| Interview

Sarah Wiener: „Wir sind Teil der Natur und sollten uns entsprechend natürlich ernähren“

Ihr Gesicht ist wohl eines der Bekanntesten in ganz Deutschland, wenn es um gute Ernährung und Kochen geht: Sarah Wiener begleitet als Expertin für diese Bereiche die neue Bewegungsinitiative des Deutschen Leichtathletik-Verbands. Im Interview spricht sie über den veränderten Stellenwert von Kochen in einer Krisenzeit, welche Chance diese Krise auch im Hinblick auf unsere Ernährung haben kann und warum es sich gerade jetzt lohnt, den Blick wieder auf regionale Produkte zu lenken.
Alexandra Dersch

Sarah Wiener, die Coronakrise ist allgegenwärtig. Wie geht es Ihnen persönlich damit?

Sarah Wiener:

Mir geht es gut. Ich lebe auf dem Land, in einem Holzhaus, habe einen Garten und eine volle Speisekammer und wenn ich da jammern würde, dann wäre das nicht in Ordnung im Vergleich mit all den Menschen da draußen, die nun allein sind, vielleicht mit psychischen Erkrankungen zu kämpfen haben und viel schlechter dran sind. Aber vielleicht kann aus dieser Krise ja auch etwas Positives erwachsen. Für jeden Einzelnen. Aber auch für die Gesellschaft.  
Eine positive Veränderung könnte etwa unser Umgang mit dem Thema Essen und Ernährung im Allgemeinen sein.

Was glauben Sie: Verändert sich der Stellenwert von Ernährung in Krisenzeiten?

Sarah Wiener:

Die Veränderung findet auf verschiedenen Ebenen statt. Kochen und essen kann in Zeiten wie diesen zum Erlebnis im ansonsten recht ereignislosen Alltag werden. Die Mahlzeiten und auch die dazugehörende Zubereitung können dem Tag die Struktur geben, die ansonsten teilweise fehlt, oder erst wieder neu gefunden werden muss. Das kann für Singles gelten, die sich erstmals an etwas aufwendigere Rezepte wagen, oder aber auch für Familien mit Kindern, die aktuell sehr viel mehr Zeit im Familienverbund erleben. Wann hat man sonst schon Zeit, um Frühstück, Mittagessen und auch Abendessen mit der kompletten Familie zu erleben? Das kann auch eine neue Qualität ins Familienleben bringen.

Haben Sie Tipps für Eltern, die jetzt vielleicht auch erstmals Zeit haben, gemeinsam mit ihren Kindern zu kochen, oder zu backen?

Sarah Wiener:

Wichtig ist es die Kinder ernst zu nehmen. Holt die Kinder in die Küche, haltet aus, dass das Kochen oder Backen länger dauert, oder auch mal etwas daneben geht. Gebt ihnen ihr eigenes Brettchen, ihre eine Schüssel und traut ihnen etwas zu. Auch das Abschmecken. Ich habe noch nie erlebt, dass ein Kind etwas verwürzt hat. Oder gar zu viel Zucker genommen hat. Kinder haben noch so gut funktionierende Geschmacksnerven, das sollten wir feiern. Je nach Alter reichen ja auch kleine Dinge, wie etwa ein Erdbeerjoghurt, oder ein Apfelkompott. Kochen wird zum Erlebnis für die Kinder, was als positive Erfahrung mitnehmen – im besten Fall  für ihr gesamtes weiteres Leben. 

Es gibt aber auch Menschen, die sich gefangen fühlen in den eigenen Vier-Wänden, die keinen Bezug zum Kochen haben. Welchen Benefit kann Kochen aus Ihrer Sicht aber auch für Menschen wie diese haben?

Sarah Wiener:

Essen muss ja jeder. Warum also nicht das Notwendige, mit dem Angenehmen verbinden? Kochen ist ein kreativer Prozess. Ich arbeite mit den Händen, erschaffe etwas. Allein das hat schon eine erdende, eine beruhigende Wirkung. Dabei kommt es gar nicht darauf an, stundenlang in der Küche zu stehen und aus unzähligen Zutaten etwas zu kochen. Ich kann mir schon aus wenigen Grundzutaten eine köstliche Speise zubereiten und mir damit selber so viel Freude machen. Denn so ein selbstzubereitetes Mahl ist auch immer ein Trostspender. Ich glaube, ich kann sagen: Kochen ist etwas für jede Psyche, in egal welchem Zustand. Kochen ist etwas für die Seele.

Sie sprechen die Grundzutaten an. Welche Grundzutaten haben Sie immer im Haus?

Sarah Wiener:

Ich bin ja eine Ernährungsverrückte. Ich habe einen Biobauernhof, bin Imkerin, habe eher ein ganzes Vorratszimmer als einen Vorratsschrank. Meine Familie hat mich immer ein bisschen dafür belächelt, dass ich immer schon viel eingeweckt habe, aber es macht Spaß und ist Vorsorge. Ich selber habe immer Vollkorngetreide im Haus, wie Hafer oder Dinkel. Daraus lässt sich schon so viel herstellen, wie etwas Spätzle, Pfannkuchen oder natürlich auch Brot. Und wenn ich doch mal zu viel Brot gebacken haben sollte: niemals wegwerfen! Auch daraus lässt sich noch etwas Tolles kochen. Ich kann es würfeln und anbraten. Ich kann daraus „Armer Ritter“ kochen, ich kann daraus Semmelknödel oder Brotsalat machen. Kochen ist auch immer Kreativität.

Zudem schwöre ich auf eingewecktes Obst. Ich esse viel Obst. Dann habe ich noch in Sand eingelagertes Gemüse wie Kartoffeln oder Rote Beete. Mein Gemüse sieht natürlich nicht so perfekt aus wie das Gemüse aus dem Supermarkt, es hat Verwachsungen, ist kleiner, hat vielleicht auch ein paar unschöne Stellen – aber, und das ist das Wichtigste, es schmeckt unglaublich gut und es ist das Ergebnis meiner Arbeit. Das ist sehr befriedigend. Und ich weiß noch dazu: Es ist zu 100 Prozent Bio. Niemand will schädliche Stoffe in seinem Körper. Wir sollten sie aber auch nicht in unserer Natur, in unseren Böden, in der Verpackung und im Wasser akzeptieren. Man muss aber keine Philosophie haben, um gute Lebensmittel selbst anzubauen, ob im Garten oder auf dem Balkon.

Wie ratsam ist Vorbereitung, etwa ein ausgetüftelter Wochenplan, in Zeiten wie diesen?

Sarah Wiener:

Einen Wochenplan zu erstellen ist grundsätzlich ja nie falsch. Es hilft, um die Woche zu strukturieren, zu planen und vernünftig einzukaufen. Allerdings kann es  passieren, dass wir das eine oder andere gerade nicht bekommen. Trotzdem: Eine Ernährungskrise haben wir sicher noch nicht. Wer aber nicht spätestens jetzt versteht, wie wichtig regionale vielfältige, stabile Ernährungsnetzwerke sind, dem ist nicht zu helfen. Die Globalisierung zeigt aktuell nicht nur ihre Schwächen, sondern auch wie abhängig wir von wenigen Großkonzernen sind, die uns in vielen Bereichen dominieren.

Aktuell steht auch das Immunsystem im Fokus. Wir wollen uns schützen, so gut es geht. Zu welchen Lebensmitteln raten Sie in diesem Zusammenhang?

Sarah Wiener:

Ein Stichwort, was im Zusammenhang mit dem Immunsystem immer schnell fällt, ist sicher Ingwer oder Zitrone. Aber wir müssen gar nicht so weit schweifen und auf Produkte zurückgreifen, die erst importiert werden müssen. Denn auch unsere Lebensumgebung bietet uns so viele tolle Lebensmittel, die unser Immunsystem fit machen. Ich als Imkerin greife zum Beispiel auf Propolis, also das verarbeitete Knospenharz der Bienen zurück. Aber auch Nüsse enthalten wertvolle Inhaltsstoffe. Wer auf dem Land lebt, kann bereits jetzt die Vogelmiere ernten. Das ist ein sogenanntes Unkraut, das viel Eisen, Kalzium und Magnesium enthält. Überhaupt sind Wildkräuter eine gute Grundlage für unser Immunsystem. (Anm. d. Red.: Dieses Thema vertiefen wir in einem gesonderten Beitrag in der kommenden Zeit)

Ein anderes Stichwort, das aktuell immer mal wieder fällt, ist „glutenfrei“. Der Hintergrund: Eine glutenfreie Ernährung soll den Darm stabilisieren und unseren Körper so weniger anfällig machen. Eine Meinung, die Sie teilen?

Sarah Wiener:

Ich glaube, Beschränkungen machen uns nicht gesünder – es sei denn, ein Verzicht auf gewisse Produkte ist ärztlich verordnet. Die Lösung ist für mich vielmehr die Entscheidung, möglichst vielfältig, möglichst unverarbeitet zu essen, denn die Zusatzstoffe, die unserer Nahrung zugefügt werden, der Grad der Verarbeitung, die sind es, mit denen unsere Körper auf Dauer zu kämpfen hat. Das gilt für Getreide, für Öl, aber genauso für alle anderen Produkte, etwa wie Milch. Fettarme Milch, oder H-Milch – das kennt unser Stoffwechsel so gar nicht. Wir sind  Teil der Natur und entsprechend natürlich sollten wir uns ernähren.

Dieses Credo kommt auch in Ihrem Online-Kochkurs durch, den Sie als Reaktion auf die aktuellen Lebensumstände neuerdings online auf Facebook anbieten. „Kochen , auch in der Krise“ – wo legen Sie hier den Schwerpunkt?

Sarah Wiener:

Mit diesem Angebot möchte ich vor allem Anfänger ansprechen. Jetzt ist doch die beste Chance, um mit dem Kochen anzufangen und sich zu trauen. Es geht daher vor allem um einfaches, um Grundrezepte. Ich koche meist ohne Waage, sehr grundsätzlich, damit die User ein Gefühl für die Zutaten entwickeln und selbstständig kochen lernen – das ist ein beglückendes Gefühl. Mit Liebe zu kochen, das gibt uns Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten.

Rezepttipps von Sarah Wiener

 

Teilen
#TrueAthletes – TrueTalk

Hier finden Sie alle Folgen des Podcasts des Deutschen Leichtathletik-Verbandes!

Zum Podcast
Jetzt Downloaden
DM-Tickets 2024