| Interview der Woche

Christin Hussong: „Ich weiß, dass ich noch mehr draufhabe“

Speerwurf-Europameisterin Christin Hussong (LAZ Zweibrücken) ist zum Saisonbeginn bereits in herausragender Form, Tendenz steigend. Beim Pfingstsportfest in Rehlingen schaffte sie am Sonntag die drittbeste Weite ihrer Karriere. Im Interview der Woche spricht sie über ihre Saisonvorbereitung, ihre weitere Olympia-Saison, ihre Ziele und darüber, warum es dieses Jahr wieder deutlich besser läuft als in der Vorsaison.
Manuel Keil

Christin Hussong, zunächst herzlichen Glückwunsch zum Sieg beim Pfingstsportfest. Sie haben heute 66,96 Meter geworfen, was eine neue Saisonbestleistung und hier in Rehlingen auch neuer Stadionrekord bedeutet. Wie zufrieden sind Sie damit?

Christin Hussong:

Dankeschön. Ich bin schon sehr zufrieden. Das Einwerfen war heute sehr schleppend und ich bin nicht ganz so gut reingekommen. Nach den immerhin 62 Metern zum Einstieg habe ich dann aber gesehen, dass es doch geht. Dass ich mich dann technisch so gut im Griff hatte für die 66,96 Meter – also knappe 67 Meter, damit bin ich wirklich sehr zufrieden. Ich wusste zwar, dass die ersten beiden Wettkämpfe keine Ausrutscher waren, freue mich aber trotzdem, dass ich wieder bestätigen konnte, dass ich solche Weiten draufhabe.

Drei Wettkämpfe haben Sie bisher gemacht, dabei jeweils über 66 Meter geworfen und sich von Wettkampf zu Wettkampf gesteigert. Haben Sie selbst mit einem so starken Saisoneinstieg gerechnet?

Christin Hussong:

Ich wusste, dass ich sehr sehr gut drauf bin. Die Vorbereitung lief wirklich super. Im Training hatte ich in allen Bereichen Bestleistungen, und es lief alles einwandfrei. Im Wettkampf ist es aber dann doch etwas anders. Man macht technisch plötzlich doch wieder mehr Fehler. Ich wusste, dass ich weit werfen kann, aber dass ich im Moment so konstant 66 Meter abrufen kann, da bin ich schon stolz drauf.

Vor dem Pfingstsportfest wurde ja auch schon über den Stadionrekord in Rehlingen gesprochen. Achten Sie selbst auch auf solche Weiten, oder geht es zunächst nur um die eigene Leistung?

Christin Hussong:

Ja klar achte ich durchaus auch auf solche Weiten. Wenn man liest, dass eine Christina [Ex-Weltmeisterin Christina Obergföll] den Stadionrekord mit 64,53 Metern hält und ich weiß, dass ich die momentan draufhabe, dann ist das schon auch ein Ziel. Auf jeden Fall. Sie war die Person im deutschen Speerwurf und auch weltweit. Es ist schon eine große Ehre, dass ich das jetzt geschafft habe.

Rehlingen ist für Sie ja fast ein Heimspiel, weil es nicht so weit von Zweibrücken weg liegt. Motiviert so etwas zusätzlich, auch wenn dieses Mal natürlich keine Zuschauer dabei sein konnten?

Christin Hussong:

Für mich war es bisher eigentlich immer etwas schwierig, wenn ich weiß: Ich kann zu Hause schlafen und meinen Auftakt machen. Wenn man im Hotel ist, ist das doch ein ganz anderer Ablauf. Deshalb bin ich umso zufriedener. Ich habe noch nie so weit geworfen, wenn ich zu Hause geschlafen habe. Auf jeden Fall ist es schön, keine lange Anreise zu haben. Ich bin in nur einer Stunde hierhergefahren. Normal wären dann auch noch Zuschauer da, die man kennt. Auch wenn es nicht das Zuhause ist, fühlt es sich irgendwie so an.

Das war jetzt Ihre drittbeste Weite überhaupt. Nur bei der EM in Berlin haben Sie zweimal weiter geworfen. Jetzt sind Sie so früh in der Saison schon stärker als damals. Wie weit kann der Speer denn dieses Jahr noch fliegen?

Christin Hussong:

Auf jeden Fall will ich die Bestleistung definitiv angreifen. Da fehlt ja nur noch ein Meter. Ich weiß, dass ich noch mehr als die Bestleistung draufhabe. Mal schauen, wie weit es mich trägt. Letztendlich hoffe ich, dass ich in Tokio weit werfe. Das ist das Hauptziel.

Im vergangenen Jahr verliefen die Wettkämpfe ja nicht ganz nach Wunsch. Haben Sie im Training irgendetwas umgestellt, sodass es jetzt wieder passt?

Christin Hussong:

Ja! Wir hatten letztes Jahr schon die Zeit genutzt, sodass wir im Training technisch etwas umgestellt hatten. Das konnte ich im Wettkampf aber noch nicht so richtig abrufen. Im Training lief es aber schon ganz gut. In der Hinsicht hat mir das eine Jahr mehr bis zu den Spielen wirklich etwas gebracht. Ich hatte mehr Zeit, die Technik quasi länger auch im Wettkampf zu trainieren. Das hat sich scheinbar für dieses Jahr gelohnt.

Als Bundeskaderathletin konnten Sie während der Corona-Pandemie, anders als die Breitensportler, relativ normal trainieren. Mussten Sie in der Vorbereitung trotzdem viel improvisieren?

Christin Hussong:

Normalerweise wären wir zweimal ins Trainingslager geflogen, das konnten wir aber nur einmal. Das zweite  Trainingslager haben wir mit unserem gesamten Kader abgesagt. Es war alles ein bisschen anders. Die Lehrgänge, bei denen wir uns alle paar Wochen mit dem Kader treffen, haben aufgrund von Corona nicht stattgefunden. Aber ich bin froh, dass ich selbst trainieren konnte und bin auch wirklich dankbar dafür. Ich hoffe, dass es demnächst auch für den Breitensport wieder weitergeht.

Nach dem guten Wettkampf in Ostrava haben Sie gesagt, dass es technisch trotzdem noch ein paar Kleinigkeiten gibt, an denen Sie arbeiten müssen. Welche Kleinigkeiten sind das konkret?

Christin Hussong:

Das sind die Sachen, die ich umgestellt habe. Vor allem, dass ich meine Größe besser ausnutze. Ich tauche immer noch ein bisschen weg beim Werfen. Ich glaube, das sieht man. Das erkennt auch ein Laie, dass ich auf der linken Seite nicht ganz fest bin. Wenn das alles noch ein wenig stabiler wird, dann ist die Bestleistung von 67,90 Metern auf jeden Fall drin.

Jetzt geht es mit der Team-EM und der DM in Braunschweig im Wochenrhythmus weiter. Wie sieht danach die Wettkampfplanung aus?

Christin Hussong:

Ein paar Tage nach der DM werfe ich noch mal in Turku. Danach habe ich mal eineinhalb Wochen Pause und freue mich dann auf mein richtiges Heimspiel in Zweibrücken. Anschließend sind es nur noch wenige Wettkämpfe bevor es nach Tokio geht.

Wie schätzen Sie dieses Jahr die internationale Konkurrenz ein, nachdem die Polin Maria Andrejczyk schon 71,40 Meter weit geworfen hat?

Christin Hussong:

Ich denke, international sind wir Frauen sehr, sehr stark. Auch in der Breite mit der Polin, einer Tschechin, die jetzt auch 65 Meter geworfen hat [Nikola Ogrodnikova; 65,13 m], dann die Chinesinnen und auch die Weltmeisterin von 2019, die bisher noch kaum geworfen hat. Es sind einige Athletinnen dabei, die über 65 Meter werfen können. Dementsprechend wird auch der Kampf um die Medaillen bei den Olympischen Spielen in Tokio sehr hart. Ich habe jetzt gezeigt, dass ich zu diesem Kreis dazugehöre. Ich bin auch bereit dazu, darum zu kämpfen.

Tokio werden ihre zweiten Olympischen Spiele. 2016 haben Sie es ins Finale geschafft, in dem es leider nicht ganz so erfolgreich lief. Das Ziel ist diesmal, um die Medaillen mitzukämpfen?

Christin Hussong:

Auf jeden Fall. Ich bin in Doha bei der WM Vierte geworden. Das war nicht so ein schöner Platz. Den möchte ich jetzt nicht mehr haben. 2016 war eine ganz andere Situation: Es waren meine ersten Olympischen Spiele, ich war noch relativ jung und unerfahren. Über die fünf Jahre seitdem habe ich mich ziemlich weiterentwickelt. Was ich selbst draufhabe, das hat sich verändert. Ich habe jetzt ein besseres Niveau, daher ändern sich dann natürlich auch meine Ansprüche.

Mehr:
66,96 Meter: Christin Hussong glänzt mit Stadionrekord
Facebook-Video: Der 66,96-Meter-Wurf von Christin Hussong

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