| Mein Moment 2014

Von einer genialen Idee und Bronze für ein Staffel-Sextett

Es ist der letzte Wettbewerb mit deutscher Beteiligung am Finaltag der U20-WM in Eugene (USA). In einem packenden Finale über 4x400 Meter holen die deutschen Athletinnen die Bronzemedaille. Das Rennen habe ich nur am Bildschirm in der Mixed Zone verfolgt. Aber beim anschließenden Jubel war ich live dabei – und mächtig beeindruckt vom Teamgeist aller sechs beteiligten Athletinnen sowie einer mutigen Entscheidung von Trainer Andi Knauer.
Silke Morrissey

Fast hätte ich den krönenden Abschluss der deutschen Athleten bei der U20-WM verpasst. Ich war im Gespräch mit Speerwerfer Jonas Bonewit (LG Stadtwerke München), der kurz zuvor im sechsten Versuch die Bronzemedaille verloren hatte und dementsprechend geknickt in der Mixed Zone stand. Plötzlich deutete er auf den Fernseh-Bildschirm, auf dem das Finale über 4x400 Meter der weiblichen Jugend lief.

Schlussläuferin Ann-Kathrin Kopf (TSV Otterndorf) kämpfte auf der Zielgeraden wie eine Löwin um Edelmetall, hielt dem Angriff der Konkurrenz statt und sicherte dem Team die Bronzemedaille. Bronze? Wirklich? Ehrlich gesagt konnte ich meinen Augen kaum trauen, und das gleich aus mehreren Gründen.

Die deutsche Staffel hatte sich nur als Achtplatzierte gerade so für das Finale qualifiziert. Zwar fehlte im Vorlauf die WM-Vierte Laura Müller (LSG Saarbrücken-Sulzbachtal) – aber von acht auf drei? Das war schon ein starkes Stück! Und dann jubelte da im Innenraum eine Athletin, die vermutlich nicht nur ich dort nicht erwartet hatte: 400-Meter-Hürden-Halbfinalistin Laura Gläsner (SV Germania Helmstorf). Was war denn da passiert? Zeit, die Mixed Zone zu verlassen und das herauszufinden!

Spalier für die Bronze-Staffel

Am Eingang zum Stadion bot sich mir ein Bild, das ich so schnell nicht vergessen werde. Da hatte sich gefühlt das halbe DLV-Team mit wehenden Fahnen im Spalier positioniert, um die deutschen Läuferinnen zu empfangen – und mittendrin Noelya Schonig (SCC Berlin) und Eleni Frommann (LC Jena), die im Vorlauf zum Einsatz gekommen waren.

Beide hielten sich im Arm und warteten, bis Laura Müller, Hannah Mergenthaler (MTG Mannheim), Laura Gläsner und Ann-Kathrin Kopf nach ihrer Ehrenrunde das Stadion verließen. Sie waren sichtlich hin und her gerissen zwischen unbändigem Jubel über die unerwartete Medaille und der Enttäuschung, nicht selbst im Einsatz gewesen zu sein. Sobald aber die Mitstreiterinnen aus dem Innenraum kamen, wischten sie sich die Tränen aus den Augenwinkeln und alle Sechs fielen sich im Kollektiv in die Arme.

Gläsner für Frommann

Einer wird sich über diese Szene wohl am meisten gefreut haben: Disziplintrainer Andi Knauer. Denn er hatte kurz vor dem Rennen die schwere Entscheidung darüber zu fällen, wen er an den Start schicken sollte.

Eleni Frommann, eigentlich eingeplant, machte eine Verletzung zu schaffen. Konnte er es verantworten, die 17-Jährige innerhalb von 25 Stunden zweimal auf die Stadionrunde zu schicken und damit in das erst dritte 400-Meter-Rennen ihrer Karriere? Oder würde Noelya Schonig ihre Rolle ausfüllen können, obwohl sie nur für den Vorlauf eingeplant gewesen war und ebenfalls kaum Zeit gehabt hatte, sich zu erholen?

Diese Fragen werden ihm wohl durch den Kopf gegangen sein. Schließlich entschied sich Andi Knauer nicht für Plan A oder B – sondern für Plan C: Laura Gläsner, eigentlich nur zum lockeren Training auf dem Aufwärmplatz, sollte nach Vorlauf und Halbfinale über 400 Meter Hürden unerwartet zu ihrem dritten Rennen bei der U20-WM kommen. Ein Schachzug, der am Ende Bronze wert war. Und der selbst Lob fand von denen, die zusehen mussten. „Es war die richtige Entscheidung“, sagte Eleni Frommann.

Medaillenübergabe am Flughafen

Weitere Tränen flossen während der Medaillenzeremonie im Hayward Field von Eugene. Während vier der Staffelläuferinnen auf dem Podest Platz nehmen durften und dort die Medaillen um den Hals gehängt bekamen, mussten zwei von ihnen die Zeremonie auf der Stadion-Leinwand verfolgen. Immerhin: Auch für sie gab es eine Medaille, allerdings erst am Flughafen von Seattle vor dem Abflug in die Heimat.

Eine Geste bei den Deutschen Jugend-Meisterschaften in Wattenscheid setzte schließlich einen schönen Schlusspunkt unter die Geschichte. Vor der jubelnden Haupttribüne des Lohrheide-Stadions waren Noelya Schonig, Eleni Frommann, Laura Müller, Hannah Mergenthaler, Laura Gläsner und Ann-Kathrin Kopf eingeladen, die Urkunden für ihren Erfolg in Eugene entgegenzunehmen - und durften alle gemeinsam aufs Treppchen.

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