| Interview "Leichtathlet des Jahres"

Niklas Kaul: „Das innere Gefühl von Zufriedenheit habe ich noch nicht"

Mit überwältigendem Vorsprung hat Niklas Kaul (USC Mainz) die Wahl zu Deutschlands „Leichtathlet des Jahres“ 2019 für sich entschieden. Im Interview blickt der jüngste Zehnkampf-Weltmeister der Geschichte zurück auf den emotionalsten Moment in Doha (Katar) und die schönsten Begegnungen des anschließenden Ehrungs-Marathons. Was noch drin ist in Zukunft? Warum er noch lange nicht satt ist? Und wie er mit der Frage nach dem Erwartungsdruck umgeht? Auch das hat er uns im Interview verraten.
Silke Bernhart

Niklas Kaul, womit haben Sie in den vergangenen drei Monaten am meisten Zeit verbracht: Uni, Training – oder Ehrungen und Feierlichkeiten?

Niklas Kaul:

Ich glaube schon, dass es das Training war. Aber auch viel von den beiden anderen Sachen. Das eine deutlich mehr als vorher geplant und gedacht. Es hat Spaß gemacht! Trotzdem: Es war viel Training dabei, das gehört immer dazu, es ist ja auch nicht mehr lange hin bis Tokio.

In die Reihe der Ehrungen gesellt sich jetzt – nicht ganz überraschend – eine weitere dazu. Was bedeutet es Ihnen, dass Sie die Leichtathletik-Fans zu Deutschlands „Leichtathlet des Jahres“ 2019 gewählt haben?

Niklas Kaul:

Das ist etwas sehr Schönes, gerade, weil es eine Fan-Wahl ist. Wenn man merkt, dass die Leistung und auch das Auftreten vor, während und nach dem Wettkampf so positiv wahrgenommen wird. Das ist etwas, auf das man stolz sein kann, das freut mich. Ich kann nur sagen: Verstellt habe ich mich nicht, nur damit ich gefalle.

Sie waren zuvor bereits dreimal in Folge Deutschlands „Jugend-Leichtathlet des Jahres“. Nach nur einem Jahr Pause folgt die Auszeichnung in der Männer-Kategorie. Wundern Sie sich manchmal, wie schnell das alles ging?

Niklas Kaul:

Gar nicht mal darüber, dass es so schnell ging. Was mich mehr wundert, ist die krasse Konstanz. Dass ich beim Saison-Höhepunkt bisher noch nie einen Wettkampf hatte, der nicht lief. Klar, man kann vorher gut trainieren und in einer sehr guten Verfassung sein. Aber was an den zwei Wettkampf-Tagen passiert, hängt ja nicht immer nur damit zusammen. Ich weiß auch nicht, warum das bisher immer funktioniert hat.

Sie sprechen es an: Von außen sah es aus wie ein nahtloser Durchmarsch von der Jugend bis in die Spitze der Erwachsenen. Die Erfolge sprechen für sich – gab es dazwischen dennoch Stolpersteine oder Rückschritte?

Niklas Kaul:

Gerade im Mehrkampf ist es so, dass man eigentlich immer wieder Rückschläge hat. Am Ende steht vielleicht eine Punktzahl, die Bestleistung bedeutet. Aber man ist nicht mit allen Disziplinen zufrieden – auch nicht in Doha. Da hätte schon noch einiges besser klappen können. Alles in allem hatte ich aber riesiges Glück, dass ich verletzungsfrei durchgekommen bin. Und dann sind technische Schwierigkeiten im Wettkampf oder im Training das geringste Übel. Die kann man verkraften, weil man weiß, dass es auch wieder besser wird.

Wenn Sie zurückdenken an Ihren Zehnkampf bei der WM in Doha: Welche Erinnerungen schießen Ihnen da als erstes durch den Kopf?

Niklas Kaul:

Wenn es um Emotionalität geht, dann war es gar nicht unbedingt der Moment, in dem ich über die Ziellinie gelaufen bin. Sondern dieser Moment, in dem ich nach den 1.500 Metern auf dem Boden saß und wusste, dass es auf jeden Fall gereicht hat. Aber was mir auch im Kopf geblieben ist, ist das Miteinander im Mehrkampf-Team. Dass alles so reibungslos funktioniert hat. Auch am ersten Tag – als bei uns nicht alles so richtig gut lief. Ich erinnere mich besonders an den Weitsprung, oder auch an den Hochsprung. Dass man sich danach immer wieder untereinander aufgebaut hat. Das sind die Dinge, die mir im Kopf geblieben sind.

Und dann am zweiten Tag der Stabhochsprung, das war am krassesten, weil ich damit überhaupt nicht gerechnet hätte. Ich bin vorher im Trainingslager in Belek keine 4,50 Meter gesprungen, bin von acht Sprüngen sieben durchgelaufen. Daher hat es mich gewundert, dass das in Doha so gut geklappt hat. Es hilft, wenn man weiß, dass es im Wettkampf gut laufen kann, auch wenn es im Training vorher schlecht gelaufen ist. Das ist etwas, das ich auf jeden Fall mitnehmen muss.

Alle haben nach dem Zehnkampf von Ihrem Speerwurf auf 79,05 Meter geschwärmt…

Niklas Kaul:

Der Speerwurf hat mich eigentlich nicht wirklich überrascht. Ich wusste, dass ich das werfen kann. Wenn ich mir jetzt die Bilder angucke, dann sage ich, dass das technisch noch nicht ganz perfekt war. Noch nicht so, wie ich es irgendwann gerne hätte. Natürlich bin ich riesig froh, dass es im Zehnkampf so gut geklappt hat. Aber im Vergleich zum Stabhochsprung war es weniger überraschend. Ich hätte vorher gesagt, dass ich eher 80 Meter Speer werfe, als dass ich 5,00 Meter springe.

Dieser WM-Titel war der Türöffner für die große Bühne auch abseits des Sports. Bambi-Verleihung. Sportler des Jahres. Die großen Jahresrückblicke 2019. Gab es Gelegenheit für das Kennenlernen von Idolen und für besondere neue Bekanntschaften?

Niklas Kaul:

Was ich sehr schön fand und was mir sehr viel Spaß gemacht hat, war die Veranstaltung beim „Sportler des Jahres“. Nicht nur die Ehrung, sondern auch, dass man relativ viele Leute aus der Sportfamilie wiedergetroffen hat oder neue Leute kennenlernen durfte. Fabian Hambüchen, den ich da das erste Mal getroffen habe – super Typ. Jan Frodeno, den ich beim Deutschen Sportpresse-Ball getroffen habe, beim „Sportler des Jahres“ und bei „Menschen 2019“. Wir kommen super miteinander aus. Alle Erlebnisse, bei denen man mit der Sportfamilie zusammentrifft, sind immer sehr schön.

Ihren Bambi haben Sie den Ehrenamtlern im Sport gewidmet. Diese Geste ist auf viel positive Resonanz gestoßen. Wie kam es zu der Entscheidung?

Niklas Kaul:

Ich kannte die Bambi-Verleihung und wusste, es ist oft so: Man geht auf die Bühne, dankt den zwei, drei Personen, die im näheren Umfeld direkt dabei waren – aber am Ende ist es für alle anderen Zuschauer ziemlich Nichtssagend. Ich wollte daher gar keine Namen nennen, sondern den Preis entgegennehmen für alle, die sich für den Sport in ihrer Freizeit auf den Platz stellen. Natürlich braucht man in einem Verband Hauptamtliche, aber ohne die Ehrenamtler würde auch in der Spitze relativ wenig laufen, daher finde ich das sehr wichtig. Ich habe das von Kindheit an mitbekommen – egal ob in der Leichtathletik oder im Handball, egal ob Trainer oder Kampfrichter…

… denn zu der Reihe der Ehrenamtler zählen auch Ihre Eltern Stefanie und Michael Kaul: Sie haben Sie als Trainer bis zum WM-Titel geführt. Beide waren einst auch selbst gute Leichtathleten. Welche Talente haben Sie von wem geerbt?

Niklas Kaul:

Also, die Schnelligkeit habe ich auf jeden Fall von meiner Mutter! Die ist genauso langsam (lacht). Aber ich glaube nicht, dass ich sonst genau sagen kann, was ich von wem habe – schwierig. Ich glaube, was mir sehr hilft, ist, dass beide früher viel Sport gemacht haben und darin auch ganz gut waren. Sie haben mir relativ früh die Begeisterung für den Sport mitgegeben.

Ihre Trainingsgruppe in Mainz hat zuletzt Zuwachs erhalten. Ihre Freundin, Siebenkämpferin Mareike Rösing, ist dazugestoßen. Und die Vize-Weltmeisterin von 2017 im Siebenkampf Carolin Schäfer. Wie läuft‘s?

Niklas Kaul:

Die Gruppe ist um zwei Siebenkämpferinnen gewachsen, und das funktioniert sehr gut. Ich hätte vorher gedacht, dass es schwieriger wird, das Siebenkampf- und Zehnkampf-Training zusammenzukriegen. Wir machen nicht viel anders als in den Jahren zuvor. Wir haben gesagt, wir wollen im Jahr vor den Olympischen Spielen keine Experimente machen. Die können wir danach machen. In der Halle werde ich voraussichtlich bei zwei kleineren Wettkämpfen testen. Gerade sind wir in einer Phase, in der wir hart trainieren, mit vielen Läufen, Kraft, Sprüngen – und auch Sprint. Ich hoffe, dass da endlich auch mal im Wettkampf was vorangeht! An sich bin ich sehr zufrieden. Es tut nichts weh, was nicht weh tun dürfte. Und auch bei den anderen ist alles auf einem guten Weg.

Wie ist es Ihnen gelungen, sich nach dem großen und überraschenden Erfolg des vergangenen Jahres wieder ganz auf die nächsten Herausforderungen zu konzentrieren?

Niklas Kaul:

Das war eigentlich relativ leicht, das hätte ich selbst nicht gedacht. Klar, man kann noch die vergangene Saison feiern und darauf zurückblicken. Aber das nutze ich auch als Motivation für die nächste Saison. Wenn man in Doha mal die Platzierung und die Punktzahl außen vor lässt, dann kann ich eigentlich mit dem ersten Tag nicht zufrieden sein. Der zweite Tag war super. Es gab Leistungen, die waren zu dem Zeitpunkt absolutes Maximum. Aber auch da glaube ich, dass in fast allen Disziplinen noch ein bisschen was drin ist. Den Wettkampf als „Durchgangsstation“ zu bezeichnen wäre falsch – das kann man nicht, bei WM-Gold. Aber in der Leistungsentwicklung hin zum hoffentlich irgendwann perfekten Zehnkampf – auch wenn es den wohl nie geben wird – war es ein Schritt. Und eben nicht der perfekte Zehnkampf, dem ich jetzt acht oder zehn Jahre hinterherrennen werde. Das innere Gefühl von Zufriedenheit habe ich noch nicht.

Das Olympia-Jahr ist erst ein paar Wochen alt. Da kann man noch nach guten Vorsätzen und Wünschen fragen: Was erhoffen Sie sich für 2020?

Niklas Kaul:

Von Vorsätzen bin ich kein großer Freund, weil ich dafür zu inkonsequent bin. Wenn ich mir etwas vornehme, nur weil ein neues Jahr begonnen hat, dann mache ich das zwei Wochen später nicht mehr. Mein Wunsch ist eigentlich nur, dass ich gesund bleibe, dass ich mir nichts tue. Ich könnte leichter damit umgehen, wenn ich bei den Olympischen Spielen einen schlechten Tag erwische und es einfach nicht läuft, als wenn ich zuhause sitze und zuschauen muss, weil ich verletzt bin.

Ein Olympia-Jahr ist für viele Athleten das entscheidende in ihrer Karriere. Spüren Sie, dass als Weltmeister nun besonderer Druck auf Ihnen lastet?

Niklas Kaul:

Olympia ist nur alle vier Jahre. Aber ich bin im Sommer immer noch erst 22 Jahre alt. Wenn es gut läuft, dann habe ich noch Paris und Los Angeles vor mir. Deswegen glaube ich, dass ich von allen Medaillenkandidaten in Tokio den wenigsten Druck habe! Wenn ich mir den Rest so anschaue, dann wird für manche vielleicht noch Paris 2024 ein Thema sein, aber für die meisten ist Tokio die letzte Chance. Daher haben sie deutlich mehr Druck als ich. Natürlich wäre es toll, wenn es für mich so weiterginge. Aber es bringt nichts, sich da verrückt zu machen.

Mehr:

Malaika Mihambo und Niklas Kaul sind Deutschlands "Leichtathleten des Jahres" 2019

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