| Erinnerungen

Mein Moment – Einer für Alle. Alle für Arthur.

Das Leichtathletik-Jahr 2022 mit der WM in Eugene (USA) und der Heim-EM in München ist fast Geschichte. Wir haben in den letzten zwölf Monaten von zahlreichen nationalen und internationalen Meisterschaften in Text, Bild und Video berichtet. Zum Jahresende erinnert sich die leichtathletik.de-Redaktion in persönlichen Rückblicken an besondere Momente der Saison. Heute: Ein Solo für den König.
Silke Bernhart

Nach diesen zwei Tagen, die wie im Rausch vergingen, waren sich alle einig: Ganz genau so hatte es kommen müssen. So und nicht anders. Über Jahre hatte sich dieser Höhepunkt angebahnt. Vorbereitet im Stillen, flankiert von Rückschlägen, von Schmerzen, von Zweifeln, von Ratlosigkeit. Aber das eine große Ziel vor Augen, war Aufgeben keine Option. Und am Ende wurde es sogar noch so viel besser, als man es sich hätte erträumen können.

Ich schreibe über den Zehnkampf der EM in München. Bei dem sich mit Niklas Kaul (USC Mainz) ein weiterer deutscher Athlet hochverdient die kontinentale Krone aufsetzte. Auch diese Geschichte: ein magischer Moment. Aber meine Erinnerungen gelten Arthur Abele (SSV Ulm 1846). Ein wohl allerletztes Mal nach Tausenden von Zeilen schreibe ich heute über ihn.

Leben und Leiden mit Arthur Abele

Dabei ist doch eigentlich schon alles geschrieben, meint man. Und man dachte das wohl auch, bevor Arthur Abele am 15. August für seinen letzten Zehnkampf in den Block stieg. Aber dann nahm dieser Wettkampf eine solche Dynamik an, dass sich niemand seinem Sog entziehen konnte. Und dafür sorgte auch der Mann, der schließlich abgeschlagen fast 1.000 Punkte unter Bestleistung als 15. einen Schlusspunkt unter seine Karriere setzte.

Spätestens nach den 110 Meter Hürden waren wir doch alle wieder mittendrin, im Leben und Leiden mit Arthur Abele. Disqualifikation. Entsetzen. Tränen. Protest. Und dann konnten wir – wieder einmal hautnah – miterleben, wie ihm die Kampfrichter während des Diskuswerfens mitteilten, dass er noch einmal rennen darf. Alleine. Im Münchner Olympiastadion. Ein Solo, eine Ehrengerade sozusagen, vor allen seinen Fans, die nur für ihn auf die Haupttribüne strömten und ihm mit ihrem Applaus und Standing Ovations den höchsten Respekt erwiesen.

Emotionen für alle

Und da sah man dann wieder, was wirklich die Faszination des Sports ausmacht: Dass man Emotionen miteinander teilen kann. Und dass sie umso größer werden, je mehr man sie in Gemeinschaft erlebt. Dass Momente entstehen, die alle in ihren Bann ziehen – und klar: auch Erfolge, die für immer bleiben.

Doch seien wir mal ehrlich: Ein Europameistertitel, wo sortieren wir den ein in der Rangfolge sportlicher Erfolge? Nüchtern betrachtet sicher nicht ganz oben. Und so sehr man jedem Athleten und jeder Athletin einen solchen Abschied wünschen würde, wie ihn Arthur Abele erfahren hat, so sehr wissen wir doch auch, dass er ihm nicht geschenkt wurde, weil er 2018 EM-Gold geholt hat – sondern weil er eben Arthur ist. Nahbar, verletzlich, authentisch. Ein Athlet, der zu 100 Prozent für seinen Sport brennt. Der nicht taktiert, sondern immer „All-in“ geht. Der sein Herz auf der Zunge trägt. Und andere Menschen mitnimmt auf seine Reise, die – wir wissen es alle – mehr Tiefen als Höhen hatte.

DANKE

So stand Arthur Abele also dort am Startblock, bereit für sein zweites Hürdenrennen des Tages, das so viel mehr war als 110 Meter zu 911 Mehrkampf-Punkten. Und wir standen auf der Haupttribüne und feierten den Mann, der uns in fast 20 Zehnkampf-Jahren so viele magische Momente beschert hatte.

Schon da: Tränen in den Augen, Gänsehaut am ganzen Körper. Ebenso wie später noch einmal, als Arthur nach den 1.500 Metern wirklich zum allerletzten Mal eine Ziellinie überquert hatte. Und während wir alle den alten und den neuen Zehnkampf-Europameister bejubelten, flimmerte plötzlich noch ein ganz besonderes Geschenk über die Leinwand: ein Rückblick auf die Karriere von Arthur Abele, mit seinem Triumph 2018 in Berlin.

„Silke, ich muss jedes Mal flennen, wenn ich daran denke“, hat Arthur noch Wochen später zu mir gesagt. Und er meinte nicht nur diesen Moment, er meinte alle Erinnerungen an sein Zehnkampf-Leben. Mir bleibt mit diesen letzten Zeilen nur eins: DANKE zu sagen! Für den gemeinsamen Weg. Die gemeinsamen Emotionen. Und für die Erinnerungen, die wir nun alle in uns tragen.

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