?

Wolfgang Heinig:
Ich habe Gesa und ihre Eltern vor der Jugend-DM in Berlin kennengelernt. Damals war sie noch in ihrem Heimatverein in Dillenburg. Sie war ein Mädchen mit großem Potenzial, das war damals schon klar. Weiter nach vorne würde es aber nur mit umfangreichem Grundlagentraining und mit einem Wechsel hier nach Frankfurt an die Sport-Eliteschule gehen, das habe ich ihr und ihren Eltern damals gesagt. Schon im September war sie dann da. Es war anfangs keine einfache Zeit für sie, das ist völlig klar. Das Internatsleben, weg von zuhause, sie war ja noch ein junges Mädchen. Aber sie hatte von ihren Eltern die besten Voraussetzungen mitbekommen. Sie war nie das kleine Mädchen vom Dorf, das ich an die Hand hätte nehmen müssen, sondern ist von ihren Eltern zu Selbstständigkeit und Charakterstärke erzogen worden. Davon wird sie ihr Leben lang profitieren.

Die sportliche Entwicklung seitdem ist anhand ihrer Zeiten und Medaillen messbar. Aber wie hat sich Gesa Krause als Mensch in dieser Zeit verändert?

Wolfgang Heinig:
Gesa stand schon immer voll im Leben. Schon damals hatte sie einen starken Charakter, eine tolle Persönlichkeit. Ich erinnere mich noch an eine Situation 2011, sie hatte die Möglichkeit beim Diamond League Meeting in London zu starten, ich konnte sie aber nicht begleiten. Da ist sie einfach alleine gereist und ist mit der WM-Norm wieder zurückgekehrt. Mit 18 Jahren. Das fand ich schon beachtlich. Gesa kommt einfach sofort überall klar, hat keine Angst, spricht gutes Englisch, was ihr natürlich in der internationalen Leichtathletik-Welt sehr hilft. Ihre Persönlichkeit ist auch das, was die Öffentlichkeit inzwischen wahr nimmt. Sie wird ja nicht mehr nur als Läuferin gesehen, sondern in ihrem Gesamtbild. Das liegt einfach daran, dass sie seriös und ehrlich ist – das kommt an. Sehen Sie nur die WM im letzten Jahr, als sie gestürzt ist, ohne Medaille nach Hause fahren musste. Das war sportlich ein Tiefpunkt. Ich hätte nie gedacht, welche Öffentlichkeit aber dieser Sturz und ihr vorbildhaftes Verhalten danach bewirken würde. Das zeigt deutlich ihr Ansehen in der Gesellschaft und dass es sich lohnt, sportlich so konsequent zu sein, wie sie. Gesa hat die Fähigkeiten, den Intellekt und die Persönlichkeit, die es braucht, um ganz vorne zu sein. Es macht Spaß, mit ihr zu arbeiten. Deshalb habe ich ihr inzwischen auch das Du angeboten. Wir haben inzwischen so ein enges Vertrauensverhältnis, dass es an der Zeit war.

Eben weil Sie sie so gut kennen, wie vielleicht kein Zweiter, zumindest von der sportlichen Seite her, kennen Sie sicher auch ihre Schwächen. Früher und auch heute. Verraten Sie uns die?

Wolfgang Heinig:
Früher waren ihre Schwächen eher altersbedingt. Da hat sie einfach den Trainingsplan abgearbeitet, ohne ihn zu hinterfragen. Jetzt unterhalten wir uns darüber, sie versteht, dass es um Langfristigkeit geht, das funktioniert mit jungen Athleten natürlich noch nicht. Gesa macht sich Gedanken um ihre Zukunft, um die der Gesellschaft, und darüber unterhalten wir uns inzwischen auch intensiv. Sie mit ihrem jugendlichen Elan, ich mit meiner Erfahrung – auch das hat sich entwickelt und spricht für ihren Intellekt. Wenn wir von aktuellen Schwächen reden, dann ist es ihre Unzufriedenheit, wenn etwas nicht nach Plan läuft, oder, sagen wir, nicht so schnell geht, wie sie es gerne hätte. Im Rennen selber kann sie dagegen sehr geduldig sein, das ist da sogar eine ihrer Stärken.

Seit zehn Jahren sind Sie beide nun ein Team. Gibt es einen Moment für Sie, der besonders einschneidend war?

Wolfgang Heinig:
Was den sportlichen Erfolg angeht, da gibt es viele schöne Momente: Ihre Jugend-Titel, ihre Medaillen bei den Aktiven. Aber am meisten hat mich die Phase nach der WM im letzten Jahr beeindruckt. Sie erinnern sich, Gesa war im Finale über 3.000 Meter Hindernis ohne Eigenverschulden gestürzt, der Traum von der Medaille war jäh zerplatzt. Wir sind von der WM direkt weiter ins Trainingslager gefahren. Und da standen wir nun, ich mit einer Athletin, die trotz ihrer überragender Form ihre sportlich größte Enttäuschung verkraften musste. Das war eine ganz kritische Phase. Aber wie Gesa diese schwierige Phase gemeistert hat, das war für mich sehr beeindruckend. Nach diesem sportlichen und emotionalen Tief ist sie beim ISTAF deutschen Rekord gelaufen. 9:11,85 Minuten – das alleine ist schon eine starke Leistung. Mit dieser Vorgeschichte ist für mich diese Zeit aber noch unendlich viel mehr wert. Wir werden uns niemals die Frage beantworten können, was damals in London im Finale möglich gewesen wäre, damit werden wir leben müssen. Aber sich so aufzubäumen, sich so aus diesem Tief herauszukämpfen, das hat mich bewegt und war der kritischste, aber zugleich auch schönste Moment unserer bisherigen Zusammenarbeit.

Was könnte Ihre gemeinsame Reise denn noch krönen?

Wolfgang Heinig:
Ich habe mit meiner Frau Kathrin bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen eine Medaille gewonnen. Mit Gesa fehlt noch etwas. Die Medaille bei Olympia – das ist unser gemeinsames, unser großes Ziel auf lange Sicht. In diesem Jahr wollen aber zunächst bei der EM den Sieg, auch wenn die Konkurrenz stark sein wird, keine Frage. Aber Gesa bringt das Gesamtpaket mit.

Auszug aus den Erfolgen in den letzten zehn Jahre in der Karriere von Gesa Krause:

2008 Deutsche Jugend-Meisterin (1.500 Meter Hindernis)
2009 Siebte U18-WM 2009 (2.000 Meter Hindernis), Deutsche Jugend-Meisterin (1.500 Meter)
2010 Vierte U20-WM 2010 (3.000 Meter Hindernis) mit deutschem U20-Rekord, Deutsche Jugend-Meisterin (2.000 Meter Hindernis) mit nationalem Jugendrekord
2011 WM-Sechste 2011 (3.000 Meter Hindernis), U20-Europameisterin 2011, Jugend-Leichtathletin des Jahres
2012 EM-Dritte 2012, Olympia-Siebte 2012
2013 U23-Europameisterin 2013, Neunte der WM 2013
2014 EM-Fünfte 2014
2015 WM-Dritte 2015, Fünfte Hallen-EM 2015 (1.500 m), Deutsche Meisterin (3.000 Meter Hindernis), Deutsche Hallenmeisterin 2015 (5.000 Meter), Leichtathletin des Jahres
2016 Europameisterin, Sechste der Olympischen Spiele, Deutsche Meisterin (alles 3.000 Meter Hindernis), Leichtathletin des Jahres
2017 Neunte der WM 2017 (3.000 Meter Hindernis), Deutsche Meisterin (3.000 Meter Hindernis und 5.000 Meter), Leichtathletin des Jahres, auf dem Deutschen Sportpresseball als „Sportler mit Herz“ geehrt und mit dem Pegasos-Preis ausgezeichnet, erste DLV-Ehrenschild-Preisträgerin
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